-Ein Angebot des Portals kath.de im Rahmen des Monatsthemas "Künstliche Intelligenz & Kirche"-
Herr Brand, Sie haben am Panel "AI und Amen" auf der Digitalkonferenz re:publica 2025 teilgenommen. Wie fällt ihr Fazit der Diskussion in Berlin aus: Kann KI etwas zur spirituellen Reise der Gläubigen beitragen?
Wir hatten in Berlin in der Tat eine sehr abwechslungsreiche und anregende Diskussion. Ich würde sagen, die KI ist im Bereich der Spiritualität nicht bereits am Ende. Es ist durchaus möglich, wie Sie das formuliert haben, die spirituelle Reise der Gläubigen durch KI anzureichern, zu begleiten. Dafür ist es aber dringend erforderlich, die Potentiale sorgfältig herauszuarbeiten. Ich sehe durchaus sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen im Rahmen des Einsatzes großer Sprachmodelle, auf denen die künstliche Intelligenz basiert, in der spirituellen Praxis.
Auf dem Podium bei der re:publica saß auch Frau Prof. Claudia Paganini, die in ihrem Buch "Der Neue Gott" die These aufstellt, dass KI zu der neuen Gottheit der Menschen werden kann. Wie bewerten Sie diese These?
Es ist durchaus so, da teile ich Frau Paganinis Beobachtung, dass Menschen in der künstlichen Intelligenz ein göttliches Wesen sehen. Es gibt immer mehr Berichte von Leuten, die sagen, sie hätten in der KI tatsächlich auch Zugang zu einer Gottheit gefunden. Menschen die Glauben, eine Gottheit würde ihr in der KI oder durch die KI Aufträge erteilen oder Wahrheiten mitteilen. Es ist nach meiner Einschätzung aber wichtig zu betonen, dass diejenigen, die in der künstlichen Intelligenz einen Gott oder eine Gottheit sehen, einem Missverständnis mit Bezug auf das Wesen der künstlichen Intelligenz unterliegen. Ob uns etwas als ein Gott erscheint oder ob etwas tatsächlich ein Gott ist, das sind doch nochmal zwei sehr unterschiedliche Fälle. Menschen neigten schon in der Vergangenheit immer wieder dazu, Dinge zu vergöttlichen: Sei es zum Beispiel das goldene Kalb oder das Geld. Die Bibel kennt dieses Phänomen und benennt es ausdrücklich, freilich vor dem Hintergrund des paganen Umfeldes des Judentums und des frühen Christentums, das andere Götter verehrte. Auch das hat Frau Paganini zurecht sehr gut herausgearbeitet. Auch wenn künstliche Intelligenz allgegenwärtig scheint und überall implementiert ist, also an immer mehr Stellen zum Beispiel Entscheidungen unterstützt oder auch die Möglichkeit bekommt, in Prozesse einzugreifen, und auch wenn KI scheinbar alles weiß, muss man sich eben immer klar machen, dass es nicht eine KI ist, mit der wir sprechen, es sind sehr viele KI-Systeme, die in sehr unterschiedlichen Kontexten zur Anwendung kommen. Genauso wenig, wie man der KI unkritisch menschliche Attribute wie Wissen oder Absichten unterstellen sollte, sollte man meiner Meinung nach KI - gerade aus theologischer Expertise heraus - mit Verweis auf die naive Auffassung der Vielen vergöttlichen.
Papst Leo XIV. hat bereits mit der Wahl seines Namens signalisiert, dass ihm das Thema Künstliche Intelligenz wichtig ist und gesagt: "Die Kirche kann und muss bei der ethischen Gestaltung der KI-Revolution eine führende Rolle spielen". Welche Rolle kann der neue Pontifex in der Frage nach dem Einsatz von KI in der Glaubenskommunikation und Internetseelsorge spielen?
Bereits im vorherigen Pontifikat wurde 2023 / 2024 die Initiative zur "Algor-Ethik gestartet, die im Februar 2025 in dem Dokument "Antiqua et nova" von Papst Franziskus mündete. Kann der Vatikan aus Ihrer Sicht Impulse in der ethischen Debatte um den Einsatz für KI leisten?
Ob jetzt der Papst zum Einsatz von KI in der Glaubenskommunikation oder der Internetseelsorge im Besonderen eine Position oder eine Direktive entwickelt, weiß ich nicht, das wage ich auch nicht vorher zu sagen. Aber es scheint nicht unwahrscheinlich. Was einigermaßen klar sein dürfte ist, dass der Papst in Fortsetzung der bisherigen Linie des Vatikans dafür sorgen wird, dass die Kirche eine Haltung und eine Position zur künstlichen Intelligenz und den damit verbundenen Entwicklungen einnimmt und zwar im globalen Maßstab. Schon Franziskus hat auf dem G7-Gipfel gezeigt, dass die Stimme des Vatikans, dass die Stimme der Kirche auf dem internationalen Forum Gehör findet. Schon unter Franziskus wurde eine Initiative angestoßen, bei der es darum ging, künstliche Intelligenz ethisch zu regulieren bzw. einzusetzen. Und diese Bestrebungen, die in Antiqua et Nova bereits vorgezeichnet sind, die werden mit Papst Leo auf jeden Fall in der einen oder anderen Weise fortgesetzt werden. Da bin ich zuversichtlich und ich bin auch zuversichtlich, dass die Kirche mit ihren Ressourcen und mit ihrem Einfluss international durchaus eine Stimme sein kann, die Gehör findet. Auch die Theologie ist daher gut beraten, sich diesem Thema zu widmen, wie es ihr durch Gaudium et Spes aufgetragen ist, die neuen Ergebnisse der Forschung und Wissenschaften, die Konsequenzen für unser Leben haben, zu untersuchen (GS 62).
