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Zwischen Uniformität und Homogenität?

(explizit.net) Über Priesterseminare und Priesternachwuchs

Die Statistik der Priesterausbildung zeigt einen Abwärtstrend. 2008 wurden erstmals weniger als 100 Neupriester geweiht. Mit diesem allgemeinen Rückgang geht allerdings ein anderes Phänomen einher. Deutsche Priesterseminare bilden nicht den gesellschaftlichen Querschnitt ab. Das ist einer der Gründe, warum viele Zimmer in den deutschen Priesterausbildungsstätten leer stehen.

(explizit.net) Über Priesterseminare und Priesternachwuchs

Die Statistik der Priesterausbildung zeigt einen Abwärtstrend. 2008 wurden erstmals weniger als 100 Neupriester geweiht. Mit diesem allgemeinen Rückgang geht allerdings ein anderes Phänomen einher. Deutsche Priesterseminare bilden nicht den gesellschaftlichen Querschnitt ab. Das ist einer der Gründe, warum viele Zimmer in den deutschen Priesterausbildungsstätten leer stehen.

Kirche als solche „milieuverengt“

Die SINUS-Milieu-Studie, die im Auftrag der deutschen Bischöfe auch für die Katholiken ausgewertet wurde, lässt keinen Zweifel an der These, dass die katholische Kirche in Deutschland im Wesentlichen nur noch in drei von zehn Milieus überhaupt vertreten ist. Die Macher der SINUS-Studie legten eine Art Landkarte der bundesrepublikanischen Lebensstile an und unterscheiden zehn dieser Welten, die sie Milieus nennen. Die Kirche verwirklicht sich im sogenannten „konservativ-etablierten Milieu“, im „Traditionellen Milieu“ und mit etwas Abstand auch im Milieu der „Bürgerlichen Mitte“. Interessant ist allerdings, dass Katholiken vor allem in den Milieus der „Prekären“ als der auf Sozialhilfe Angewiesenen wie auch in dem „expeditiven Milieu“ der gut ausgebildeten und sozial Experimentierfreudigsten wenig vertreten sind. Woher kommt das?

Es ist inzwischen erwiesen, dass sich die religiöse Landschaft individualisiert. Ein enger religiöser Rahmen ist für den modernen Performer eher hinderlich, er will selbst wählen, woran er glaubt und sei es eine aus mehreren Traditionen und Religionen synkretisierte Lehre. Das wäre ein Hauptgrund, warum die Kirche auch das expeditive Milieu kaum erreicht, das eigentlich an Spiritualität interessiert ist. Bei den Prekären ist die Lage allerdings differenzierter, da dieses Milieu generell den höchsten Anteil von Konfessionslosen aufweist. Das prekäre Milieu zeichnet sich eben dadurch aus, dass es sich gesellschaftlich verlassen fühlt und in jeder Hinsicht „arm“ ist – so auch im Religiösen. Die Frustration über Institutionen richtet sich auch gegen die Kirche und ihre Vertreter. Das äußert sich im Internet wie in Umfragen. Hier ist Kirche Zielscheibe der Kritik dieser Personengruppe.

Deutsche Seminare – die bürgerliche Konservative

Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass nur die Milieus, mit denen sich die Kirche beschäftigt, in den Seminaren anzutreffen ist. „Gleiches und Gleiches gesellt sich gern“. Die deutsche Gemeindepastoral ist zwar nominell für jeden Menschen offen, denn Kirche grenzt niemanden von sich aus, aber es scheint an Anziehungskraft zu mangeln, um andere Milieugruppen zu erreichen, in denen Menschen mit einer Berufung zum Priestertum vorhanden sind, die sich aber nicht von denen gemeint fühlen, die das Leben der Gemeinden bestimmen. Die Arbeit an der Basis geschieht zwar theoretisch nach dem Motto „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Weib; denn ihr alle seid einer in Christus“. Aber faktisch fühlen sich von der jetzigen kirchlichen Kultur nur noch wenige Milieus angesprochen. Dass zeigt sich in der Besetzung deutscher Pfarrgemeinderäte, den Angebote der Erwachsenenbildung oder auch die Kostenpflichtigkeit von Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, mit der man per se gewisse weniger solvente Gruppen der Gesellschaft ausschließt. Die Crux an dieser Milieuverengten ist eben, dass die Kirche sich ihre Priester „züchtet“. Wenn sich die Prekären oder die Migranten in ihrer Gemeinde nicht mehr wohlfühlen können, so werden sie das Priesterseminar nicht als einen attraktiven Lebensweg sehen, in dem der Ausschnitt der Bevölkerung anzutreffen ist, zu dem sie auch schon in der Gemeinde nicht gehören. Bedenklich ist weiter, dass Zuwanderer, die aus katholischen geprägten Kulturen kommen, in Deutschland nicht den Weg zum Priestertum finden.

