von Donatello in der Stadthalle von Padua, F: explizit.net

Schulz, mehr Symptom als Ursache

Kommentar mit Rückblick: In elf Monaten von 100% auf Null. Erinnert sich die SPD nicht mehr, wie sie anfangs Schulz auf ihren Schild gehoben hat. Jetzt ist er an allem Schuld. So kommt die SPD nicht wieder auf die Beine. Ein Lehrstück, wie man die AfD zur zweiten Volkspartei macht. Aus welchen selbst gebauten Fallen konnte sich die Partei nicht befreien?

Schulz wurde nicht eingebunden:

Der Posten als Außenminister im Tausch gegen den Parteivorsitz wurde von der Führungsriege der Partei mit getragen. Denn Schulz hätte das ohne die Rückendeckung der Parteigranden nicht durchsetzen können. Kennen Nahles, Dreyer, Scholz, Groschek, Steger ihre Partei so wenig, dass sie die Reaktion nicht hätten kommen sehen? Die Statue auf dem Foto: Das war mal die SPD. 

Schulz hatte die richtigen Werte

Als der Präsident des Europaparlaments in die Gewässer der deutschen Innenpolitik eintauchte, brachte er neuen Wind, der die Segel seiner Partei füllte und nach vorne trieb. Er hatte die richtige Botschaft, der nicht nur die SPD-Mitglieder zustimmen konnten: Gerechtigkeit nicht nur insgesamt, sondern für jeden einzelnen. Das hätte auch der Papst als Gastredner so sagen können. Es war die richtige Wegweisung, die z.B. auch auf der Basis der katholischen Soziallehre bejaht werden muss. Bis dahin war noch alles zukunftsträchtig. Nur die Partei machte sich nicht daran, aus der Leuchtrakete "Gerechtigkeit für jeden einzelnen" konkrete Politik zu machen. Man blieb da, wo man war und erwartete die gleiche Zustimmung der Wähler zur Schulz-SPD, so wie Schulz sie in der Partei gefunden hatte. Hatte man nicht an die konkreten Menschen gedacht, die jetzt von der SPD etwas erwarten konnten. Aber schon im Saarland zog Kramp Karrenbauer mehr. Als dann in Schleswig Holstein der Regierungschef durch die Kommentierung seiner Scheidung für die Wählerinnen nicht mehr tragbar war und in Nordrhein-Westfalen deutlich wurde, dass die rot-grüne Regierung das Land auch nach zwei Regierungsperioden nicht flott bekommen hatte, ging wiederum kein Ruck durch die Partei. Dass man mit Charme Wahlen gewinnen kann, zeigte die SPD in Rheinland Pfalz, dass mit Engagement die Wähler zu mobilisieren sind,  wurde in Niedersachsen deutlich. Die Partei setzte weiter auf Schulz. In ihrer Euphorie packte sie die Gestaltung des politischen Alltags erst gar nicht an. Was wäre notwendig gewesen:

Die Abstiegsängste der Mittelschicht hat die SPD nicht ernst genommen

Die SPD verteilt die Überschüsse, die die deutschen Werktätigen erwirtschaften. Die treiben andere Ängste um, als dass es für den nächsten Urlaub nicht reicht. Die SPD scheint die Umfragedaten nicht ordentlich zu studieren, Denn schon seit der ersten GroKo kann man wissen, dass ein guter Teil der Deutschen Angst vor der Zukunft hat. Nicht alle, aber nicht zuletzt das Wählerreservoir der SPD. Es tut sich nämlich eine Dreiteilung der Bevölkerung auf, die durch die Digitalisierung weiter forciert wird. Diejenigen, die sich im digitalen Raum bewegen, fühlen sich im Aufwind. Die brauchen die SPD nicht, wenn sie sich gegen die Gut-Verdienenden als Partei der Benachteiligten präsentiert. Auch die Senioren, das größte Wählerpotential beider Volksparteien ängstigen sich nicht so sehr. Zudem gehören immer weniger von ihnen zu den digital Abstinenten. Sie können anders als die Berufstätigen die Vorteile des Mediums gebrauchen, denn sie müssen sich nicht mehr damit bewähren. Den Berufstätigen fordert die Digitalisierung dagegen immer mehr ab. Das hätte die SPD aufgreifen können. Die zunehmende Belastung, unter Burnout verbucht, setzt den Berufstätigen zu.

