Evangelischer Kirchentag 1954 in Leipzig - Archivbild: Bundesarchiv / Wikipedia.de

Kirche in der DDR: die Vorgeschichte

Der Prozess der deutschen Einheit hat uns zu Bewusstsein gebracht, dass wir im Osten und Westen in 40 Jahren nicht nur unterschiedliche Erfahrungen mit der Gesellschaft und dem Staat, sondern auch mit Kirche gemacht haben. Wir haben beide Kirchen unterschiedlich gestaltet. Dafür zuerst ein Rückblick auf die Jahrzehnte, ehe die Katholiken in zwei sehr verschiedenen deutschen Staaten lebten.

Weil wir während der Spaltung Deutschlands als Kirche immer auf die Einheit der beiden deutschen Kirchen aus waren und uns die Spaltung, die vor der Mauer der Westen, nach der Mauer der Osten wollte, nicht in die Kirche hineintragen lassen wollten, müssen wir jetzt die Unterschiede in den Blick nehmen. Das ist schwer wahrzunehmen, weil der Osten weitgehend auf den Westen geblickt hat und von dort theologische und praktische Anregungen erfuhr. Erst ganz am Ende der DDR haben wir angefangen, bewusst eine eigene DDR-Theologie zu entwickeln. Unbewusst ist das vorher schon geschehen. Wir haben das aber nicht als Tugend, sondern als Not erlebt.

Erinnerung ist eine wesentliche Beschäftigung der Kirche. Durch die Erinnerung bewahrt sie ihre Identität, verinnerlicht, besinnt sich auf das, was Gott in ihrer Geschichte gewirkt hat und versucht, das zu begreifen, zu formulieren. Sie dankt und feiert es. Hingewiesen sei nur auf „Josef und seine Brüder“ von Thomas Mann. Beginnen wir aber zuerst mit den Gemeinsamen, bevor Deutschland geteilt wurde.

Kaiserzeit und Weimarer Republik

Der Kulturkampf entfernt die Katholische Kirche vom Staat. Bereits seit der Französischen   Revolution wurden die moderne Philosophie wie auch der Staat von den Katholiken eher als Gegner erfahren. Kirche und speziell Katholiken galten als Feinde des Fortschritts, als „ewig Gestrige“. Diese Gegnerschaft einte die Katholiken. Die daraus erwachsene Geschlossenheit stärkte die Beziehung zur Kirche. Eine klare und hohe Moral, soziales Engagement der meist weiblichen Orden, eine theologische Richtung, die Neuscholastik, die sich auf Thomas von Aquin und in der Form auf den französischen Philosophen Descartes stützte, die Antworten rationalistisch und autoritativ zu formulieren. Die Unfehlbarkeit und der Jurisdiktionsprimat, also das direkte Eingriffsrecht des Papstes, sowie die Ernennung der Bischöfe durch den Vatikan waren die Antwort auf die Moderne. Ebenso die Ekklesiologie, die Lehre von der Kirche. Sie wurde als "societas perfecta“ hingestellt, als perfekte Gesellschaft. Zu ihr musste man gehören, wenn man die ewige Seligkeit erlangen wollt. Das wurde mit der Lehre begründet, dass es außerhalb der Kirche keinen Weg zum Heil gibt, "extra ecclesiam nulla salus": Es gab auch Menschen, die Christen waren, doch von der wahren Lehre abwichen, Häretiker und Schismatiker. Ihnen gegenüber gab es keine Toleranz. Nur gegenüber den Juden, Moslems, Heiden. Nicht aber gegenüber denen, die aus der Kirche austreten. Das war ein Erbe der frühen Kirche. Für die Kirche selbst wurde das biblische Bild des Leibes Christi übernommen, das der geistigen Bewegung der Romantik im 18. Jahrhundert entgegenkam, die von der Tübinger Schule, der damals innovativen Theologie, als Alternative zur Neuscholastik übernommen wurde. Es war auf der einen Seiter eine spirituellere und nicht eine organisatorische Sicht, die andererseits Gefahr des Triumphalismus barg, bis dahin, dass die Kirche und Christus als eine einzige Größe gesehen wurden. Bei zu geringer Unterscheidung von Christus und Kirche wurde die Kirchenmitgliedschaft zur direkten Zugehörigkeit zum Leib Christi. Entweder man gehört durch die Kirche zum Leib oder nicht. Eine gestufte Zugehörigkeit war kaum denkbar.

Odo Casel ein Benediktinermönch von Maria Laach, er lebte von 1886 bis 1948, entwickelte eine „Mysterien-Theologie“ Er schreibt:

"Das Mysterium ist eine heilige kultische Handlung, in der eine Heilstatsache unter dem Ritus Gegenwart wird; indem die Kultgemeinde diesen Ritus vollzieht, nimmt sie an der Heilstat teil und erwirbt sich dadurch das Heil" (Das chrl Heilsmysterium, Regensburg 1935,79, vgl. B. Neunhäuser, Art.: Mysterientheol, in: HTTL Bd 5). Leo XIII. Enz. Satis cognitum,

Pius XII. eröffnete mit der Enzyklika Mystici Corporis von 1943 einen Aufbruch heraus aus einem juridischen Kirchenbild und führte diesen Ansatz in der Enzyklika über die Liturgie „Mediator Dei“ 1947 weiter.