Das klassische katholische Milieu und die Einwanderer

Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Im ersten Halbjahr 2012 wanderten etwa 17.000 Iberer, fast 60.000 Rumänen, circa 18.000 Italiener und über 25.000 Ungarn nach Deutschland ein. Die größte Gruppe der „innereuropäischen“ Zuwanderer sind die Polen gewesen. Fast 90.000 von ihnen wanderten nach Deutschland ein. Unter den hier genannten Immigrantengruppen finden sich starke katholische Kräfte. So gibt es heute in jeder deutschen größeren Stadt mehrere muttersprachliche Gemeinden, oft mit eigenen Priestern aus dem Herkunftsland. Trotzdem treten die Söhne zugewanderten Ausländer selten, zu selten, in deutsche Seminare ein. Es gibt natürlich auch ausländische Priesterkandidaten; diese studieren allerdings häufig aufgrund von Bistumspartnerschaften in Deutschland, um dann nach einiger Zeit wieder in ihrem Heimatland als Pfarrer wirken zu können. So spiegeln deutsche Seminare nicht die gesamtgesellschaftliche Milieulandschaft wider, von Spätaussiedlern bis hin zu den innerdeutschen Milieus: Wenig Kandidaten kommen aus diesen Bereichen, die Mehrzahl aber ist eher dem klassischen „konservativen Milieu“ zuzuordnen. Fazit: Die Integration in deutschen Gemeinden funktioniert auf der Ebene der Berufungspastoral nicht. Ebenso sieht es gesamtkirchlich gesehen in den eigenen Reihen aus. Dort hat die Kirche die geforderte Integration, zumindest auf der Leitungsebene und den Gremien, nicht umgesetzt.

Der demografischen Entwicklung Rechnung tragen

Hier würde es sich anbieten, Wege zu gehen, die z.B. das Land Hessen oder Hamburg mit Beamten in der Verwaltung oder Polizeidienst vor einigen Jahren eingeschlagen hat. Die Pluralisierung der Gesellschaft und der damit einhergehenden Probleme und Chancen nahm man ernst und stellte vermehrt Beamte mit Migrationshintergrund ein. Zusätzlich nahm man sich verstärkt der hier verorteten ausländliche Presse an und warb dort um Nachwuchs. Ein ähnliches Modell würde in der Kirche auch funktionieren. Zieht man Migranten in den Gemeinden stärker in die Arbeit ein, schafft man Voraussetzungen, dass Eltern und Kinder sich mehr im katholischen Milieu wohlfühlen und somit der potentielle Nachwuchs gefördert wird. Das wäre dann nicht nur pragmatisch gedacht, sondern Umsetzung des Evangeliums in der Pastoral. Diese Pastoral muss ihre strategische Ausrichtung ändern.

Pastorale Strategien ausweiten und ändern

Was sich streng militärisch anhört, deutet auf die Richtung hin, zu der es gehen soll: Berufungen wachsen durch persönliche Begegnung, sie sind Frucht menschlicher Beziehungen und Erfahrungen. Wenn diese Erfahrungen fehlen, können auch keine Berufungen wachsen. Kontakte, Begegnungen und Kommunikation sind entscheidend. Diese müssten milieuübergreifend verstärkt werden. Vor allem das Wahrnehmen von Zuwanderergemeinden und die Integration von ausländischen Gruppen innerhalb der Gemeinde muss die katholische Kirche in Deutschland intensivieren. Die Gefahr einer Parallelpfarrei innerhalb einer Gemeinde durch Sprachbarrieren ist zu beachten, zumal katholische Gemeinden oft ohnehin sehr zersplittert sind – durch neue geistliche Gruppen mit exklusivem Programm und wenig offener Aktivgruppen.

Das eigentliche Problem

Wenn die Kirche nicht mehr alle Milieus erreicht, fühlen sich viele von ihr allein gelassen. Sollte sich diese Bewegung fortsetzen, wäre das nicht nur im Gegensatz zum Evangelium Jesu Christi stehen, es hätte nicht zuletzt den Nachteil einer Abschottung in „zweiter Instanz“. Diese setzt eben dann ein, wenn die Kirche nicht nur aus diversen Gründen einige Gruppen in der Gesellschaft mit ihrer Botschaft weniger erreicht, sondern sich gar als unfähig erweist, die neuen Milieus anzusprechen. Es ist kein Gerücht, dass die liturgische Sprache, die oft als Selbstbeweihräucherung wahrgenommene gottesdienstliche Feier und der mitunter mondäne Lebensstil einiger Kleriker für viele abschreckend wirkt. Wenn allerdings das Milieu, das sich von solchem Verhalten abgestoßen fühlt, nun gänzlich wegbleibt, fehlt der Kirche das Korrektiv, die mahnende Stimme, die sie von totaler Selbstzelebration und Selbstzirkulation abhält. Wenn sich an der beschriebenen Milieuverengung in deutschen Seminaren nichts ändert, hat die Kirche nicht nur ein kleines Problem mit uniformen „bürgerlich-traditionellen“ Klerikern, sondern auch jenes einer eher defizitären Seelsorge für die Nöte und Interessen der Prekären, Expeditiven und der Mehrheit der Jugendlichen.

<emphasize>Thomas Porwol und Moritz Hemsteg</emphasize>



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