Entscheidend für das Gerechtigkeitsversprechen der SPD sind jedoch die weniger Qualifizierten. Diese fühlen sich abgehängt. Sie sind in unterbezahlten Dienstleistungsjobs beschäftigt und müssen mit Entlassung rechnen. Auch den Facharbeitern droht Arbeitslosigkeit. Sie fühlen sich durch Automatisierung bedroht. Diese Gruppe kam in den Koalitionsverhandlungen nicht vor, so dass der neue Bitcom-Vorsitzende Achim Berg noch am 2. Februar einen Warnschuss abgab und eine Zahl von 3,4 Millionen gefährdeter Arbeitsplätze in die Diskussion einspeiste. In diese Felder hätte eine wache SPD vorstoßen müssen, denn da entscheiden sich zukünftige Lebenschancen. Seit den Wahlanalysen weiß die SPD, dass viele Gewerkschaftler nicht die Linkspartei, sondern die AFD gewählt haben. Mit dem Wissen hätte man doch seit September etwas entwickeln können, was den Koalitionsverhandlungen eine dynamischere Ausstrahlung hätte geben können, weil es die angesprochen hätte, die mit ihrem Leben noch etwas vorhaben. Der Juso-Chef hat auch nicht die Themen genannt, wie er das SPD-Schiff in Fahrt bringen will. Was will er mit einer SPD, die er gespalten hat.

Nicht Werte, sondern Wähler war das Ziel der Verhandlungen

Die gerade getroffen Koalitionsvereinbarungen unterscheiden sich nicht von denen der vorigen Regierung. Diese haben nicht zufällig zu dem schlechten Wahlergebnis für die SPD geführt. Mehr Geld für die, die vom digitalen Aufwind nicht profitieren und für die Älteren. Die im digitalen Aufwind Beschäftigten müssen nicht auf Geld von der Regierung setzen, sie können mit Gehaltssteigerungen rechnen. Zugleich wissen sie, dass nicht die SPD, sondern sie die Wohltaten, die sich die SPD auf die Fahne schreibt, am Ende bezahlen. Jede Gehaltssteigerung wird mit höheren Abzügen belastet. Diejenigen, die mit Wohltaten bedacht werden, wählen aber deshalb nicht unbedingt SPD. Denn wer sich von Arbeitslosigkeit bedroht fühlt, der wählt nicht unbedingt höheres Arbeitslosengeld, sondern sichere Arbeitsplätze. Bei den meisten bleibt der Verdacht: Die SPD macht das nur, damit wir sie wählen. Deshalb war Nahles als Sozialministerin kein Erfolg beschieden. Sie hätte Politik für die Zukunft der Arbeit machen müssen, damit nicht die Kostenseite für die Gut-Verdienenden das Bild bestimmt. Die würden ja die Befreiung ihrer Mitbürger aus der Armutsfalle mit finanzieren, anstatt jetzt den Sozialetat noch einmal zu erhöhen. Die Verlierer sind leicht auszumachen. Es sind nicht zuerst die Rentner, sondern die, die mit zu geringer Qualifizierung ihre Berufskarriere starten.

Die Studienabbrecher und die Hauptschüler als Entwicklungspotential entdecken

Angst vor der Zukunft müssen die haben, die mit einem Billigabitur an einer Universität angelandet, aber nicht studierfähig sind. Zahlen werden von den Ministerien deshalb nicht veröffentlicht, weil das ja das Versprechen konterkarieren würde, mit dem Abitur hätte man den Schlüssel in eine unbeschwerte Zukunft. Warum fügt die SPD mit ihrer Bildungspolitik so vielen jungen Menschen Leid zu: Die Anforderungen so herunterschrauben, dass der Einstieg in ein Studium für viele eine Fahrschein ins Scheitern ist. Und warum nicht die Hauptschulen so ausstatten, dass die Schüler eine reale Chance auf eine zukunftsfähige Berufsausbildung haben. Das wäre doch eine Umsetzung des Versprechens von Martin Schulz, dass es der SPD um den einzelnen geht. Ein Besuch in einem Lehrerkollegium einer Haupt- oder Realschule und ein Gespräch mit einem Leiter einer Ausbildungswerkstatt hätten genügt. Warum schafft es die SPD aber nicht, dieses doch sinnvolle Versprechen ihres schon wieder abgehalfterten Vorsitzenden konkret werden zu lassen:

