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Die Kirche auf dem Weg in eine digitale Welt

Viele Wochen fanden keine öffentlichen Gottesdienste statt. Gerade zu Ostern traf das die Kirche besonders hart. Die Kirche kämpft mehr als sonst darum, nicht in Vergessenheit zu geraten. Vielerorts haben sich digitale Gottesdienstangebote und Glaubensimpulse entwickelt: Eucharistiefeiern werden gestreamt, Bischöfe stehen Userfragen Rede und Antwort, gemeinsame Gebetszeiten finden auf Skype statt und Impulse werden über Social Media verbreitet. Ein Interview mit Pater Eckhard Bieger SJ.

Wegbereiter von Kirche in der Digitalen Welt war Pater Eckhard Bieger SJ. Er war Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das ZDF. Was sagt er zur momentanen Entwicklung? Und welche Chancen und Gefahren sieht er in der Corona-Krise für die Kirche?

P. Bieger, die Bandbreite neuer Angebote seit Corona ist kaum überschaubar. Wann funktionieren Konzepte besonders gut?

Das lässt sich, glaube ich, nie vorhersagen. Meistens ist es Zufall, worauf ich persönlich im Internet stoße. Junge Gläubige, die gerade Angebote schaffen, sehen das Internet als Spielfeld. Sie beobachten, testen aus was funktioniert und verfolgen das weiter. Jesus hat 30 Jahre als Mensch gelebt und Menschen beobachtet, bevor er angefangen hat zu handeln. Das ist unser Vorbild. Wir müssen schauen, wie Menschen handeln, was sie interessiert. Viele suchen Beteiligung. Deshalb funktionieren Gottesdienste im Internet und viele andere Angebote. Ich kann mich innerlich beteiligen.

Wie sehen Sie die kirchliche Medienpräsenz während der Corona-Krise in Deutschland?

Wir betreiben leider immer noch zu viel Informationspolitik. Es müssten viel häufiger Menschen aus der Basis zu Wort kommen und Zeugen eines alltäglichen Glaubens sein. Die Medien erzählen nur vom Papst, einem Bischof oder dem Vorsitzenden einer Vereinigung. Das trägt zur Institutionalisierung bei. Kirchliche Medienarbeit soll nicht zuerst über eine Institution informieren. Das langweilt die Menschen auf Dauer. Sie muss Glauben vermitteln und Menschen betreffen. Die Kirche hat Inhalte. Aber ich habe eine Lebensorientierung. Ich lebe meine Religion. Glauben ist immer persönlich. Das müsste mehr zur Geltung kommen.

Sicherlich kam diese Erkenntnis nicht von heute auf morgen. Vor welchen Herausforderungen standen Sie am Beginn Ihrer Tätigkeit beim ZDF?

Als ich 1982 beim ZDF anfing, war gerade ein großer Umbruch in Gange: Die ersten Privatsender kamen auf. Während die öffentlich-rechtlichen Sender vor allem informieren wollten, ging es den Privaten um Unterhaltung. Das führte natürlich zu Quotenverlusten bei ARD und ZDF. Ganz besonders bei den kirchlichen Formaten, die nur der theoretischen Information dienten.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich wollte gute Inhalte interessant vermitteln. Die Redaktion dachte mehr vom Inhalt her. Ich versuchte, vom Medium her zu denken. Was kann ich mit der Kamera machen, um Glauben zu vermitteln. Der damalige Kulturchef Hans Helmut Hillrichs entwickelte die Sendung „37 Grad“. Dort erzählen Menschen frei aus ihrem Leben und von ihrem Glauben. Mit diesen Persönlichkeiten konnten sich die Zuschauer besser identifizieren, als mit den kommentierten Berichten. Die Sendung existiert bis heute.

Wie haben Sie diese Erkenntnis auf Gottesdienste angewandt? Deren Übertragung spielt ja aktuell eine große Rolle.

Die Inszenierung war das Entscheidende. Als erste Maßnahme habe ich den Kommentator abgeschafft. Er hat den Zuschauern erklärt, was gerade passiert. Das hat verhindert, dass sie den Gottesdienst erleben konnten. Sowohl Fernsehen, als auch Glauben leben von der inneren Beteiligung. Die Erklärungen waren zu theoretisch.

Aber können die Zuschauer dennoch verstehen, was in der Messe passiert? Es schauen ja sicherlich nicht nur Katholiken zu.

Das ist richtig. 30% der Zuschauer hatten eine andere Konfession. Wolfgang Fischer entwickelte damals eine Mystagogische Bildregie, was ich sehr unterstützte. Papst Gregor der Große, auf den unsere Art Gottesdienst zu feiern zurückgeht, muss ein genialer Dramaturg gewesen sein. Die Kirche ist voll von Riten und Bildern. Die sprechen aus sich selbst heraus, wenn man sie gut transportiert. Das ist auch im Internet die Herausforderung

Was bedeutet das konkret für den Gottesdienst?


Nehmen Sie das „Heilig“: Es ist der „Lobgesang des Himmels“. Das wollten wir bildlich darstellen. In Kirchen symbolisieren oft große Gewölbe den Himmel. Statt also den Chor oder die Gemeinde einzublenden, filmten wir die Weite des Kirchenraumes. So haben wir Schritt für Schritt jeden Teil der Messe analysiert und gestaltet. Damit brauchte es keinen Erklärer mehr.

Das bedeutet, auch im Internet muss vom Medium, nicht vom Inhalt her gedacht werden. Haben Sie Beispiele, wo kirchliche Medienarbeit gerade gelingt?

Dort wo die Kirche junge Leute einfach machen lässt, da gelingt Glaubensvermittlung. Ich bin über 80 und analog im Kopf. Die jungen Leute setzen sich mit den Medien anders auseinander. Sie betreiben auf den online-Kanälen der Kirche religiöse Arbeit. In der aktuellen Krise schaffen sie die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen. Das ist eine neue Möglichkeit, die das Internet bietet.

Was denken Sie kommt nach der Krise? Kehren die Menschen vom Webstream wieder in die Kirchenbank zurück oder wird sich das kirchliche Leben grundlegend wandeln?


Ich befürchte, viele Leute werden sagen: „Das Medium reicht mir.“ Entscheidend wird sein, wie wir darauf reagieren. Wird das Thema im synodalen Prozess vorkommen? Letztlich werden diejenigen weiterkommen, die jetzt digital aktiv sind. Wer gerade etwas begonnen hat, kann nach der Krise weitermachen.

Das Interview wurde von Marius Hübner, einem Studenten des Studienprogramm Medien der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main geführt.

In der Rubrik "Junge Feder" bietet explizit.net jungen Autorinnen und Autoren die Gelegenheit, zu publizieren und unterstützt damit die Ausbildung des journalistischen Nachwuchses. 


Kategorie: Junge Feder

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