Quelle: Von Noir, CC BY-SA 3.0, wikipedia.de

Mauerbau, Konzil, Studentenrevolte und Synoden

Kirche in der ehemaligen DDR - heute knüpft man dort an, wo man aufgehört hat. Das führt zu großen Problemen der Kirchen im Osten. Die psychischen Folgen der Diktatur sind Angst und Misstrauen gegen Fremdes. Aber auch großes Vertrauen und enger Zusammenhalt untereinander. Hier die Zeit bis 1968 und wie beide Kirchen sich auseinander entwickelt haben.

Leitbild ist die geschwisterliche Gemeinschaft, die zum Bild der familiären Kirche führt. Es gibt eine große Nähe zu den Bischöfen. Der Bischofsmantel wurde als Schutzmantel erlebt und führte auch dazu, dass die Bischöfe alles und jedes unter ihren Mantel zu bekommen suchten. Das ermöglichte innerhalb der Katholischen Kirche zum Beispiel die Drohung des Bischofs von Magdeburg Braun dem kritischen Aktionskreis Halle, dem so genannten AKH gegenüber, ihm den Schutz seines Mantels zu entziehen und ihn der Stasi auszuliefern.
Es ist deshalb für zugereiste Westdeutsche sehr schwer, in die Gemeinden in den Neuen Bundesländern hineinzukommen, weil man so sehr als alte DDR-Gemeinde zusammenhält. 
Im Westen verläuft die Entwicklung sehr anders. Es kommt zu einer starken Institutionalisierung der Kirche, die durch die wachsenden Kirchensteuereinnahmen ermöglicht wird. Die Katholiken identifizieren sich hier mit dem Staat und seinen Vertretern, vor allem mit der CDU, weil diese viele Elemente der katholischen Soziallehre übernehmen.

Rezeption des Konzils

Die DDR-Kirche hat das Konzil noch voll mitgemacht, oder vielleicht besser ausgedrückt: Sie hat alles das mitgemacht, was vorher schon erarbeitet war. Das galt für "Gaudium et spes" nicht mehr, Kardinal Bengsch hat es nicht wie die anderen Bischöfe unterschrieben. In der Reihe von Otfried Müller zum Vatikanum II. ist nur der Textband erschienen. Es fehlt der Kommentar- u Aufsatzband dazu, nicht nur aus praktischen, sondern auch aus theologischen Gründen: Josef Ratzinger und Urs v. Balthasar im Westen und Kardinal Bengsch im Osten lehnten die anthropologische Wende ab, die die Theologie vom erlösungsbedürftigen Menschen her entwickelt. Aufs Ganze bevorzugt die Katholische Kirche in der DDR die Mittellage. Das zeigt sich in den Veröffentlichungen Leipziger Benno-Verlages.

Die Mauer und kurz danach das Konzil

a. Der Mauerbau am 13. 8. 1961 bedeutete den Zwang, sich mit dem Leben in der DDR abzufinden. Viele Verbindungen wurden gekappt. Vieles an Ressourcen ging verloren, so Bücher, Zeitschriften aus dem Westen. Das kirchliche Leben wurde in Vielem mühsamer.

b. Fast gleichzeitig mit der Mauer trat das Konzil zusammen und tagte in mehreren Sitzungswochen von 1962 - 1965. Das brachte einen Neuaufbruch. Papst Johannes XXIII., der sich der Welt öffnete, dessen Charme sich selbst der Osten nicht entziehen konnte, empfing den Schwiegersohn Chruschtschows. Er hat in Vielem auch Positionen des Ostens vertreten, so in seiner Enzyklika über den Frieden, „Pacem in terris“. Gleichzeitig war Kennedy amerikanischer Präsident, der erste Katholik auf dem Präsidentensessel, ein Schwarm der Jugend.

c. Die Studentenrevolte 1968 führte zu einem kulturellen Paradigmenwechsel im Westen, den es im Osten so nicht gegeben hat. Mit dem Ende der Adenauerära vollzog sich ein Linksruck, nicht nur politisch, sondern auch kulturell. Hier erst trennen sich die beiden Kirchen Ost und West, weil die Kirche in der DDR der neuen Orientierung, von der Frankfurter Schule geprägt, nicht folgte. Es war der Freundeskreis, der sich am 1924 gegründeten Frankfurter Institut für Sozialforschung gesammelt hat: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Siegfried Kracauer, Felix Weil, Carl August Wittvogel, Carl Grünberg. Sie mussten großenteils vor den Nazis fliehen und errichteten das Institut 1934 an der New Yorker Columbia Universität neu. 1949 kehren Max Horkheimer u.a. zurück.
Im Osten verstand man plötzlich die westdeutschen Studenten nicht mehr, auch weil sich in kurzer Zeit die Sprache völlig geändert hatte. Es gab viele neue Worte, die im Osten nicht verstanden wurden: Papier-Paper, Sit-in, frustriert, repressiv, antiautoritär, hinterfragen. Die Soziologie und die Frankfurter Schule, verbunden mit der Tiefenpsychologie Sigmund Freuds (im Osten darum „Freudomarxisten“ genannt) werden die führenden geistigen Kräfte. Obwohl die Lehre von Karl Marx eine Renaissance erlebt, kommt es zu keiner Zusammenarbeit mit der SED, erst die Terroristen, die aus der Studentenrevolte hervorgehen, erfahren konspirative Unterstützung durch den DDR-Geheimdienst. Die Revolte konkretisiert sich in folgenden Punkten: 

