Der reiche Mann befolgte sein ganzes Leben die Gesetze. Er war unterwiesen und konnte mit ihnen umgehen. Steht es nicht so um uns selbst? Haben wir nicht alles getan, unsere Steuern gezahlt, sogar an die Geschwindigkeitsbegrenzungen und alle anderen Regeln gehalten, waren jeden Sonntag in der Kirche? Warum sollte das nicht ausreichen? Kein Gesetz übertreten, nichts mehr zum Beichten da; und doch reicht es nicht aus. Was fehlt dem armen Reichen und uns armen Anständigen noch?
Nach den Worten Jesu fehlt nur noch eine einzige Sache: der Ausverkauf unserer Existenz. Wir hängen an uns selbst. Wir hängen an unserem Vermögen, am Geld, am Haus, am Auto, an unserer Arbeit, an unserer Sicherheit, an unserem Ansehen, an unserem Ruf, an unseren Freunden, an unserer Familie, an unseren Hobbies, an unseren Steckenpferden. – Oft hört man:
Eigentlich besitzt nicht du diese Dinge, sondern diese Dinge besitzen dich. Solange du sie nicht weggeben kannst, bist du nicht frei. Erst wenn du bereit bist, sie wegzugeben, dann kannst du sie in Freiheit annehmen. Du stehst dann nicht in den Dingen, sondern über den Dingen. Sicherlich ist das eine edle, gute Gesinnung. Darin besteht wirklich ein großer Teil der Freiheit. Doch wer ist zu dieser Freiheit bereit? Wer möchte denn seinen Besitz weggeben? Sind diese Dinge nicht Teil von einem selbst?
Sein und Haben, das ist der Unterschied hier. Der Mensch ist, was er besitzt, so scheint es. Je mehr er besitzt, desto mehr ist er. Je mehr er hat, desto mehr ist er Mensch, desto größer ist er. Mit diesem Irrtum räumt Jesus auf. Nicht das, was du besitzt, macht dich zu dem, was du bist. Sondern wer du bist, macht dich zu dem was du bist. Es ist nicht das Haben, sondern das Sein, was uns selbst ausmacht.
Wenn wir uns selbst vom Haben her begreifen, dann gehen wir fehl. Unser Ansehen bezieht sich gar nicht auf uns selbst, sondern auf unseren Besitz. Man bewundert mich nicht für meine Person, sondern für mein Auto. Man bewundert mich nicht für meine Person, sondern für mein Haus, meine Frau, meinen Beruf. Aber nimm mir Auto, Haus, Frau, Beruf – was bleibt dann übrig? Nichts. Wessen Existenz von seinem Besitz abhängt, der verliert seine Existenz mit seinem Besitz.
Jesus verlangt daher den Übergang vom Haben zum Sein. Wir müssen das Haben ablegen, damit das Sein vordringen kann, damit sich zeigen kann, wer wir wirklich sind. In den Augen der Welt bedeutet das Selbstvernichtung: Wer die Statussymbole ablegt, der verliert seinen Status. In der Tat wird die Existenz in den Augen der Welt geringer. Der Mensch wird weniger Mensch dadurch, nicht mehr. Deswegen ist es ja so schwer! Doch bei Jesus ist es anders. Gerade dadurch wird er mehr Mensch. Er wird eigentlicher, er wird mehr er selbst, seine Existenz wird mehr Existenz. Das Haben wird geringer, das Sein wird größer.
An dieser Stelle hört es aber nicht auf. Denn wenn man dem Menschen die Kleider nimmt, was bleibt dann übrig außer Nacktheit? Der Mensch hat nichts mehr. Das Haben ist weg. Aber was ist mit dem Sein, wer ist er dann? Ohne Haben sieht man den Menschen in seiner Kleinheit, in seiner Hinfälligkeit, diesem Hauch von Nichts; «diese Portion Kreatur» wie Augustinus sagt. Dann setzt die Nachfolge ein. Die Nachfolge Jesu ist eine Schule des Seins. Erst wer das Haben abgelegt hat, ist bereit, dem Sein zu folgen. Nun beginnt die Existenz zu wachsen. Sie wächst im Gefolge Jesu. Reichtum, Ansehen, Tätigkeit – alles hat eine andere Bedeutung angenommen, denn sie sind dem Menschen nun nicht mehr äußerlich, sondern innerlich. Sie sind Selbstentfaltung geworden; Selbstentfaltung des eigenen Daseins, der Existenz.
Denn Schritt, das Haben abzulegen, kann jeder Mensch versuchen. Es ist sehr schwer, aber möglich. Große Menschen haben das geschafft: Sokrates, Buddha und andere. Doch ein neues Sein zu erhalten, das hat nur einer geschafft: Jesus. Denn nur einer kann es geben: der Vater Jesu, Gott, der Allmächtige und Barmherzige.
Daher spricht Jesus davon, dass derjenige, der das Haben abgelegt hat, Neues bekommt. Es sind neue Reichtümer. Aber sie gehören nicht mehr dem Haben an, sondern dem Sein. Sie sind nicht Folge menschlicher Bemühungen, sondern Geschenk, Gnade Gottes. – Man kann sich das Sein nicht nehmen oder erarbeiten. Man kann es nur annehmen in Dankbarkeit.
Das ewige Leben kennt kein Haben. Im Himmel gibt es keinen Besitz. Im Himmel gibt es nur Sein, unvergängliches Sein. Wer dort hinein will, muss sein Haben ablegen. Und dann muss er durch das Nadelöhr hindurch. Es ist das Nadelöhr Christi, die Pforte, die das neue Leben, das neue Dasein schenkt. Die Nadel Jesu ist das neue Sein. Unsere Existenz ist an diesem Punkt festgemacht. Wo die Nadel hingeht, da sind auch wir. Es spielt keine Rolle mehr, ob wir viel oder wenig haben, denn wir sind so verwandelt, dass wir viel sind. Zu unserer Überraschung schenkt uns Gott nicht nur ein neues Sein. Er schenkt uns sein eigenes Sein, sich selbst, sein eigenes Leben. Der Nachfolger wird in den verwandelt, dem er nachfolgt.
Zum Kamel und dem Nadelöhr: Das Kamel ist ein reichlich vererbter Schreibfehler. Untersuchungen haben gezeigt, da wohl ein Buchstabe anders wurde. Dann hieße es nicht mehr Kamel, sondern Schiffstau. Eher geht ein Schiffstau durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes. Das macht bei Fischern auch viel mehr Sinn.
Für uns heißt das auch: Wir sind ein Faden in der Hand Gottes. Wir müssen uns klein machen, um in das Nadelöhr Christi zu passen, damit er uns in das Reich Gottes verweben kann. Wir müssen unser Haben hinter uns lassen, damit uns das wahre Sein geschenkt werden kann. Die Nadel zieht, der Faden folgt. Das heißt Nachfolge, das heißt Selbstverleugnung, das heißt Leben.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!