Anders als im Industriezeitalter ist das gesellschaftliche Umfeld für die Kirche nicht geeignet, so etwas wie Volkskirche zu reanimieren. Die Wirklichkeiten, denen Menschen standhalten müssen, laufen nicht aus Solidarität hinaus, sondern legen individuelles Durchkommen nahe. Nicht das Passagierschiff, sondern das Kajak ist das Fortbewegungsmittel im Strom der Postmoderne. Je jünger, desto schwieriger wird die konkrete Alltagswelt erlebt. Die Schriftstellerin Sophia Fritz sieht sich auf sich selbst zurückgeworfen: ich habe so viel mit mir zu tun, mich zu orten, das Viele zusammenzubringen, dass ich mich nicht noch um eine Institution, um eine Partei oder eine Kirche kümmern könnte. Sie spricht für ihre Altersgruppe, die jungen Erwachsenen. Diese müssen nicht antiautoritär reagieren, denn die Vierzig- und Fünfzigjährigen pochen nicht auf ihre Autorität, sondern auf Sachzwänge. Die Zwänge sind aber von ihnen selbst gemacht und in den Regelungen und Routinen der Institutionen, in der Durch-Bürokratisierung von allem und jedem verankert. Die Macht wird, ganz dem Kapitalismus entsprechend, auch in den Volkskirchen, durch Geld ausgeübt. Das Geld, die Bedingungen, es zu bekommen, die Kontrolle des Geldes bestimmen die Abläufe in den kirchlichen Verwaltungen. Geld teilt die Verwaltung einer Diözese zu oder verweigert es. Eine spirituelle Ausstrahlung, also eine Führerschaft durch die Idee, eine Konzeption, die in der Wirtschaft "Marketing" genannt wird, ist für eine kirchliche Verwaltung nicht notwendig, solange die Kirchensteuer fließt.
Warum ist Spiritualität angesagt
Schaut man auf das Produkt, das "verwaltet" wird, dann sind es nicht materielle Güter, auch nicht Reisen, Musik oder Schauspiel, sondern Haltungen gegenüber anderen, eine geistig inspirierte Beziehung zum Leben, die im Alltag durch Gebet, Teilnahme am Gottesdienst und "Werken der Nächstenliebe" Wirklichkeit wird. Wenn mit Spiritualität das persönliche Verhältnis zur Wirklichkeit gemeint ist, eine Beziehung, die bewusst gestaltet wird, die auch immer eine geistige Auseinandersetzung beinhaltet, um nicht einfach vom Zeitgeist gelebt zu werden, dann geht das nicht mit der Verwaltung der Geldmittel. Nun ist eine kirchliche Verwaltung kein Aktienfonds, denn das Geld wird für Gebäude und Gehälter ausgegeben, also für Seelsorger und Seelsorgerinnen, Küster und Hausmeister, Chorleiter und Organisten, Erzieherinnen und Bildungsreferenten. Jedoch schwächelnden gerade die Gottesdienste und Bildungsveranstaltungen, die so etwas wie Vorbeter und Referenten brauchen.
Spiritualität braucht nicht die bisherigen Hauptamtlichen
Für die Pfarreien beschäftigt die Kirche gut ausgebildete Theologen und Theologinnen, damit Gottesdienste u.a. Veranstaltungen stattfinden können. Die Hauptamtlichen sind dazu da, Vorträge zu halten, vorzubeten, sich überhaupt auszudenken, was Thema werden soll und für die Beschäftigung mit dem Thema den Ablauf zu gestalten. Wenn die Analyse zutrifft, dass die Individuen sich auf sich zurückgeworfen fühlen, um für sich eine Lebensform zu entwickeln, die ihrem Leben Orientierung und Stabilität verspricht, dann drängen sie nicht in Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen, um gemeinsam einer feindlichen Umwelt standzuhalten, so wie in Zeiten der Industrialisierung, des Kulturkampfes, in Kriegen und Diktaturen. Es gibt diesen äußeren Widerstand, die personifizierten Gegner nicht mehr. Es sind die Sachzwänge, die nicht zu bewältigende Informationsflut, die täglich geforderte berufliche Anpassung. Darauf gibt es keine nachvollziehbare "katholische" Antwort, sondern nur das Gespräch im kleinen Kreis, wie andere mit diesem Leben fertig werden. Die Hauptamtlichen in den Pfarreien können aus ihrer bisherigen Rolle dazu wenig beitragen. Die Form der eher monologischen