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Religiöse Kommunikation und Bildung funktionieren per Videokonferenz

Kann man digital über religiöse Erfahrungen und Gottesbilder kommunizieren? Corona beschleunigt die Digitalisierung. Unser Autor hat eine Online-Gesprächsreihe zu persönlichen Glaubensfragen organisiert und begleitet. Er beschreibt seine Eindrücke eines digitalen Bildungsformats in der Krise. Mit der Zoom-Software gelingt mit einer überschaubaren Gruppe der Austausch religiöser Erfahrungen. Es entstehen Beiträge auf der Basis der Gespräche.

Anfang Februar bekam publicatio e.V., der Medienverbund, in dem ich mit anderen Medienschaffenden zusammenarbeite, vom „Gebetsapostolat“ den Auftrag, ein religiöses Gesprächsformat medial zu organisieren und zu begleiten. Ich sagte den Auftrag seitens des Vereins zu und wurde eingeladen, auch selbst inhaltlich teilzunehmen, mich einzubringen. Ziel der Veranstaltung: Ein mehrtägiger Austausch über den Zusammenhang zwischen Gottesbildern wie Gotteserfahrungen und der Weise, wie die einzelnen beten.

Von einer Werkstatt in einem Bildungshaus zu 9 Videoeinheiten

Geplant war, sich in einer kleinen Gruppe aus verschiedenen Altersgruppen mehrere Tage in einem Bildungshaus zu treffen, sich auszutauschen. Am Ende sollten mehrere Artikel von den Teilnehmenden entstehen, eine spirituelle Schreibwerkstatt.

Wegen der Corona-Pandemie muss das geplante Treffen im Bildungshaus abgesagt werden, die Veranstaltung sollte aber nicht ersatzlos ausfallen. Der Auftraggeber ist offen für innovative Lösungen und bittet mich, eine digitale Möglichkeit für die Gespräche zur Verfügung zu stellen.

Herausfinden: Wie fühle ich mich als Teilnehmer

Ich mache mit, um herauszufinden und die Erfahrung zu machen, wie man sich als Teilnehmer bei einem derart herausfordernden Thema in einem digitalen Raum fühlt.
Kann ein persönlicher Austausch über religiöse Fragen, noch dazu zwischen Menschen, die sich bisher nicht kennen und zu sehr unterschiedlichen Altersgruppen gehören, funktionieren?

Schon für das ursprünglich geplante, „physische“ Treffen im Bildungshaus wären das herausfordernde Fragen gewesen, bei einem digitalen Format wohl erst recht, überlege ich. Wie kann ein gewinnbringender Dialog über geradezu „intime“ Glaubensthemen trotz räumlicher Distanz, über Computer oder Smartphone-App gelingen? Wird die „Technik“ eine Schranke sein?

Video leistet erstaunlich viel

Mit diesen Fragen im Hinterkopf entscheide ich mich für die Videokonferenz-Software „Zoom“. Sie ist vor allem für die gute Ton- und Bildqualität sowie für ihre stabile Audio- und Video-Verbindung bekannt, sowie für ihre einfache Bedienung und regelmäßige Updates. „Zoom“ funktioniert zudem auch bei geringer Internetbandbreite und plattformunabhängig, d.h. sowohl am Desktop-Computer als auch auf dem Smartphone oder Tablet. Relevante Fragen zur Datensicherheit konnten inzwischen zufriedenstellend beantwortet werden. Um teilzunehmen, braucht man nur einen Link anzuklicken. Als technischer Moderator lade ich die Teilnehmenden per E-Mail ein und lasse sie dann „händisch“ zur Konferenz zu, öffne also gewissermaßen die Tür vom Empfang zum Konferenzsaal für sie.

Zeitorganisation

Geplant waren zweieinhalb Tage im Bildungshaus. Durch Corona haben die Teilnehmenden mehr Zeit, sind zuhause, die Anfahrt fällt weg. So organisiere ich für fünf Tage insgesamt neun Treffen, jeweils ca. eine Stunde am Vor- und Nachmittag.

Die inhaltliche Dynamik

In der ersten Abendeinheit geht es darum, einander kennenzulernen. Die Gruppe ist aus zwei älteren Personen, Mitgliedern des Gebetsapostolats sowie zwei Jugendlichen, im Alter kurz nach der Firmung, zusammengesetzt. Ich stoße dazu und bin erstaunt, wie schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre entsteht. In der Gruppe einigen wir uns gemeinsam auf eine Vorgehensweise: Wann wollen wir über welche Frage sprechen? Wie machen wir morgen früh und am Nachmittag weiter? Es kommt nicht zu Konflikten. Dafür scheint mir vor allem die Gesprächsleitung wesentlich, man könnte auch sagen: die Moderation.
Einer aus der Gruppe sorgt für den – über die Technik – hinausgehenden „Rahmen“ der Gespräche: Er leitet jeweils eine kurze Ankommensrunde zur Befindlichkeit sowie ein Abschlussrunde an: zu Erkenntnissen der letzten Stunde und zur Stimmung am Ende des Gesprächs. Außerdem wiederholt die Moderation jeweils in eigenen Worten jeden Beitrag der anderen, diese Methode nennt man „Verbalisieren“.

