Maria von Magdala lernt von Jesus. F: explizit.net

So gelingt Schriftauslegung

Viele haben in ihrem Leben die Bibel in die Hand bekommen. Vielleicht haben sie ein bisschen herumgeblättert und einige Passagen gelesen. Doch leicht bedröppelt haben sie das Buch auch wieder weggelegt. Andere wiederum haben an ihr einen Steinbruch gefunden – doch wie die Bibel richtig zu lesen ist, das weiß Gott allein. Die richtige Auslegung lernen wir nur von Gott selbst. Das wird an den Osterberichten besonders deutlich.

Im Wort der Bibel begegnet der Leser Gott verhüllt im Wort. Wer die Schrift liest und sie nicht versteht, sollte daher nicht verzweifeln.  Die Lesart des Christentums ist sehr befremdlich für die, die sie nicht kennen. Der normale Leser erwartet einen Text, wie man üblicherweise einen Text erwartet. Sachtext, Lyrik, Epik. Die Schrift ist ein Text und ein Text ist wie jeder andere. Wenn ich eine Banane sehe, dann weiß ich, dass es eine Banane ist. Wenn ich einen Text sehe, weiß ich, dass es ein Text ist. Die Bibel ist so schwer zu verstehen, obwohl die Sprache so einfach ist, weil sie kein Text wie die anderen Texte ist. Die Jünger dachten auch, sie wüssten, was ein Mensch ist. Doch als der auferstandene Jesus kommt, erkennen sie ihn nicht. Er hat einen Leib, er hat Fleisch und Knochen, Hände und Füße. Und doch ist er anders als alle Menschen, die Fleisch und Knochen, Hände und Füße haben. Paulus wird später versuchen, diesen Unterschied prägnanter zu fassen.
Als Jesus am ersten Abend nach Tod und Auferstehung zu seinen Jüngern kommt, stehen sie wie der „Ochs vor’m Berg“. Sie verstehen nicht. «Kneif mich einer – das ist doch nicht wahr.» Die Haltung der Jünger von damals ist auch die Haltung der Jünger heute. Der moderne Christ unterscheidet sich im Grund nicht vom Christen aller Zeiten und der Christen der ersten Zeiten. Einzig ist der Ochs vielleicht sturer und der Berg höher. Doch die Situation ist im Grunde gleich.
Auch dem Leser gilt das erste Wort Jesu an seine Jünger: «Friede euch! Ich bin es, fürchtet euch nicht!» Hat man sich auf diese Situation eingelassen, ist auch schon das schwierigste Stück geschafft. Denn das Gewicht der Lesung verlagert sich. Der Leser denkt, er müsse die Texte auslegen und mit dem Verstand zu fassen bekommen. Doch es ist Gott selbst, der kommt, um das Wort auszulegen und den Verstand zu erhellen. Im Gespräch mit Gott übernimmt Gott die Gesprächsführung. Ein solches Gespräch haben die Jünger von Emmaus erlebt.

Die Bibel hat Texte von der Auferstehung her

Die Begegnung mit dem Wort Gottes in der Lesung der Bibel ist von der gleichen Art wie die Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus. Es macht einen Unterschied, ob das Wort der Schrift ein bloßer Sachtext ist oder sozusagen ein «auferstandener» Text ist.
Dieser Sachverhalt ist das große Problem der Auslegung zu aller Zeit. Jede Epoche hat ihre Ausleger der Bibel, die ihn kennen oder gar leugnen. Das Wort Gottes hat einen «auferstandenen Leib», hat Fleisch und Knochen. Die Schriftausleger entscheiden sich wie bei der Auferstehung für zwei Wege, dieses Ärgernis zu beseitigen:

Die Auferstehung verstehen

Die Auferstehung ist rein geistlich zu verstehen. Sie ist ein Sinnbild für den Menschen dem Ideal nach. Jeder Mensch kennt auch seine Auferstehungserfahrungen und Jesus ist da nicht anders. Die Auferstehung ist etwas Geistiges oder Psychisches. Und so schöpfen wir Menschen aus dieser Erzählung psychische Kraft, um unser Leben zu bewältigen. Wie oft hören wir bei einem Todesfall: «Er lebt in meinem Herzen weiter.» Die Auferstehung findet so im Kopf statt, nicht in der realen Welt. Sie hat nichts an der leibhaftigen Seite der Welt verändert. Sie ist homöopathisch. Das ist der «gnostische Weg» - die Auferstehung zu vergeistigen.
Dann ist die Auferstehung rein leiblich zu verstehen. So wie Lazarus in sein altes Leben zurückgefunden hat, sein Leib wiederhergestellt wurde, so, das andere Verstehen, ist es auch mit Jesus passiert. Als hätten die Kreuzigung und der Tod nicht stattgefunden. Als hätte Jesus keine Wundmale gehabt. Es gibt nach dieser Interpretation nur dieses eine Leben und kein anderes. Das Kreuz Jesu ist kein Tor zu einem anderen Leben, sondern entweder Ende des Lebens überhaupt oder Verlängerung des alten Lebens. Die Auferstehung ist dann nur eine Geschichte ohne verändernde Realität. So wird sie zur Chiffre für ein Leben, was glückt, aber rein diesseitig zu verstehen ist. Es gibt nichts mehr zu erwarten. Sie ist eben ohne Veränderung der Welt. Auferstehung bedeutet hier Rekonstruktion. Lazarus wurde rekonstruiert. Er wurde kein neuer Mensch, kein anderer Mensch, sondern blieb alt. Das ist der «hebräische Weg» - die Auferstehung wegzudiskutieren.
Die moderne Bibelwissenschaft meint immer wieder, das Rad neu erfinden zu müssen und findet spritzige, neue Auslegungsmethoden der Bibel. Und dabei meint sie, wirklich etwas Neues entdeckt zu haben. Die neuen Methoden sind bei genauer Hinsicht jedoch Varianten vom «griechischen» oder «hebräischen» Weg. Mit einem Seufzen bemerkt man, dass Paulus beide Wege beschrieben und widerlegt hat. Was in neuen Gewändern daher kommt, ist in Wirklichkeit steinalt.

Der einzige Weg ist daher der Weg Jesu und der Jünger. Der Leser muss sich zu ihnen gesellen, in den Saal nach der Auferstehung hinein. Dann wird er eine Emmaus-Erfahrung machen: Jesus selbst legt ihm die Schrift aus. Und dann ist er auf dem richtigen Weg. Denn Jesus selbst ist, wie er sagt, Weg, Wahrheit, Leben.Leben.


Kategorie: Kirche

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