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Coronavirus: über die Wirtschafts- zur Staatskrise

In Zeiten des freien Marktes, des Welthandels und internationalen Produktionswegen hat die Gesundheitskrise durch das neuartige Coronavirus massive Folgen für die Wirtschaftssysteme weltweit. Die Veränderungen kommen nicht Schritt für Schritt, sondern in einem Schwall. Es handelt sich um nicht-lineare Prozesse. Wie verläuft ein solcher Prozess:

Bei den wirtschaftlichen Folgen muss man zwei Ebenen unterscheiden. Die erste Ebene betreffen die lokalen, kurzfristigen Folgen. Läden, Fabriken, Büros werden für einen begrenzten Zeitraum geschlossen. Nach und nach öffnen sie wieder ihre Tore und nehmen ihre Wirtschaftsaktivität auf. An dieser Stelle hat die Wirtschaft einen Knick gemacht, doch sie erholt sie recht rasch wieder. Anders dagegen steht es um die zweite Ebene. Dort geht es um internationale, langfristige Folgen.

Unterbrechung der Lieferketten

Da China einen Großteil der weltweiten Warenproduktion und Warenverarbeitung bestreitet, insbesondere in Hochtechnologiebereichen, werden Produktionsausfälle dort weitreichende Konsequenzen haben. Produktionsketten brechen ab. Das liegt daran, dass Fertigungsprozesse weitläufig verzahnt sind. So erfolgt die Herstellung eines iPhones in vielen unterschiedlichen Schritten, für den Einzelteile aus vielen Ländern benötigt werden. Das Gesamtprodukt besteht dann aus diesen Teilen. Es genügt ein einziger Ausfall, damit das Endprodukt nicht zusammengebaut werden kann.
Normalerweise sind Unternehmen gegen solche Ausfälle gewappnet. In ihrer Kalkulation tauchen solche Risiken auf. Wenn es bei weniger Ausfälle als erwartet bleibt, erhöht sich ihre Performance und sie verdienen mehr Geld als geplant. Wenn die Ausfälle höher als erwartet sind, dann sinkt die Performance und sie verdienen weniger Geld als geplant. Damit ein Unternehmen gut funktionieren kann, plant es solche Ausfälle also mit ein. Weder größere noch geringere Ausfälle gefährden das Unternehmen. Es ist ja einkalkuliert. Was nun aber passiert, wenn die internationalen Produktions- und Lieferketten ausfallen: die Kalkulation stimmt nicht mehr. Kredite, die auf solchen Kalkulationen beruhen, können wahrscheinlich nicht mehr bedient werden. Unternehmen kommen in Zahlungsschwierigkeiten. Auch Banken sind davon betroffen. Auch ihre Kalkulation stimmt nicht mehr.

Von der Produktions- zur Finanzkrise

Die erste Reaktion darauf ist, den Fall herunter zu spielen. Die Ketten beträfen nur China. Es würden daher alternative Ketten bei einem globalen Markt geschaffen. Es gäbe nur eine Delle bis der Markt sich angepasst habe. Dann würde sich alles beruhigen. Eine solche Reaktion hat zwei Fehler: Einerseits handelt es sich um eine Pandemie, also das Problem, was heute in China ist, ist morgen überall. Und andererseits handelt es sich in weiten Teilen um komplexe Anlagen, die Jahrzehnte an Entwicklung, Investitionen und Aufbau gebraucht haben. Man kann solche Fertigungsanlagen nicht einfach an anderen Orten aus dem Boden stampfen. Hochtechnologie ist schwer zu ersetzen und schwer zu bedienen. An Ausweichorten fehlt meist das Fachpersonal
Die zweite Reaktion darauf ist es, die Krise so zu lösen, wie man alle Krisen zu lösen versucht: Geld drucken. Man meint irgendwie, man könne alle Probleme mit Geld lösen. Die Geldpolitik der EZB im Zuge der Finanzkrise 2008 spricht hierüber Bände. Selbst wenn in diesem Fall die Druckerpresse das Problem gelöst hätte, was stark zu bezweifeln ist, so wäre dieser Problemlösungsversuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn Geld drucken kann nur bei Finanzproblemen helfen. Hier gibt es aber kein Finanzproblem, sondern ein Realproblem. Internationale Produktionsketten sind kaputt. Keine Gelddruckmaschine der Welt kann etwas daran ändern. Noch mehr Geld in die Märkte einspeisen, nutzt also gar nichts.
Gewissermaßen stellt diese Krise das Gegenstück zur Finanzkrise von 2008 dar. Damals ging die Finanzkrise in eine Krise der Realwirtschaft über. Diesmal geht die Krise von der Realwirtschaft zur Finanzwirtschaft. Allerdings wird dieser Unterschied erst sehr spät registriert werden. Denn die meisten Menschen, auch Journalisten, können mit Wirtschaftsstatistiken wenig anfangen. Dort bleibt die Krise unentdeckt. Indikator für eine Krise wird daher erst die Finanzwirtschaft sein. Wenn die Kurse an der Börse abschmieren, dann wird für die meisten das Problem sichtbar. Der Dax-Chart hat eine besondere „visuelle Evidenz“ hierbei.
Wie wir diese zweite Krise in Folge des neuartigen Coronavirus bestehen? Hier ist die Lage noch unübersichtlicher als bei der Gesundheitskrise. Die letzte in unseren Landen bekannte Wirtschaftskrise, die aufgrund realer Probleme entstanden ist, war die Ölkrise 1973. Davor liegt schon der Zweite Weltkrieg. Unsere Politiker haben damit also keine Erfahrung. Zunächst wird sie es mit Geld zu lösen versuchen. Dann setzt das Achselzucken ein. Zugleich setzt dann die nächste Krise ein: die Staatskrise. Es kommen harte Zeiten!