Ich fühle mich mit meinen Beiträgen dadurch sehr wertgeschätzt und traue mich immer mehr, mich auch über meine religiösen Erfahrungen, Bilder und Praktiken zu öffnen. Den Eindruck habe ich auch bei den jüngeren Teilnehmenden in der Runde, die so etwas vielleicht noch nicht so gewohnt sind wie die zwei „alten Hasen“ des Gebetsapostolats, die bestimmt häufiger religiös kommunizieren. Für die Jüngeren ist dafür vielleicht die „Technik“, also das Kommunizieren mittels digitaler Medien, vertrauter.

Trotz gewisser Grenzen, die das Medium aufbaut – je nach Bildschirmgröße weniger non-verbale Kommunikation mittels Gestik oder Mimik – gelingt es doch allen, sehr tief in religiöse Fragen und Erfahrungen einzutauchen, sich zu öffnen und zu neuen Erkenntnissen und Eindrücken zu kommen. Das hatte ich persönlich nicht in der Intensität erwartet. Entscheidend war für mich, dass jeder/jede sehr persönlich von sich selbst und ihren Erfahrungen gesprochen hat, in der 1. Person Singular, also „ich“ gesagt haben. Das scheint mir – nicht nur, aber vielleicht besonders – für religiöse Kommunikation wesentlich. Religiöses Erleben, persönliche Vorstellungen und Bilder von Gott können nicht richtig oder falsch sein. Auch meine eigene Gebetspraxis kann niemand anderes bewerten. Neben dem „Verbalisieren“, dem wertschätzenden Wiedergeben dessen, was ich von den anderen gehört habe, in meinen eigenen Worten, scheint mir diese Gesprächsform ohne Bewertungen besonders gewinnbringend.

Eine kleine Krise

Gut getan hat dem Austausch auch eine Zwischenauswertung, als das Gespräch zur Wochenmitte „ins Stocken“ geriet und zäh wurde. Es war zu der Frage der Einheit schon „alles gesagt“ und wir gerieten daher auf die Ebene einer eher objektiveren, thematischen Sachdiskussion, stellten wir rückblickend fest. Auch war die Zielsetzung nicht mehr allen ganz klar.
Geholfen hat uns neben dieser Reflexion auch ein Methodenwechsel, nämlich zu einem gemeinsamen Austausch, der auch digital per Videokonferenz funktioniert hat: eine Schriftbetrachtung des Tagesevangeliums mittels der Methode „Bibelteilen“. Danach konnten wir auch einige thematische Sachfragen unaufgeregt klären und erkenntnisreich vertiefen, ohne Konflikte. Die Gesprächsleitung sorgte dafür, dass sich die verschiedenen Gesprächsebenen nicht vermischten.
Ganz am Ende der fünf Tage hat uns eine ausführliche Schlussauswertung – sowohl der Inhalte als auch des neuen Formats – ermöglicht, eine Vielzahl spiritueller Beiträge über die Erkenntnisse und vertieften Fragen der Woche, zu schreiben. Einige davon sind bereits veröffentlicht.

Die Quarantäne öffnen

In meinen eher monotonen und teilweise wenig strukturierten, öden Corona-Alltag zuhause haben die Gespräche eine neue Dynamik und Struktur hineingebracht. Ich konnte religiöse und spirituelle Fragen zu meinen Gottesbildern und meiner Gebetsweise vertiefen, womit ich gar nicht in dieser Intensität gerechnet hatte.

Nach der Corona-Krise werden auch wieder physische, nicht-digitale Treffen und Gesprächsreihen und Schreibwerkstätten möglich werden. Eine Erkenntnis dieser digitalen Weise religiöser Kommunikation: Wenn man sich als Gruppe gefunden hat, kann man durchaus die eine oder andere Einheit per Videokonferenz gestalten, um angefangene Treffen zu vertiefen und weiterzuführen. Dabei entfallen auch aufwändige Fahrten, Übernachtungs- oder Verpflegungskosten. Die Gruppe bleibt nachhaltig in Kontakt und an den Themen dran.

Matthias Alexander Schmidt
publicatio e.V.

Link (PDF): Ausführliche Auswertung der spirituellen Schreibwerkstatt

Beiträge, die aus den Gesprächen hervorgegangen sind:

1.   Corona-Schicksal=Ausrede“ von Eckhard Bieger    

2.   "Es ist oft nicht Schicksal, sondern gemacht" von Jutta Mügge

3.   "Was können wir von Gott erwarten?" von Jutta Mügge

4.   "Beten - im Kontext mit anderen" von Sonja Bayer, Lukas Rockenbach, Eckhard Bieger

5.   "Warum ich schweigend bete" von Matthias Alexander Schmidt


In Vorbereitung:

„Neu beten“: von Sonja Bayer und Lukas Rockenbach 

„Gottes Gegenwart in meiner Wahrheit“ von Matthias A. Schmidt

„Wie bete ich?“ von mehreren Teilnehmenden


Kategorie: explizit.net Medien Religion

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