 

Die Bedeutung der katholischen Verbände

 

a.      Das katholische Verbandswesen entstand bereits im Zusammenhang mit der Demokratiebewegung und fand sich 1848 zum ersten Katholikentag zusammen.

b.      Die Jugendbewegung, die vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Wandervogel begann, entwickelte sich in der Weimarer Republik und lebte nach Verbot durch die Nazis im Untergrund weiter. Es war eine Jugend mit einer Vision und mit vielen positiven Werten. Es war eine Protestbewegung gegen die Rauschebärte, gegen die Stubenhocker und Biertrinker. Man entdeckte die Gitarre, die Lederhose und das Leben in der Natur. Der katholische Quickborn war aufmüpfiger und frecher, bei den Pfarrern unbeliebter, aber dort waren die Ideen. Neu-Deutschland, heute KSJ, der Jugendverband der Gymnasiasten, war in der Hand der strammen und zuchtvollen Jesuiten. Da gab es nicht eine solche Kreativität. Die Gemeinschaftsmesse ist vom Quickborn entwickelt: deutsche Lieder wurden wie heute zu den jeweiligen Abschnitten der Messe gesungen, während der Priester die Messgebete in Latein teilweise laut sprach, bei Gesang jedoch leise. Die Gymnasiasten waren ebenso wie andere Jugendverbände für diese Form der Messfeier aufgeschlossen.

c.      Die Katholiken hatten eine positivere Sicht der Weimarer Republik, es endete der Kulturkampf, sie waren nicht mehr unter einen protestantischen Kaiser Bürger Zweiter Klasse. Sie fanden hatten sich bereits vor 1914 zu einer Partei zusammen, die sich Zentrum nannte, weil die Katholiken im preußischen Landtag in der Mitte des Plenarsaales ihren Platz hatten.

d.      Der Kulturkampf: Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil, das den Papst besonders heraushob, galten die Katholiken als nicht national genug. Sie wurden durch Gesetze sehr eingeschränkt, viele Priester erhielten Predigtverbot. Diese Zeit wird „Kulturkampf“ genannt und hat die Katholiken in ein gesellschaftliches und intellektuelles Defizit gedrängt. Es kam zum Bildungsnotstand der Katholiken. Die Katholische Kirche wurde zu einer Kirche der kleinen Leute. Sie wollten daher auch eine prächtige Kirche, die etwas darstellt. Hier liegt ein soziologischer Unterschied zur evangelischen Kirche, die großbürgerlich war.

Heute ist die Katholische Kirche eine reiche, eine des gehobenen Mittelstandes. Im Osten ist die Evangelische Kirche in den letzten Jahren eine bürgerbewegte und grün/alternativ bis anarchische geworden, mit einem problematischen Verhältnis zum Staat überhaupt

Der Autor, Thomas Gertler, ist im katholischen Eichsfeld aufgewachsen, Mitglied des Jesuitenordens geworden. Er hat über „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils promoviert, war bis 1998 in Erfurt und wurde dann mit Leitungsaufgaben im Orden betraut.

 

Links:   Modul: Kirche in der DDR Beiträge auf explizit.net und hinsehen.net über die Kirche in der DDR Hier geht es zu den Links

2.     Kirche in der NS-Diktatur und unter Ulbricht
Die deutsche Teilung und damit die Trennung der Katholischen Kirche führt zu einem unterschiedlichen Kirchenverständnis. Jedoch haben beide Kirchen die gleiche Vorgeschichte. Hier geht es in einem zweiten Schritt um die Zeit der ersten Diktatur, auf die für die Katholiken in der Ostzone und dann der DDR die Zweite folgt. Hier zum Weiterlesen

3.     Mauerbau, Konzil, Studentenrevolte und Synoden
Kirche in der ehemaligen DDR - heute knüpft man dort an, wo man aufgehört hat. Das führt zu großen Problemen der Kirchen im Osten. Die psychischen Folgen der Diktatur sind Angst und Misstrauen gegen Fremdes. Aber auch großes Vertrauen und enger Zusammenhalt untereinander. Hier die Zeit bis 1968. Hier zum Weiterlesen

4.    Die neue Kirchenpolitik Honeckers und der Anfang vom Ende
Die Ostpolitik von Willy Brandt führt zum Grundlagenvertrag, ohne dass sich damit für die Christen wie auch für die DDR-Bürger Entscheidendes änderte. Die marxistische Philosophie hatte bereits mit der Niederschlagung des Prager Frühlings ihre Überzeugungskraft endgültig verloren. Vorausgegangen waren neue Ansätze. Der Staat erlaubte Synoden und Treffen ähnlich den Katholikentagen. Hier zum Weiterlesen

5.     Die Wende und die Nachwendezeit
Die Wende ging von den christlichen Gemeinden aus. Sie hat die staatlichen Strukturen verändert und die Herrschaft des Kommunismus beendet. Sie hat auch die Kirchen in den Neuen Bundesländern verändert. Sie war vor allem eine Erfahrung der Menschen im Osten. Hier zum Weiterlesen


Kategorie: Kirche

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