Vor einem Jahr hat die Päpstliche Akademie für das Leben mit der Veröffentlichung des „Rome Call for AI Ethics“ (02/2020) die Debatte über Digitalität und Künstliche Intelligenz (KI) intensiviert. Auch die Tagung „Kirche im Web 2020“ in Stuttgart stand daher letztes Jahr unter dem Thema „Kann KI Kirche machen?!“ Ein Jahr später wurde jetzt bei der Online-Tagung „Kirche im Web 2021“ das Thesenpapier „Digitalität und Künstliche Intelligenz: Technik im Dienst der Geist-begabten und Selbst-bewussten Menschen“ der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz (11/2020) vorgestellt.
Mit zwölf Thesen möchte das Papier eine „Momentaufnahme auf die Digitalität“ sein und „als Kirche den Claim in Sachen Digitalität abstecken“, wie der katholische Medienbischof Gebhard Fürst im Vorwort betont. Gleichzeitig soll durch die Thesen auch eine Diskussion über eine „Ethik der Digitalität“ und über „Leitwerte der Digitalisierung“ angeregt werden. Der Beschluss des Thesenpapiers in der katholischen Kirche bildet den bisherigen Höhepunkt einer bereits 1997 in beiden Kirchen initiierten Diskussion, in die auch der evangelische Medienbischof Volker Jung mit seinem Buch „Digital Mensch bleiben“ (02/2019) bereits einen guten Diskussionsbeitrag – besonders zum Thema KI - geleistet hat.
Die Zeit für eine breite (ökumenische) Debatte über Digitalität in den Kirchen scheint jetzt – nach 20 Jahren eher vorsichtiges „herantasten“ an das Thema – gekommen zu sein. Und das ist gut so!
Ethische Maßstäbe für Codes
Auf den ersten Blick scheint alles wie gewohnt. Es taucht eine neue digitale Technologie (wie die Künstliche Intelligenz) auf die Kirchen tun sich zunächst schwer damit, die sich daraus ergebenen Chancen wahrzunehmen und gehen erst einmal auf Abstand. Und warnen. So wie Papst Franziskus es am 28. Februar 2020 tat, als er bei der Veröffentlichung des „Rome Call for AI Ethics“ den „unlauteren Einsatz digitaler Technologien“ kritisierte und zu einer „Regulierung von Künstlicher Intelligenz“ aufrief. Durch Papst Franziskus, der mittlerweile seit acht Jahren auf dem Stuhl Petri sitzt, ist bekannt dafür auch unerwartete Wege zu gehen. Und daher kannte er im gleichen Text das „große Potential“ der neuen Technologien an und betonte die Notwendigkeit, ethische Maßstäbe in die digitale Welt einzubringen. Konkret appellierte der Heilige Vater dafür, die „Verankerung ethischer Maßstäbe bei der Anwendung von Algorithmen“ („Algor-Ethik“) einzuführen. Diese verdeutlicht die zentrale Aussage der Kirchen, dass die Ethik der Digitalität durch Menschen und nicht in den Maschinen entsteht.
Eine Forderung, die auch Prof. Andreas Büsch, Mitautor des Thesenpapiers der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz aufgreift und darin wie folgt weiterführt: „Dabei braucht es sicherlich keinen neuen ‚digitalen‘ Werte, sondern vielmehr ein neues Wertebewusstsein, dass die ‚analogen‘ Werte auf Digitalisierung hin und in der Kommunikation durch und über digitale Meiden neu übersetzt und anwendet.“
Digitalität braucht (Leit-) Werte
Das Thesenpapier der DBK benennt als „Leitwerte der Digitalisierung“ die drei Bereiche „Menschenwürde, Freiheit und Verantwortung“. Diese sollen – gemeinsam mit den Prinzipien der Katholischen Soziallehre - dazu beitragen, über einen „verantwortungsvollen Umgang mit der machtvollen KI nachzudenken“ (Medienbischof Gebhard Fürst) und auf „menschenzentrierte Technologien“ zu setzen, die die neue Rolle der Menschen als „Prosumer“ (Produzent und Konsument) anerkannt und gleichzeitig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert und schützt. Dazu fordert das Thesenpapier für Personen identifizierbare Daten diese „aus der Kontrolle der Tech-Konzerne zu befreien.“ Dabei soll die geforderten „Regulierungen“ und Gesetze aber nur so weit gehen, dass die (digitale) „Meinungs- und Vereinigungsfreiheit“ auch weiterhin gewährleistet sind.