Das Muster bricht immer wieder durch: Es geht um Posten

Die SPD ist nur scheinbar eine Partei der Abgehängten. Die haben inzwischen gemerkt, dass sie mit der SPD beruflich nicht weiterkommen. Die Lastkraftwagenfahrer, die Angestellten bei den Paketdiensten und in den Callcentern, das Krankenpflegepersonal, die Angestellten im Hotel- und Gaststättengewerbe, die Putzkolonnen. Sie können allenfalls damit rechnen, dass ihre Rente nicht zu sehr gekürzt wird, wenn die Alterspyramide die Wirtschaftsentwicklung einknicken lässt. Sie haben nämlich mit einer Partei zu tun, deren Macher nach BAT, also nach den Gehaltstafeln des Öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Die nehmen die Pakete in Empfang, kennen auch die Arbeitsbedingungen bei Amazon, aber haben das noch nie gespürt, wenn man diese Arbeit fünf und mehr Jahre gemacht hat. Denn im Öffentlichen Dienst steigen die Gehälter, kaum die Anforderungen, während in allen digital getriebenen Branchen die Herausforderungen ständig höher geschraubt werden. Das heißt konkret, dass der einzelne pro Zeiteinheit mehr leisten muss, ohne dass sein Gehalt entsprechend steigt. In einem anderen Beitrag bei explizit wurde gezeigt, dass sich die SPD da rekrutiert, wo das Parteibuch für die Karriere besonders wichtig ist. Sie hat den Kontakt mit denen verloren, die sie wählen sollen. s. Von der SPD lernen

Die Koalitionsverhandlungen und vor allem ihre Rezeption in der SPD haben dann allen gezeigt: Es geht gar nicht so sehr um die Inhalte. Die werden so gesetzt, dass man auf Wählerstimmen hofft, um dann bestimmte Posten zu ergattern. Irgendwie war es jetzt eine Umdrehung zu viel, so dass es Schulz von seinem selbstgebauten Schleudersitz herauskatapultierte und das SPD-Auto sich überschlagend die Böschung hinabschlug. Man sieht erst später, ob der Volkswagenbus mit dem Vorstand auf einem Ansatz liegen geblieben ist oder ob er in der Schlucht zerschellt. 

Geld – Wähler – Posten

Es dauerte von Mittwochnacht bis Freitag 14h. Länger brauchte die SPD nicht, um dem Land ihre einfache Logik überzeugend zu demonstrieren: Geld den Rentnern sowie denen, die beruflich nicht weiterkommen, dafür Wählerstimmen für jetzt drei der entscheidenden  Ministerien. Nur das Innenministerium und das Verteidigungsministerium waren nicht zu bekommen.

Hätte man seit dem 19. März 2017 nicht auf die magische Kraft des neuen Vorsitzenden vertraut, sondern aus "Gerechtigkeit für jeden einzelnen" ein politisches Programm gemacht, dann hätte man auch mit der Unterstützung der Besserverdiener rechnen können, zumal die durch Lindner demonstriert bekamen, dass sie die falsche Partei gewählt hatten. Denn wer hätte nicht seine Unterstützung gegeben, dass die Erzieherinnen besser qualifiziert werden, nicht so viele Studierende Jahre an der Universität verlieren, sondern da lernen, wo sie Erfolg haben, dem Facharbeiter- und Handwerkermangel gegengesteuert wird und überhaupt Menschen die Selbstachtung zurückgeben, dass sie nicht von Hartz IV leben müssen. Das hätte vor allem in den Neuen Bundesländern engagierter umgesetzt werden müssen. Politik, die den gut Verdienenden Geld abnimmt, ohne damit andere in eine Aufstiegsposition zu bringen, veruntreut nicht nur fremdes Geld, sondern nimmt den Abgehängten die Chance, nicht weiter als Drückberger und Nichtsnutze angesehen zu werden. Sind nicht die Wähler der AFD diejenigen, die sich von der Gesellschaft nicht akzeptiert fühlen, in ihrer Leistung zu wenig  gewürdigt erleben und gar als Faulpelze abgestempelt gelten. Wir können beobachten, wie das Wählerpotential der AfD weiter aufgefüllt wird, ohne dass diese Partei dafür etwas tun muss. Nur können die Wähler, die sich von der SPD hin zur neuen Volkspartei wenden, damit rechnen, als Neonazis tituliert zu werden. Aber was sollen die Menschen denn machen, wenn sich die SPD in 5 Wochen als nicht mehr wählbar präsentiert. Die AfD war es nicht, wahrscheinlich hat sie es noch gar nicht gemerkt.

Ein Kommentar von Eckhard Bieger

Links:
Digitalisierung zerstört 3,4 Millionen Stellen  
Die SPD-Funktionäre aus dem Öffentlichen Dienst kennen die Zukunftsängste der Gering-Qualifizierten nicht


Kategorie: Politik

Kommentare (1)

  1. Joachim Waldemer am 13.02.2018
    Die lobenswerten Worte auf Herrn Schulz haben
    einen bitteren Beigeschmack!War nicht er es,der
    damals vollmundig von sich gab:"Wenn ich was zu
    sagen habe,dann werde ich dafür sorgen,daß aus
    allen Schulen und öffentlichen Gebäuden die
    Kreuze entfernt werden"! Ab diesem Zeitpunkt
    haben sicher viele Menschen,darunter auch ich
    dafür gebetet,daß das nicht eintreffen wird!
    Gott sei Dank,daß Herr Schulz nichts zu sagen hat,
    wenigstens nicht so viel.

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