Von der Wirtschafts- zur Staatskrise

Angespannte Staatshaushalte haben naturgemäß Parallelen zu Krankheiten. Die Maßnahmen dagegen richten sich danach, ob die Situation akut oder chronisch ist. Aufgrund der kommenden Wirtschaftskrise gerät der sowieso schon überstrapazierte Staatshaushalt in große Schwierigkeiten. Es geht nun darum, die Folgen abzuschätzen, die aufgrund der Wirtschaftskrise den Staat in eine Krise stürzen werden.
Es ist eine Binsenweisheit, dass der Staat nur so viel Geld habe, wie er von seinen Bürgern nimmt. Doch selbst diese Einsicht hat angesichts künstlich niedriger Zinsen an evidenter Strahlkraft verloren. Strom kommt aus der Steckdose, Geld aus dem Automaten. So scheint es, doch so einfach ist es nicht.
So wie Unternehmen ihre Kalkulationen machen, so machen auch Staaten ihre Kalkulationen. Die Kalkulationen des Staates hängen von einem Faktor ab: Wirtschaft. Die letzten Kalkulationen beruhten alle darauf, dass die Wirtschaft brummte. Man hat viel Geld, weil die Steuern, Gebühren und Versicherungen in hohem Maße fließen. Bereits letztes Jahr hat diese Kalkulation schon nicht mehr gestimmt. Die Folgen der Niedrigzinspolitik haben sich gezeigt. Negatives Wirtschaftswachstum, man nennt es auch Schrumpfen, kündigte sich in einigen Branchen am Horizont an. Mit Verzögerung wäre dies auch in den davon abhängigen Wirtschaftszweigen sichtbar geworden. Schrumpfen bedeutet weniger Geld für den Staat, weil weniger Steuern, Gebühren, Versicherungen. Geld kommt nicht einfach aus dem Automaten.
Nun hat Deutschland einen massiven Sozialstaat aufgebaut, der darauf beruht, dass die Wirtschaft stabil wächst. Wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten kommt, dann kommt auch der Sozialstaat in Schwierigkeiten. Und dann beginnt eine Spirale: Leistungen des Staates können nicht mehr erbracht werden, also werden Sozialleistungen gekürzt und Stellen abgebaut. Daraufhin gibt es weniger Konsum, womit die Wirtschaft weiter an Produktivität verliert. Also werden noch mehr Menschen aus jenem Sektor arbeitslos, weniger Staatseinnahmen, usw. Es ist ein Teufelskreis.
Auch hier handelt es sich, wie bei der Gesundheits- und der Wirtschaftskrise, um nicht-lineare Prozesse. Es wird rasant gehen. Es gibt derzeit über 18 Millionen Menschen über 65 Jahre und etwa 25 Millionen Rentenbezüge. Wer soll das bezahlen? Es werden Rentenkürzungen erst monatlich, dann wöchentlich und täglich kommen, bis es nichts mehr zu kürzen gibt. Das gilt übrigens nicht nur für die gesetzlichen Renten. Auch die privaten Renten werden davon betroffen sein, weil die Zinsziele nicht mehr funktionieren, wegen der niedrigen Zinsen schon seit einigen Jahren nicht mehr. Die Kalkulationen stimmen ebenfalls nicht.

Die Staatskrise wird tiefgehende Reformen erfordern

 Wie kommen wir durch die Staatskrise? Bei der Gesundheitskrise wird es unübersichtlich, bei der Wirtschaftskrise wird es diffus, bei der Staatskrise liegt alles im Dunkel. Wir wissen nicht, was am Ende steht. Wir haben kein klares Ziel vor Augen. Eines kann man aber sagen: der Staat wird’s nicht richten. Die Lösung kommt vom Einzelnen, von der Familie, von den Keimzellen der Gesellschaft. Alle Funktionen, die der Staat übernommen hat: Renten, Gesundheitsvorsorge, Bildungswesen, Versicherungen gegen bestimmte Krisen wie Arbeitslosigkeit und vieles mehr werden wieder in die Verantwortung der kleinen Einheiten übergehen. Jeder muss zusehen, dass er einen Plan entwickelt. Dann kann „von unten“ der Aufbau einer tragfähigen Gesellschaft und einer stabilen Wirtschaftsordnung begonnen werden.
Bei der Staatskrise gibt es einen gewaltigen Unterschied zu den anderen Krisen: Während die Gesundheitskrise und die Wirtschaftskrise vorübergehende Phänomen sein werden, bleibt die Staatskrise. Corona wird überwunden werden, die Wirtschaftsordnung wird wiederhergestellt werden. Aber ob der Staat zu seiner alten Ordnung wieder zurückkehren wird? Das scheint sehr zweifelhaft.
Als individuelle Strategie bleibt wohl nur die stückweise Transformation: Man greift sich einen Bereich des Sozialstaates, am besten in der Reihenfolge des Zusammenbruchs, und schmiede einen Plan, dieses Problem zu lösen. Nach und nach reift dann eine Gesamtstrategie. Die besseren Strategien werden sich gesamtgesellschaftlich durchsetzen. Das werden die Systeme und Ordnungen der Zukunft. Die nächsten Jahre werden hart!

Links:
Die umstürzende Gewalt der Krise
Coronavirus zwingt zu Reise-Fasten


Kategorie: Politik

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