Sophienkathedrale in Kiew Foto: explizit.net E.B.

Ukrainische Kirche wird selbständig - Orthodoxie in Spannung

Am 11. Oktober 2019 hat der die Synode des Ökumenischen Patriarchats den Beschluss über Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in Istanbul bestätigt. Tatsächlich ist es erst der erste Schritt in der Entstehung der eigenständigen und vereinten Kirche in der Ukraine, aber der Grundstein ist gelegt. Warum spricht man in diesem Zusammenhang von großer Aufsplitterung der Orthodoxie?

Zum Foto: die Sophiekathedrale in Kiew ist ein Nachbau der gleichnamigen Kathedrale in Konstantinopel. Kiew war der erste Sitz des Metropoliten für die ostslawischen Völker, die Bischöfe wurden anfangs von Konstantinopel eingesetzt

Autokephalie setzt Vereinigung der orthodoxen Kirchen in der Ukraine voraus

Das Parlament und der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, haben die Frage der Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche im Frühjahr angeschnitten. Autokephal heißt, dass der oberste Bischof der Kirche in dem Land seinen Sitz hat. Das Wort leitet sich von Kephas, Fels, her, der Titel für den Apostel Simon Petrus. Jetzt ist die Kirche der Ukraine so nah der eigenen Unabhängigkeit, wie nie zuvor. Der Ökumenischer Patriarch mit seiner Synode hat zugestimmt, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche die Autokephalie zu verleihen. Sie setzt die Vereinigung aller orthodoxen Kirchen in der Ukraine voraus: der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche, die vor allem die Auslandsgemeinden umfasst, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats und derjenigen Vertreter der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, die bereit sind, die Russisch-Orthodoxe Kirche zu verlassen.

Die Kirchenlandschaft der Ukraine

Um die Auseinandersetzungen in der Ukraine zu verstehen, sollte man sich zuerst einen Überblick über die Konfessionen in der Ukraine gewinnen und einige historische Vorgänge berücksichtigen. Unter den orthodoxen Kirchen unterscheidet man die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (MP), Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (KP) und Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche. Dazu kommen noch lateinische wie , mit Rom vereinte griechisch katholische Christen, Protestanten und Mitglieder anderer Religionen. Folglich kann man vom vielfältigen religiösen Leben in der Ukraine sprechen. Die heiße Diskussion dreht sich allerdings um die Situation zwischen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (MP) und der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats (KP). Erstere untersteht der Russisch-Orthodoxen Kirche, derer Zentrum sich in Moskau befindet.

Gründung einer von Moskau unabhängigen Kirche

Die Geschichte der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats begann 1992, als die Ukraine unabhängig wurde. Viele Skeptiker weisen auf die Nichteinhaltung kirchlichen Normen bei der Gründung hin. Deswegen bezeichnet man die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des KP als nicht kanonisch, weil sie sich unberechtigt von der Russisch-Orthodoxen Kirche losgelöst hat.

Bereits 1991, noch vor der Gründung der Ukrainische-Orthodoxen Kirche des KP baten Vertreter des ukrainischen Klerus‘ den Ökumenischen Patriarchen um die Autokephalie. Das Hauptproblem, das bis heute aktuell ist, bestand damals darin, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche das Recht beansprucht, den ukrainischen orthodoxen Kirchen Autokephalie zu verleihen. Anders gesagt erkennt die Russisch-Orthodoxe Kirche nur die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des MP an. Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des KP ist dagegen davon überzeugt, dass sie vom Ökumenischen Patriarchen Autokephalie erhalten muss. Diese zwei polar entgegengesetzten Meinungen haben einen historischen Hintergrund.

Die ersten ukrainischen Priester wurden von Vertretern Konstantinopels getauft, gerade deswegen gilt dieses bis heute bestehende Patriarchat als „Mutterkirche“. Darauf stützt sich die Position der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des KP. Die Russisch-Orthodoxe Kirche sieht die Ukraine als eigene Einflusszone, da die Geschichte der Ukraine sich während der letzten 400 Jahre im Rahmen des Russischen Reiches und dann der UdSSR entwickelte. Folglich will die Russisch-Orthodoxe Kirche das Recht übernehmen, jeweilige Entscheidung über die Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche zu treffen. In so einer Situation einen Kompromiss zu finden, ist kaum möglich, besonders wenn man den Kriegszustand zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation berücksichtigt.

Ukraine und Russland im Krieg

Die Ukrainer sind eine gläubige Nation, deshalb gehört das Thema der kirchlichen Hierarchien zu einigen der meist behandelten Fragen. Der Wunsch, eine eigene, unabhängige Kirche zu haben, ist für das Selbstverständnis von hoher Bedeutung. Man darf auch nicht den politischen Aspekt der kirchlichen Diskussion außer Acht lassen. Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nehmen die Ukrainer alle Vorgänge im Land auch vom Standpunkt des politischen Wahlkampfs  aus wahr. Poroschenko ist heute der wichtigste politische Akteur in der Diskussion über Autokephalie in der Ukraine. Man könnte Handlungen des Präsidenten problematisch sehen und kritisch auf seine Thesen eingehen. Wenn jedoch die Rede von der Autokephalie der ukrainischen Kirche ist, gibt es kaum  Widerstand unter der Bevölkerung. Die Entstehung einer vereinigten ukrainischen Kirche hat perspektivisch zur Folge, dass die Ukraine dem Einfluss Russlands entzogen wird. Diese Entwicklung wird von der ukrainische Gesellschaft definitiv als positiv gesehen.

Folge des Beschlusses in Istanbul: Eigenständigkeit und Schisma

Die Synode des Patriarchats von Konstantinopel hat die Entscheidung von 1686 widergerufen, die die Kiewer Metropolie dem Moskauer Patriarchat untergeordnet hat. Außerdem wurde das Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, Filaret sowie das Oberhaupt der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche, Makarij, in ihrem kanonischen Status rehabilitiert. Die Entscheidung über die Autokephalie der Ukrainischen Kirche hat zudem Folgen für die Beziehungen zwischen dem Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Ökumenischen Patriarchen in Istanbul. Die Reaktion von Moskau ist jetzt ziemlich zurückhaltend, trotzdem eindeutig. Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat zum Teil die Beziehungen zum Ökumenischen Patriarchen abgebrochen. Welche Folge die Autokephalie der ukrainischen Kirche für die ganze Orthodoxie hat, wird erst nach der Übergabe des Tomos‘, das ist das offizielle Dokument zur Errichtung einer autokephalen Kirche in der Ukraine.

 

Links: Wortlaut des Beschlusses der Synode des Patriarchen in Istanbul.
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Kategorie: Kirche

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