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Gott hat mir nie das Du angeboten

Wie spüre ich, woran erkenne ich, dass Gott mich liebt? Das ist die Frage, die jede Reflexion in den zusammengestellten Kapiteln des Buches von Sophia Fritz durchzieht. Anders als im menschlichen Zusammenleben gibt es keine Reaktion Gottes auf ein Gebet, einen Hilferuf. In den Texten der Autorin spiegelt sich das Empfinden, das unser Leben begleitet, seit die religiöse Sicherheit in den siebziger Jahren einem anderen Lebensgefühl wich.

Für den wesentlich älteren Autor dieser Besprechung ist das Buch die Bestätigung, dass die früheren Sicherheiten sich aufgelöst haben, nicht nur im Religiösen, sondern auch in den Beziehungen. Die Autorin findet dafür knappe Beobachtungen über sich selbst. Besonders drastisch diese Selbsteinschätzung: "Jetzt habe ich Angst davor, dass ich meinen Ehemann irgendwann so ansehen werde wie ein Probeabo, das ich vergessen habe, rechtzeitig zu kündigen." (S. 94)
Sie versteht sich jedoch nicht als Skeptikerin, die erst zu glauben bereit ist, wenn es hieb- und stichfeste Beweise gibt. Das Buch lohnt nicht zuletzt deshalb die Lektüre, weil die Autorin ihre Fragen durcharbeitet, nicht rational, sondern mit biblischen Personal, so Jonas und Petrus, Eva und Maria Magdalena, und so mit den Fragen in ein Verhältnis kommt. Die Fragen bleiben weiter offen, so das Lebensgefühl, von den Notfällen und Katastrophen rund um den Erdball in ein Schuldgefühl gedrängt zu werden, von dem nur Ohnmacht bleibt. 

Für das Religiöse Worte finden 

Weil die Autorin mit ihrer Sprache nahe am inneren Erleben bleibt, kann ich das Buch nicht in einer Besprechung zusammenfassen. Es ist die Sprache direkt aus dem Empfinden heraus, die Reflexion, die die Autorin in der U-Bahn, bei einer Party, beim Einkaufen anstellt. Wer die Kapitel liest, traut dem eigenen Empfinden und Nachdenken mehr. Vieles hat man so erlebt, gefühlt. Es braucht diese Sprache, um das eigene Empfinden wahrzunehmen. Wer predigt, Religion unterrichtet, Exerzitien begleitet, kann sich bei Sophia Fritz in die Worte finden, wie man mit der eigenen Sprache wieder näher an das Religiöse heranreichen kann. Sie zeigt: Man muss die Sätze nicht aufmischen, nicht spektakulär werden, sondern findet die Worte im Hören auf sich selbst. Es ist auch kein politischer Anspruch notwendig, wohl aber das Umgehen mit dem Alltäglichen, dem Einkaufen, wie ich meine Wohnung einrichte, was Mails, Posts, Tweets und WhatsApp mit mir machen, wie ich Menschen erlebe. Hier gibt es Beobachtungen, die in zwei Zeilen etwas auf den Punkt bringen: „Ich weiß nicht, ob nicht das einzig Besondere an Jesus ist, dass er als Einziger nicht so voll von sich selbst ist. In ihm schien viel mehr Platz zu sein. Ich bin so überquollen von mir selbst, ich wollte mich nur mitteilen, nur verstanden werden und Jesus war zum ersten Mal jemand, der Gefallen an mir fand, ohne mich zu brauchen.“ Das legt sie (auf S. 144) Zachäus, dem kleingewachsenen Zöllner, in den Mund. Einmal die Frage an mich, ob bei mir nur Platz für mich ist oder auch für andere Menschen. Und zugleich eine Hinführung zur Dreifaltigkeit Gottes. Wäre Gott nur für sich, dann hätten wir keinen Platz in ihm.

Die Seelengänge erforschen

Ob die Text gewordenen Selbstbeobachtungen, die Erfahrungen und Reflexionen eine solche Wirkung wie die Sprachinnovationen Luthers haben werden, kann man nicht absehen, den Texten aber wünschen. Obwohl aus katholischem Hintergrund geschrieben, seien die Kapitel auch den Predigern der evangelischen Kirchen empfohlen. Nicht die Politisierung der Religion kann Luther in die Gegenwart holen. Vielmehr ist es die Beziehung des einzelnen zu Gott, das Ringen, das von Gott in der Schwebe-Gehalten-Werden, das die Menschen kennen, aber aus der erstarrten Kirchensprache nicht mehr heraushören können. Das Buch ist deshalb nicht nur eine Reportage über die inneren Wege, sondern gerade für die katholische Seite der Ausweg aus den gestanzten Formulierungen, die viele Menschen schon aus den Kirchenbänken vertrieben haben. Ebenso bietet die Autorin eine Alternative zur Politisierung des Religiösen, wie es die Achtundsechziger immer noch versuchen. Das ist kein Heilmittel für eine Generation, die sich über die Aussichtslosigkeit des Politischen keine Illusionen macht, sondern deutlich sieht, dass Menschen nur endlos an der Unvollkommenheit der menschlichen Existenz herumwerkeln können, ohne je Gerechtigkeit und Frieden zu etablieren. Der Zustand des Menschen bleibt labil, Sophia Fritz stellt sich der Condition humaine und endet mit einem Gemälde des Himmels. Das sollte man aber erst lesen, wenn man sich von der Autorin durch die Seelengänge des postmodernen, digitalen Zeitalters hat führen lassen. 

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Kategorie: explizit.net Gelesen

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