  • Institutionenkritik; die engagierten jungen Leute stehen links. Mit ihrem Protest-Ruf „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ sind die Talare Professoren, nicht zuletzt die der juristischen und theologischen Fakultäten gemeint. Viele junge Theologen stehen links, z. B. Johann Baptist Metz. Die heftigen Proteste führen auch zu traumatischen Erfahrungen; Josef Ratzinger bleibt durch Go-ins geschockt und geht aus Tübingen weg und bleibt geschockt. Bei einigen wird eine Wende ins Konservative. Ähnliche schlimme Erfahrungen schildert CFvWeizsäcker, Der Garten des Menschlichen: „Missbraucht als "nützlicher Idiot". Die Rache der Zyniker Marx und mehr noch Lenin. Ohnmacht schlägt um in den Terrorismus und zu einem Bruch mit der Politik.
  • Ein Dialog mit dem Marxismus, der nicht stalinistisch geprägt ist, wird versucht: Die Paulusgesellschaft findet im Tschechen Machovez einen Gesprächspartner, „Jesus für Atheisten“ ist ein Buchtitel.
  • Die sexuelle Revolution
  • Die starke Regulierung der Sexualität wird in der sexuelle Revolution aufgelöst. Das führt zu einem direkten Gegensatz der jungen Generation gegenüber der kirchlichen Sexualmoral. Der Versuch von Papst Paul VI., mit der Enzyklika „Humanae vitae gegenzusteuern, misslingt und trägt den Konflikt in die Kirche. Die Gegenposition drückt sich in folgendem Spottvers aus: "Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich zum Orgasmus komm", dieser war an eine Mauer beim Katholikentag gesprüht.
  • Im Osten enden alle Entwicklungen mit der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Panzer aus Moskau und anderen Ostblockstaaten.

Die Folgen für die Kirchen in Ost und West:

1.       Mit dem Ende der Adenauer-Ära endete die Nachkriegszeit und endeten die konfessionellen Milieus. Es begann hier erst eigentlich die intensive Säkularisierung mit der zweiten industriellen Revolution.

2.      Auseinandertreten von Religion und Kirche: die christlichen Kirchen sind nicht mehr allein die Anbieter von Religion: Mediationswelle, Jesus-people, Yoga und asiatische Religionen kommen nach Deutschland.

3.      Kritisches Verhältnis im Westen zur Kirche als Institution, speziell zu den Bischöfen: Das ist uns oft rätselhaft geblieben. Im Osten war es genau umgekehrt: die Kirche als Institution und speziell die Bischöfe als Symbol dafür gaben einen Freiraum und boten Schutz. Die beiden Kirchen waren die einzigen staatsfreien Institutionen und Garanten der innerkirchlichen Freiheit. Unsere Bischöfe waren auch viel näher am Volk. Seit dem Terrorismus musste ein westdeutscher Bischof geschützt werden. Bei uns gab es nie Sicherheitsprobleme, weil die Staatssicherheit eine viel engere Kontrolle ausübte als die westlichen Behörden.

4.      Beispiel: Konflikt zwischen dem Berliner Bischof Bengsch und der Westberliner Studentengemeinde. Grundsätzlich waren die Berliner Bischöfe lieber bei den Gemeinden im Osten.

5.      Im Westen eine typisch aufklärerische Verdächtigungshaltung: das muss man "hinterfragen"; es kam zum Bruch auch zwischen Klerus und kirchlichen Angestellten: die frustrierten Gemeindereferenten/assistenten.

6.      In den ostdeutschen Bistümern hieß das noch selbstverständlich "Seelsorgehelferin": eine naive Behandlung der Frauen in der Kirche. Es wurde selbstverständlich erwartet, dass diese Frauen unverheiratet blieben, ohne ihnen doch geistlich viel mehr anzubieten als den Status eines "Fräuleins". Freilich muss man sagen, dass diese für sich selbst zu sorgen versuchten, indem sie einen Berufsverband gründeten und darin eine eigene Spiritualität zu entwickelten.