Blicken wir abschließend nach Deutschland: Welche Initiativen der beiden Kirchen (DBK, EKD) sowie aus der Wissenschaft und von Kultur (z.B. Akademien) erwarten Sie im Jahr 2025 im Hinblick auf den Einsatz von KI - insbesondere im Bereich der Internetseelsorge und spirituellen Angeboten?
Auch was die Arbeit der Wissenschaft und der Kultur in den Kirchen in Deutschland angeht bin ich einigermaßen zuversichtlich. Viele Stakeholder in diesem Bereich, so habe ich immer mehr den Eindruck, haben das Thema aufgenommen, etwa in die Programme der Akademien, und beschäftigen sich damit intensiv, einmal reflektierend, aber eben auch immer häufiger gestalterisch. Der KI Jesus in Luzern zum Beispiel war ja auch ein Projekt aus einer Zusammenarbeit zwischen einem Pfarrer vor Ort und einem KI-Unternehmen. Solche, ich sag mal "Graswurzelbewegungen" wird es wahrscheinlich in den nächsten Jahren immer öfter geben. Ich gehe davon aus, dass die Kirche in Deutschland da besonders experimentell unterwegs ist, sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche. Damit werden zugleich die vielen notwendigen Anlässe geschaffen werden, über die Entwicklung der Technik kritisch nachzudenken. Und ich sehe da durchaus auch in der Internetseelsorge bzw. in der Seelsorge allgemein Potenziale und Möglichkeiten - nicht die klassische Seelsorge zu ersetzen, Menschen oder gar Gott irgendwie überflüssig zu machen - aber eben durchaus neuartige Angebote zu schaffen, die das Repertoire der Seelsorge auf allen möglichen Ebenen erweitert und eben auch gut und zeitgemäß erweitern kann. Und ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass diese Systeme dann nicht um sich selber kreisen, das heißt, um ihrer selbst entwickelt werden oder irgendwie künstliche Intelligenz vergöttlichen, sondern eben dazu dienen können, den Menschen auf seinem spirituellen Weg mit Gott ins Gespräch zu bringen, vielleicht sogar in Notlagen ein Begleiter zu sein. Wobei ich gerade in diesem letzten Punkt noch sehr vorsichtig bin und auch weiterhin sein möchte, wie wir solche Anwendungen dann tatsächlich ausgestalten wollen. Was ganz offensichtlich der Fall sein muss, ist, dass KI in der Lage sein sollte, sensible Notlagensituationen von Menschen im Gespräch zu identifizieren und dann idealerweise an Expertinnen und Experten, an Seelsorgerinnen und Seelsorger weiterzugeben.
Als Theologinnen und Theologen und als Weltkirche müssen wir uns dieser Entwicklung stellen, denn sie wird kommen. Denn wir können eben jenseits der kirchlichen Projekte eben auch schon feststellen, dass fernab der kirchlichen Caritas, Leute Chatbots und KI-Modelle wie ChatGPT nutzen, um über ihre seelsorgerischen Probleme, um über ihre existenziellen Notlagen zu sprechen. Da treffen sie dann jetzt aktuell noch auf Systeme, die für diese Situationen einfach völlig ungeeignet und unsensibel sind. Und da, denke ich, ist es nicht auf Gedeih und Verderb die Aufgabe der Kirche, diese Lücke zu schließen, aber es ist auf jeden Fall die Aufgabe der Kirche, auf diese Lücken hinzuweisen und sich vielleicht sogar insofern an der technischen Entwicklung zu beteiligen, als dass man versucht hier Lösungen zu finden, wie die Gesellschaft im Kontext der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz auch zukünftig mit Menschen in existenziellen Notlagen im Sinne des Evangeliums auf verantwortbare Weise in Kontakt treten kann.
Dr. Lukas Brand is wissenschaftlicher Mitarbeiter am Algorithm Accountability Lab der RPTU in Kaiserslautern. Der Theologe forscht zur verantwortungsvollen Gestaltung und Verwendung von KI und Robotik in der Kirche.
Videotipp: Aufzeichnung des Panels "AI und Amen" bein der re:publica 2025 (YouTube)
https://youtu.be/Y6BJ0LbN44o?si=WuuxnUQBBFLfzOk5
Das Interview führte Christian Schnaubelt, Chefredakteur und Herausgeber von explizit.net und kath.de.
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