Majdan - Platz der Auseinandersetzung

Ukraine: zu zögerliche Reform des Verfassungsgerichts

Die Reform des Verfassungsgerichts in der Ukraine wurde im Juni 2016 eingeleitet. Das Gesetz für ihre Umsetzung wurde erst im Juli 2017 verabschiedet. Daher blieb das Verfassungsgericht der Ukraine gelähmt. Bis Ende des Jahres werden fünf Richterposten wieder besetzt. Allerdings ist das Auswahlverfahren wenig transparent und wird von Gremien der Zivilgesellschaft kritisiert.

Der friedlich aussehende Platz war 2013/14 Zentrum der Auseinandersetzung zwischen der Jugend und einem autoritären Regime

Warum sind die Reformen so schwierig umzusetzen?

Seit 2014 befindet sich die Ukraine in einem Prozess der politischen Perturbationen. Die Werchowna Rada, das Parlament der Ukraine, hat viele Reformen in Gang gesetzt. Der Umsetzung stehen viele Hindernisse im Weg, bedingt durch den Krieg mit Russland, die sowjetische Vergangenheit und auch die mit jeder Reform verbundenen Komplexität. Das Land will auf eine andere Lebensordnung umschalten. Dieser Wille kommt zu wenig zum Tragen, weil die politische Elite zersplittert und damit schwach ist. Die Bürger haben in einer Art paternalistischer Einstellung zu hohe Erwartungen an die Politik. Diese Umstände bremsen die Entwicklung und machen den Erfolg der Reformen fraglich. Wie schwierig die Reformen vorankommen, zeigt die Gesetzgebung zur Auswahl der Richter für das Verfassunbgsgericht.

Skepsis gegenüber dem Verfassungsgericht  

2010 hatte das Verfassungsgericht der Ukraine gegen die Verfassung gerichtete Entscheidung getroffen, die sich später zu einer Krise und zur Absetzung des Präsidenten Wiktor Janukowytsch führte. Denn das Gericht änderte damals die Verfassung, um die Machtbefugnisse des damaligen Präsidenten erheblich auszuweiten. Das führte zu den Auseinandersetzungen 2013/14. Die Diktatur und die hunderte Toten während der Majdan-Proteste im Winter 2014 haben allen gezeigt, wie entscheidend die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ist.

Das Verfassungsgericht war ein Jahr lang lahmgelegt

2017 hat das Verfassungsgericht der Ukraine kein Urteil gefällt und keine Entscheidung getroffen. Es konnte weder seinen Vorsitzenden wählen noch die Richter entlassen, deren Amtsperiode zu Ende gegangen ist. Einer der Gründe dafür ist die unzureichende Zahl der Mitglieder des Gerichts. Nur 13 der 18 Richterstellen sind besetzt. Damit das Gericht eine Entscheidung treffen kann, müssen mindestens 10 Stimmen abgegeben werden. Um die Richter nach dem neuen Auswahlverfahren zu ernennen, musste das Parlament ein Durchführungsgesetz verabschieden. Das zögerten die Abgeordneten heraus.  

Auswahl durch Wettbewerb

Die Reform des Verfassungsgerichts, die im Juni 2016 verabschiedet wurde, hat die Auswahl der Richter durch einen Wettbewerb eingeführt. Das soll die Unabhängigkeit des Organs garantieren. Dieses Auswahlverfahren ist anderswo nicht üblich. Für die ukrainische Realität könnte es jedoch seine Aufgabe erfüllen. Das neue Gesetz verzerrt jedoch das ganze Verfahren, indem es die Auswahl auf eine formale Papierbewertung und Interviews beschränkt. Die Kandidaten wurden weder Qualifikationstests unterworfen noch mussten sie Fälle lösen. Es gab auch keine psychologischen Tests. Das ermöglicht den Politikern, das Verfassungsgericht zu beeinflussen. Damit bleiben die fundamentalen Probleme, die seit 2010 faktisch zu dem autoritären Regimes Janukowytschs führten, anstatt die Krise der Verfassungsgeerichtsbarkeit durch eine entsprechende Gesetzgebung zu überwinden.

Ernennung durch Präsident, Parlament und Richtervereinigung

Die Richter für das Verfassungsgericht werden vom Präsidenten des Landes, dem Parlament sowie dem Richterkongress, dem höchste Organ der Gerichtsselbstverwaltung, ernannt. Ende des Jahres müssen die fehlenden 5 Richter für das Gericht ausgewählt werden, um die Sollstärke von 18 Richtern zu erreichen. Jeweils zwei Richter ernennen der Präsident des Landes sowie das Parlament, die Werchowna Rada. Der Richterkongress ernennt einen Richter. Das Auswahlverfahren, so wie es im Gesetz festgelegt wurde, ist nichtöffentlich. Damit bleiben die Qualifikation und die politische Unabhängigkeit der Kandidaten fraglich.

Reaktionen der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaftliche Organisationen und einzelne setzen sich für größere Transparenz des Auswahlverfahrens ein. Aber weder bei der Regierung noch bei der Bevölkerung stoßen diese Initiativen auf genügend Verständnis dafür, dass die Reform des Verfassungsgerichts für die weitere demokratische Entwicklung der Ukraine von erheblicher Bedeutung ist.

Postsowjetische Probleme

Ein Blick nach Polen zeigt, dass auch dort das Verfassungsgericht zum Streitobjekt politischer Auseinandersetzungen wurde. Um die Unabhängigkeit des Gerichts zu stärken, hat die vom ukrainischen Parlament 2016 eingeführte Verfassungsreform den Status des Verfassungsgerichts geändert und neue Verfahren für das Ausscheiden und Ernennung von Richtern eingeführt. Es zeigt sich, dass die Durchführung der Reform einfach dadurch behindert werden konnte, dass die Durchführungsbestimmungen verzögert und darüber hinaus zu wenig präzise formuliert wurden.

Der Beitrag unserer Kiewer Korrespondentin basiert auf mehreren Gesprächen mit einem Vertreter der Bürgergesellschaft, Bogdan Bondarenko, Experte für Verfassungsrecht, Wahlen und Parlamentarismus im Zentrum für politische und rechtliche Reformen der Ukraine 

Was mit den Ukrainern im Winter 2013/14 passierte, beschriebt Mariia Karapata aus den eigenen Erfahrungen: Euro-Majdan

Zur Konfliktlinie in Polen s. 

Kaczynskis  4. Republik

Polen im Verfassungsstreit


Kategorie: Politik

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