(explizit.net) ... den Verlassenheitsschrei der Leidenden aushalten
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Der Karfreitag kommt im öffentlichen Bewusstsein dem, was er wörtlich meint, in diesem Jahr besonders nah: Das althochdeutsche „kara“ heißt so viel wie „Klage“ oder „Trauer“. Der Karfreitag ist ein Trauertag, ein Tag der stillen, meist frommen Klage.
Karfreitag angesichts der Flugzeugabsturzes
Die große Trauer um die beim Absturz des Germanwings-Airbus letzte Woche ums Leben gekommenen 150 Passagiere drängt dazu, den gesetzlichen Feiertag Karfreitag in diesem Jahr als einen über konfessionelle Besonderheiten hinausgehenden öffentlichen Trauertag spürbar werden zu lassen. - Aber wie soll das gehen? Ist der herkömmliche Karfreitag, an dem die „Passion verlesen und das Sterben Jesu als Erlösungssieg gefeiert“ wird, bedeutungsoffen genug? Gehen die bekannten Liturgien nicht von zu vielen geglaubten Selbstverständlichkeiten aus? Von wohlmeinenden Gesten eines in sich fest gefügten Symbolsystems?
Wer bei der ökumenischen Trauerfeierlichkeit am Mittwoch in Haltern dabei war, dem Ort, an dem mehr als 1.000 Menschen Abschied genommen haben von den 16 Schülerinnen und Schülern und den zwei Lehrerinnen, die beim Absturz des Airbus in den französischen Alpen ums Leben gekommen waren, wird tiefgehend berührt gewesen sein, auch davon, wie eine solche öffentliche Form des Trauerns und Wehklagens in kirchlichem Rahmen gelingen kann. Wie individuelle Formen von Sprachlosigkeit und Trauer zu gemeinsamen Gesten der Fürsprache und des Abschieds werden als einer Verbundenheit im Tod - und über ihn hinaus.
Frage an Gott: Warum
In Haltern wurde der Gedanke laut: „Wo warst du, Gott? Wo bist du jetzt? Ist das dein Wille?“ Not-wendige Fragen, die unter normalkirchlichen Umständen entweder gar nicht gestellt oder schon als beantwortet gelten. Im Unterschied zu solcher Milieuverschlossenheit durfte in Haltern hingegen gestammelt, umarmt, geschwiegen und geweint werden. Das symbolische Bedürfnis der Trauernden, das sich in einem Meer von Kerzen, in Kondolenzbüchern, Gedenktafeln und in der Nennung der Namen der Opfer ausdrückt, trifft hier auf das kirchliche Angebot einer seelischen Bergung - als Tröstung wie als gemeinsamer Raum für offene und offen bleibende Fragen.
Gerade diese Verbindlichkeit gemeinsamen Aushaltens macht den Unterschied und stiftet das Verbindende. Es spielt keine Rolle, wer glaubt oder nicht, wer welcher Religion oder Konfession angehört. Im Gedenken der Toten verbindet vor allem der sprachlose Zweifel, nicht das Wissen; verbindet die Frage, nicht die Antwort. Das gemeinsame Fragen nach dem Sinn des Ganzen, gerade auch des Katastrophischen, ist ein Fragen nach Lebenswissen, dem Überlebenswissen der Menschen. So schauen heute am Karfreitag viele Menschen in besonderer Weise auf das Leben des Jesus von Nazareth. Gerade weil er sich der Ungerechtigkeit des Lebens, der Angst und Verzweiflung auf einzigartige Weise gestellt hat, fühlen sich Menschen mit Jesus im Bunde. Nicht durch eine Glorifizierung seiner Kreuzigung. Jesus wollte seine Hinrichtung nicht, ebenso wenig, wie Menschen in Flugzeugen abstürzen wollen.
Der Evangelist Markus überliefert den menschlichen Verzweiflungsschrei Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15, 34) Für nicht wenige Theologen ist dieser Schrei Jesu anstößig. Ein Gottessohn schreit nicht vor Angst. Der Evangelist versteht den Schrei als eine sprechende Geste, gewissermaßen als „deutendes Wort“ Jesu selbst. Er ist die einzige Aktion, die von ihm selber ausgeht. Alles Andere im Zuge der Hinrichtung tun andere. Nur dieses einzige Mal, in eben diesem Schrei lässt Markus Jesus selbst die Initiative ergreifen.
Warum dieses Stummbleiben Gottes?
Wie im richtigen Leben: Der Verlassenheitsschrei Jesu bleibt ohne Antwort.
Die Neutestamentlerin Margareta Gruber versteht den Schrei Jesu als zweistufige Botschaft: „Jesus teilt die Gottverlassenheit der Menschen; darin ist er all denen ähnlich, die an der Ungerechtigkeit dieser Welt zerbrechen. Aber dieser Schrei zeigt noch etwas Anderes: Jesus wendet sich in dieser äußeren und, so mag man ahnen, auch inneren Finsternis an seinen Vater, auch wenn ihm der nur noch als der ferne „Gott“ erscheint. Dieses Festhalten an der Beziehung auch ohne eine hörbare Antwort aus dem verschlossen bleibenden Himmel sagt etwas über die Größe seiner Liebe, seines Vertrauens und seiner Glaubenskraft.“
Der Vorhang zerreißt
Der Evangelist beschließt die Todesszene mit einem mächtigen Ereignis, einer späten Antwort Gottes: „Da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei.“ (V. 38) Der Vorhang ist der symbolische Himmel, der vor dem Allerheiligsten im Tempel hängt. Er hat die Funktion, Gott, den Heiligen, vom Nicht-Heiligen der Welt zu trennen. Diese Trennung ist nun hinfällig. Eine Trennung zwischen Orten, wo Gott anwesend, und solchen, wo er prinzipiell abwesend ist, überzeugt nicht mehr. Deshalb kann Gott in der Todesstunde Jesu als im Gekreuzigten gegenwärtig geglaubt werden.
Stellvertretend für diese Hoffnung, dass Gott den Menschen auch im Tod nicht allein lässt, steht im Markusevangelium ausgerechnet der Verantwortliche des Hinrichtungskommandos Jesu. Ihm legt Markus sein Glaubensbekenntnis in den Mund: „Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (V. 39)
<emphasize>Ludger Verst</emphasize>
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