Gottesdienste, die Vorträge in den Bildungswerken, die Andachtsformen, die noch gepflegt werden, unterstützen zu wenig die Prozesse, die die einzelnen durchlaufen müssen, um in der Postmoderne zu einer christlichen Spiritualität zu gelangen. Wollten die kirchlichen Verwaltungen diese Prozesse steuern, dann müssten sie wohl selbst spirituelle Zentren werden, so wie die Benediktinerabtei im frühen Mittelalter, der Franziskanerkonvent, die Predigerseminare der Dominikaner, die Kollegien der Jesuiten. Sie verstehen sich jedoch als diejenigen, die wissen, wie es eigentlich in den Pfarreien und Bildungswerken laufen müsste. Jedoch viel zu selten übernehmen die vor Ort Tätigen die Modelle, die in den Verwaltungen ausgedacht werden. Da die Verwaltungen selbst nicht die Gläubigen direkt erreichen, sind sie auf die Seelsorger und Seelsorgerinnen angewiesen, die umsetzen, was in der Zentrale entworfen wird. Da hat es der Vertragshändler einer Autofirma einfacher. Er bekommt das Produkt von der Zentrale geliefert. In den Pfarreien kommt nur Papier an. Manches wird umgesetzt, so für die Erstkommunion- und Firmvorbereitung. Vieles wird gleich dem Papierkorb überantwortet. Das führt in der Zentrale zu Frust. Man hat sich viel Mühe gegeben, die aber von den Angesprochenen nicht honoriert wird. Damit wird das Geld zum Steuerungsmittel. Noch weitreichender ist die Auswirkung auf der Gefühlsebene. Als „bischöfliche“ Verwaltung sehen sich die Mitarbeiter*innen als Teilhaber an dessen Autorität. In einem Kurs von Jungpriestern wurde das so beschrieben: “Wir haben bei der Priesterweihe dem Bischof gehorsam versprochen. Jetzt haben wir in der Bischofsstadt 100, die sich als unsere Vorgesetzte fühlen. Wer in der bischöflichen Verwaltung nicht das Risiko eingehen will, dass sein Konzept auf Ablehnung der Hauptamtlichen in den Pfarreien trifft, verlässt sich auf die Dienstleistungen, di eingespielt sind. Neben der Fixierung auf das ein weiterer Grund, warum kirchliche Verwaltungen nicht die Brutstätte von Innovationen sind.
Wenn die katholische Kirche in Deutschland ihre Relevanz zurückgewinnen will, dann hilft vielleicht ein Blick in die Geschichte zurück. Die Protagonisten spiritueller Aufbrüche, Benedikt, Franziskus, Dominikus, Ignatius v. Loyola, Charles de Foucauld u.a. begannen in vergleichbaren Zeiten religiösen Abschwungs, sich intensiv auf die Wurzeln des Christentums einzulassen. Sie waren immer biblisch inspiriert und entwickelten in der Auseinandersetzung mit der Krise eine neue Geisteshaltung. Durch eine Lektüre-, eine Mediations- und Gebetspraxis durchformten die neu gewonnene Geisteshaltung die Alltagspraxis. Nach einer solchen stabilisierenden Spiritualität sind diejenigen jungen Menschen auf der Suche, die sich nicht einfach von den Konsumversprechen ihres jeweiligen Milieus leben lassen wollen.
Dass heute die persönliche Orientierung und ein beruflicher Neuanfang nicht mehr in der Solidarität mit anderen, sondern alleine gefunden werden muss, stellt Heinrich Peckmann an einem Lokaljournalisten dar, der von einem auf den anderen Tag mit 120 anderen Kollegen und Kolleginnen seinen Arbeitsplatz und damit seine bisherige Tagesstruktur und Aufgabestellung verliert.
Heinrich Peuckmann, Aus der Spur, Kulturmaschinenverlag Hamburg,
Link: Sophia Fritz, Gott hat mir nie das Du angeboten
Wie spüre ich, woran erkenne ich, dass Gott mich liebt? Das ist die Frage, die jede Reflexion in den zusammengestellten Kapiteln des Buches von Sophia Fritz durchzieht. Anders als im menschlichen Zusammenleben gibt es keine Reaktion Gottes auf ein Gebet, einen Hilferuf. In den Texten der Autorin spiegelt sich das Empfinden, das unser Leben begleitet, seit die religiöse Sicherheit in den siebziger Jahren einem anderen Lebensgefühl wich.
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