Rückbesinnung auf die (Kommunikations-) Wurzeln
Das DBK-Thesenpapier regt zum Nachdenken über die Grundsatzfrage an, welche Bedeutung die Digitalisierung für die Kirchen hat? Aus Sicht des Autors dieses Kommentars können die Chancen daraus gezogen werden, wenn sich das Christentum auf seine (Kommunikations-) Wurzeln besinnt.
In der Bibel wird darüber berichtet, dass Jesus Christus in seiner Kommunikation vor allem auf den direkten Dialog setzte. Mit den Menschen und mit den Jüngern, die er wiederum lossendete, um die Frohe Botschaft zu verbreiten. Und auch Paulus hatte bei seinen Reisen die „Mission“ durch die direkte Kommunikation im Fokus. Gleichzeitig zeigt die Erzählung der Bergpredigt, dass Jesus Christus auch die Ansprache vor vielen Menschen („Massenkommunikation“) einsetze, um ein „Gemeinschaftsgefühl“ zu schaffen, welches auch in der (digitalen) Kommunikation ein zentrales Element ist.
Dafür bietet die digitalen Techniken heute den passenden Rahmen. Aber gleichzeitig verdeutlicht dies den Auftrag der Kirchen, sich für Teilhabegerechtigkeit, (Medien-) Bildung und Medienkompetenz einzusetzen, damit möglichst viele Menschen die Chance zur freien (Medien-) Nutzung haben. Aber nur, wenn die Kirchen bereit sind, wieder in die direkte Kommunikation mit den Menschen einzutreten, zuzuhören und auch Antworten zuzulassen. Denn die Gläubigen gestalten aktiv die (digitale) Kommunikation mit. Wenn die Kirchen diese „Kopräsenz“ sowie „herrschaftsfreie und dialogische Prozesse“ zulassen, wie es auch das Thesenpapier fordert. Nur Mut, es lohnt sich! Denn die Covid19-Pandemie hat gezeigt, dass Digitalisierung zu einer „menschendienlichen Weiterentwicklung von Kommunikation sowie von spirituellen und liturgischen Formen“ geführt hat, so das DBK-Papier.
Über (Post-) Digitalisierung und das Fortbestehen des Analogen
Fazit: Die Kirchen sind bereit die Ära der (Post-) Digitalisierung, die das Analoge trotzdem niemals ganz verdrängen wird, mitzugestalten. Darauf weist bereits Felix Stalder im Buch „Kultur der Digitalität“ (2016) hin: „Auch unter den Bedingungen der Digitalität verschwindet das Analoge nicht, sondern wird neu be- und teilweise sogar aufgewertet“. Stalder betont, dass das „Digitale“ nicht vom „Analogen“ abgegrenzt und keine Technik in den Fokus gestellt werden sollte. Die Abgrenzung von „neuen“ und „alten“ Medien ist ebenso überholt, wie die der Unterschied zwischen „online“ und „offline“. Wer die Durchdringung aller Lebensbereiche durch Digitalität ignoriert wird trotzdem von ihr erfasst. „Sie zu ignorieren bedeutet allerdings auch, sie nicht mitzugestalten“, betonen das Thesenpapier der Deutschen Bischofskonferenz und ist auch das Credo des Buches von Medienbischof Volker Jung.
Die neue digitalen Technologien soll(t)en in den „Dienst der Geist-begabten und Selbst-bewussten Menschen“ gestellt und dabei die Digitalität im Licht des Evangeliums gedeutet werden.
Lesetipp:
Digitalität und Künstliche Intelligenz - Interview mit Prof. Andreas Büsch
Drei Fragen an den Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz und Mitautor des Thesenpapier zum Thema Digitalität und KI der katholischen Kirche:
https://explizit.net/medien/artikel/digitalitaet-und-kuenstliche-intelligenz-interview-mit-prof-andreas-buesch/
Ein Kommentar von Christian Schnaubelt (CS)
freier Journalist mit den Schwerpunkten Kirche, Medien, Datenschutz und digitale Lebenswelten
Twitter: @cschnaubelt – Web: www.kommwirt.de
Dieser Kommentar ist ein Beitrag des publicatio e.V. - Monatsthemas Kirche + Medien.
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