Wo die wahre Grenze der Kirche verläuft

In der zweiten Episode der Leidensankündigungen Jesu bricht etwas Neues auf. Die Jünger, stellvertreten diesmal durch Johannes, brechen ihr Schweigen und fragen diesmal nach. Wie ist das mit Leuten, die im Namen Jesu handeln? Jesus gibt Antwort: Wer nicht gegen uns, der ist für uns.

Bei der ersten Leidensankündigung brachte Jesus Petrus hinter sich. Petrus wollte nicht, was im Gott im Sinn hat. Also wurde er mit harscher Kritik bedacht und wieder ordentlich in die Reihe eingepasst. «Auf Linie bringen» könnte man dazu sagen. Auch die Zeit heute kennt diesen Umgang sehr gut. Fast kein Tag vergeht, ohne dass in der Politik irgend ein Abweichler «auf Linie gebracht» wird. Funktioniert die Gefolgschaft Jesu wie eine Partei, wo Menschen «auf Linie gebracht» werden?

Solches Denken ist sehr weit verbreitet: Katholisch ist ein Etikett wie sozialdemokratisch, liberal oder bürgerlich. Wer dieses Etikett trägt, der fühlt sich zu einer bestimmten Partei gehörig. Auf religiöser Ebene sind es die konfessionellen Etiketten: katholisch, protestantisch, reformiert, freikirchlich. Sie wirken wie Parteiabzeichen. Im Personalausweis kann man sie ablesen: rk, ev, usw. Und sie zieren dann auch die Parteigliederungen: evangelischer Kindergarten, katholische Schule. Man bringt alles «auf Linie».

Nun fragt Johannes Jesus: Wie ist das mit Leuten, die nicht bei uns sind und in deinem Namen Dämonen austreiben? Er stellt die Parteifrage. Er fragt nach. Die Jünger hatten bereits eine Antwort: Du läufst nicht bei uns mit, ziehst nicht Jesus hinterher, also bist du raus. Du kannst nicht in Jesu Namen sprechen, wenn du nicht das Etikett trägst. Doch Jesus sagt das Gegenteil: Wer etwas in meinem Namen tut, und das Erfolg hat, dann kann dieser gar nicht so verkehrt sein. Man soll ihn lassen. Er gehört sogar in einem gewissen Sinne zu der Gefolgschaft Jesu.

Die Grenze heute verläuft bei den Etiketten und Parteibüchern. Die Grenze Jesu verläuft wo ganz anders. Aber was ist anders? Drei Dinge: Ruf statt Interesse, Universalität und die bleibende Gegenwart Jesu.

Der Parteiler schließt sich einer Gruppierung an, weil sie die gleichen Interessen verfolgen. So funktioniert Politik heute. Es ist ein pragmatischer Interessensausgleich. Jeder bedient Klientele. Seit Habermas ist das Interesse der Zentralbegriff der Politik. Sie definiert sich quasi darüber. Bei Jesus und damit dem Reich Gottes ist es ganz anders. Da finden sich keine Klientele zusammen, die ihre Interessen voranbringen wollen und daher eine Parteiung begründen. Es suchen nicht die Jünger ihren Jesus, sondern Jesus sucht und ruft die Jünger. Er ist nicht die Speerspitze einer Bewegung, die ihn auf diesen Posten gestellt hat, sondern er ruft jeden, ruft frei jenseits aller Bewegungen und Interessen. Die von Interesse geleitete Politik wird von unten aufgebaut. Diejenigen unten wollen und diejenigen oben folgen ihnen. Jesus ist oben und ruft und die Unteren folgen. Es ist also genau umgekehrt.

Auch die grundlegende Perspektive ist anders. Die Politik heute besteht aus Zweckverbänden, die ihr Eigeninteresse für legitim halten und es über die sog. politische Meinungsbildung durchsetzen wollen. Die idealistisch gesinnteren Menschen legen dafür vielleicht sogar ihr Eigeninteresse ab und ersetzen es durch ein gemeinsames Interesse. Politik ist die Bühne für vereinzelnde Interessensgruppierungen. Das Gesamte und das «für alle» kommen aus dem Blick. Jesus ruft die Jünger aus allen Lebenssituationen und aus allem Eigeninteresse. Das Ziel der Jünger bestimmen nicht sie selbst, sondern Jesus gibt es ihnen. Er belehrt sie über die Ziele. Es sind die Ziele Gottes. Diese Ziele liegen jenseits allen Eigeninteresses. Man könnte sagen: Jesus verändert das Interesse der Jünger. Er will, dass ihr Wille sich seinem Willen, dem Willen des Vaters, angleicht. Und der Wille des Vaters ist universal. Er gilt für alle.

Schließlich ist die Art des Handelns anders. In den Parteiungen möchte jeder sein Interesse durchsetzen. Jeder ist dabei «seines Glückes Schmied». Die Gruppe ist eine Hilfe dafür. Bei Jesus ist es umgekehrt. Jesus ist «deines Glückes Schmied». Er selbst ist es, der das Glück bewirkt; nicht seine Jünger. Er vollbringt das. Alles, was die Jünger tun, bewirken nicht sie selbst, sondern Christus in ihnen. Sie handeln «in seinem Namen». Es ist nicht ihr Handeln. Sie sind nur Gesandte, nur Postboten. Sie sind Stellvertreter Christi. Jesus handelt durch sie.

Es gibt leider eine Übersetzungsschwierigkeit von «in seinem Namen». Manchmal ist es übersetzt als «um seinetwillen». Zwischen «um jemandes willen» und Stellvertretung «in seinem Namen» gibt aber es einen gewaltigen Unterschied: In der Stellvertretung ist der Vertretene der Handelnde. Wer in Jesu Namen handelt, da handelt Jesus selbst. Wer aber um Jesu willen etwas tut, der bleibt der Handelnde. Man macht es Jesus zuliebe. Man erfüllt ihm einen Gefallen.

Jesus sagt damit auch: Es ist zu wenig, etwas mir zuliebe zu tun. Es muss weiter gehen, so dass ich selbst der Handelnde bin. Ich handle durch dich. «Um Christi willen» ist noch in der Logik der Partei. «In Christi Namen» liegt jenseits dessen.

Man darf also diese zwei Paar Stiefel nicht verwechseln: Christliche Adoption und Adoption durch einen Christen, katholischer Kindergarten und Kindergarten für Katholiken, katholische Kirche und Kirche für Katholiken.

Es kommt darauf an, dass wir wie Petrus «auf Linie» mit Christus sind. Welches Etikett uns dabei angeklebt wird, das kann uns herzlich egal sein. Ein staatlicher, also konfessionsloser, Kindergarten kann mehr «auf Linie» mit Christus sein, als ein katholischer Kindergarten. Er ist dann katholisch im Sinne des Glaubensbekenntnisses und der Kirche. Andernfalls kann ein katholischer Kindergarten überhaupt nicht «auf Linie» mit Christus sein. Er ist dann katholisch im Sinne von Soziologen und Politikwissenschaftlern

Das Evangelium mit der Frage des Johannes; Markus 38-48



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