7.      Der Westen war seitdem viel konfliktfreudiger, aber auch unglücklicher mit seiner Kirche. Es gab eine neue Pastoral: viel demokratischer und viel mehr auf die Förderung und Einforderung von Selbständigkeit ausgerichtet.

8.      Seitdem ist ein Abstand zwischen der Kirche im Osten und im Westen entstanden, die schon bei einer echten Verständigungsschwierigkeit begann. Es entstand der Verdacht: "die glauben nicht mehr richtig". Dieser Verdacht war wohl weiter im Osten, in Polen, Tschechien, der Slowakei, in Ungarn noch stärker. Das hat eine richtige Abkehr von der westdeutschen Universitätstheologie mit sich gebracht: hier wohl mehr Hans Küng das Paradebeispiel.

9.      Die Gruppen, die bei uns am ehesten diesen Geist mitvertreten hat, waren die Studentengemeinden, der Aktionskreis Halle, die Oratorianer in Leipzig.

10.    Im Osten hat sich jedoch auch ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Das ist deutlich am Zusammenbruch der Pastoral der Jesuiten zu sehen. Bis in die Konzilszeit hinein waren die Jesuitenpredigten ein Begriff: Es gab die Volksmission mit den Patres Drost, Wyrwich, Nietzsche, Kaisig. Sie hatten vor allem in den fünfziger Jahren viel Erfolg. Es gab ferner die sog. Monatspredigten, die ein aktuelles Thema aufgriffen Kroll (Jesus), Beckmann (Soziales), Retzek, Ogiermann (Glaubenszeugen Delp u Lichtenberg). Die Kirchen waren voll bis ins Konzil hinein. Dann aber gab es einen Bruch. Die Mitbrüder sagten: Wir predigen mit "fortlaufendem" Erfolg. Alle diese Aktivitäten sind eingegangen. "Es ging nicht mehr." Die allmähliche Verbreitung des Fernsehens und neue Freizeitgewohnheiten scheinen hier mit ursächlich zu sein. Die Medien waren der Kirche selbstverständlich suspekt, aber im Osten auch versperrt. Mit den Volksmissionen scheint das Missionarische überhaupt ein Ende gefunden zu haben. Im Westen kann man das mit dem Stern von Pater Leppich vergleichen, der aufging und wieder erlosch. Er konnte seine Tätigkeit in die Aktion 365 überleiten.

Es setzte eine neue geistlich-spirituelle Orientierung ein, die P. Beschorner S.J zu uns brachte. Louis Evely und andere Franzosen vermittelten diese Neuausrichtung.

Links:   Modul: Kirche in der DDR Beiträge auf explizit.net und hinsehen.net über die Kirche in der DDR Hier geht es zu den Links

1.     Kirche in der DDR- die Vorgeschichte
Der Prozess der deutschen Einheit hat uns zu Bewusstsein gebracht, dass wir im Osten und Westen in 40 Jahren nicht nur unterschiedliche Erfahrungen mit der Gesellschaft und dem Staat, sondern auch mit Kirche gemacht haben. Wir haben beide Kirchen unterschiedlich gestaltet. Dafür zuerst ein Rückblick auf die Jahrzehnte, ehe die Katholiken in zwei sehr verschiedenen deutschen Staaten lebten. Hier zum Weiterlesen

2.     Kirche in der NS-Diktatur und unter Ulbricht
Die deutsche Teilung und damit die Trennung der Katholischen Kirche führt zu einem unterschiedlichen Kirchenverständnis. Jedoch haben beide Kirchen die gleiche Vorgeschichte. Hier geht es in einem zweiten Schritt um die Zeit der ersten Diktatur, auf die für die Katholiken in der Ostzone und dann der DDR die Zweite folgt. Hier zum Weiterlesen

4.    Die neue Kirchenpolitik Honeckers und der Anfang vom Ende
Die Ostpolitik von Willy Brandt führt zum Grundlagenvertrag, ohne dass sich damit für die Christen wie auch für die DDR-Bürger Entscheidendes änderte. Die marxistische Philosophie hatte bereits mit der Niederschlagung des Prager Frühlings ihre Überzeugungskraft endgültig verloren. Vorausgegangen waren neue Ansätze. Der Staat erlaubte Synoden und Treffen ähnlich den Katholikentagen. Hier zum Weiterlesen

5.     Die Wende und die Nachwendezeit
Die Wende ging von den christlichen Gemeinden aus. Sie hat die staatlichen Strukturen verändert und die Herrschaft des Kommunismus beendet. Sie hat auch die Kirchen in den Neuen Bundesländern verändert. Sie war vor allem eine Erfahrung der Menschen im Osten. Hier zum Weiterlesen


Kategorie: Kirche

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