So weit weg liegt der Gedanke nicht. Wer kennt nicht, wie unerträglich man werden kann, wenn man an Krankheit zu leiden hat? Wie immer: Jesus weist den Weg.
Wer das Krankenlager aufgeschlagen hat, der liegt auf vielerlei Weise nieder. Zwei der Beeinträchtigungen behandelt das heutige Evangelium: das Auf-jemanden-angewiesen-sein und die Einsamkeit.
Das Angewiesensein
Der Evangelist Markus macht uns auf einen merkwürdigen Umstand aufmerksam: Nachdem das Fieber von der Schwiegermutter gewichen war, umsorgte sie Jesus und die Jünger. Nicht ausdrücklich gesagt, aber damit angedeutet, ist der Unterschied zu vorher: Wer krank ist, der sorgt nicht, sondern wird umsorgt. Man ist auf Hilfe angewiesen. Jeder Single weiß, wie unglücklich der Umstand ist, dass niemand da ist, der sich um einen kümmert. Wer geht zur Apotheke, wer besorgt den Einkauf? Je schlimmer die Krankheit, desto größer die Abhängigkeit und der Bedarf an Fürsorge. Doch noch mehr: Wie schwer erträglich ist es für schwieger-mütterlicher Gefühle, sich nicht um seine Kinder und deren Freunde sorgen zu können, sie bemuttern zu können?
Jesus behebt dieses Problem. Er fasst die Schwiegermutter an der Hand. Er gibt ihr Geleit und richtet sie wieder auf. Ist es nicht das größte Privileg einer Mutter, Hände zu halten? Kindern Stütze zu sein und sie aufzurichten und aufrecht zu halten? So wie eine Mutter umsorgt, so umsorgt in erster Linie Jesus. Und er richtet in einem zweiten Schritt die Mutter selbst wieder auf. Damit führt er sie zurück in ihr Muttersein.
Damit zeigt sich ein christliches Grundgesetz: Wer umsorgen will, der muss sich als allererstes von Jesus selbst umsorgen lassen. Wer helfen will, der muss sich helfen lassen. Wie gerne hilft man! Aber wie ungerne will man geholfen bekommen! Erst recht von der Schwiegermutter! Jesus rückt uns gerade.
Krankheit macht einsam
Bei dieser Schwiegermutter-Szene gibt es aber noch eine interessante Bemerkung: «Sie sprachen mit Jesus über sie.» Es ist nur natürlich, sich auszutauschen und zu beraten, wenn jemand das Bett hüten muss. Doch es zeigt auch jene charakteristische Distanz, die vom Kranken ausgeht. Dabei handelt es sich nicht nur um eine biologische Distanz, etwa wenn Ansteckungsgefahr besteht. Vielmehr geht es um eine seelische Distanz. Krankheit macht wirklich einsam. Die Menschen um einen herum halten nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre seelische Gegenwart fern. Die Nähe und damit auch die menschliche Wärme gehen verloren. Der Kranke erfährt Einsamkeit. Krankheit ist daher einer der effektivsten Situationen, um mit sich selbst ernst machen zu müssen.
Die meisten Menschen fliehen vor sich selbst. Dabei sehen das Krankenbett und die Wohnzimmercouch oft verblüffend ähnlich aus. Die Flimmerkiste rauscht Augen und Ohren voll, damit man sich selbst weder hören noch betrachten muss. Echte Krankheit nimmt einem die Möglichkeiten, sich derart zu betäuben. Krankheit wirft auf sich selbst zurück. Man kann sich nicht entfliehen. Wer Zahnschmerzen hatte, weiß das nur zu gut.
Menschen, die mit ihrer Einsamkeit keinen Frieden geschlossen haben, sind unerträglich. Die Einsamkeit ist die eigentliche Krankheit der Seele. Die äußere, körperliche Krankheit ist nur das Fenster, durch das sie ans Tageslicht kommt. Der Einsame ist mit nichts zufrieden. Er will immer im Mittelpunkt stehen, fordert immer Aufmerksamkeit ein. Er bettelt um Beschäftigung, um Zeitvertreib. Denn er hält es nicht mit sich selbst aus. So sucht der Einsame sich an jedem Halme festzuklammern, der ihm über den Weg läuft. Mit der Zeit werden die Enttäuschungen heftiger. Ist jemand da, der sich umsorgt, reicht dessen bloßer Aufbruch in die Küche, vielleicht um einen Tee zu kochen, aus, um ihm einen Mangel an Liebe vorzuwerfen.
Der kranke Mensch verhält sich nicht wie üblich. Daher meint er auch, mehr Liebe und Rücksicht verdient zu haben als sonst. Schließlich ist die Lage ungewöhnlich. Doch damit kaschiert er nur seine Einsamkeit, seinen inneren Unfrieden. Die Krankheit ist daher der Prüfstein eines jeden Menschen. Sie offenbart die Seele besser als jedes Beichtgespräch. Dann zeigt sich der Mensch in seiner Tiefe, weil er der Kräfte beraubt ist, sich anders zu geben, als er in Wahrheit ist.
Neuorientierung auf dem Krankenlager
Es ist kein Zufall, dass der Heilige Ignatius von Loyola auf dem Krankenlager Frieden und Umkehr gefunden hat. Dort wurde er mit sich selbst konfrontiert. Zwar war er ein Soldat, ein wackerer Kämpfer. Doch die wahre Schlacht hat er nicht auf dem harten Feld gewonnen, sondern auf Daunen. Dort hat er die Einsamkeit besiegt. Und das ist der größte Sieg, den ein Mensch überhaupt erringen kann. Ähnlich Franz v. Assisi, der Monate verletzt auf dem Bett liegen musste.
Gebet beginnt mit der Einsamkeit
Jesus zeigt uns, wie wir den Kampf gewinnen: «In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten.» Jesus flieht nicht vor der Einsamkeit, sondern er sucht sie auf. Die Einsamkeit ist der Ort des Gebetes. Dort findet das intime Zwiegespräch mit Gott statt. Das ist das Paradoxe. Man erwartet, dass Jesus betet, um die Einsamkeit zu besiegen. Doch umgekehrt sucht Jesus die Einsamkeit auf, um zu beten.
Auch hier rückt uns Jesus gerade: Wer betet, dass Gott die Einsamkeit wegnehme, der betet gar nicht, sondern verfehlt sich radikal. Jesus lehrt uns, dass echtes Gebet erst dort beginnt, wo wir einsam sind. Wir sollen die Einsamkeit nicht von uns werfen, wie ein besudeltes Gewand, sondern annehmen und tragen. So wird aus einer Schwäche eine Stärke. Wie viel Kraft braucht es, um aus seinem Gemeinschaftsbedürfnis herauszutreten und die Einsamkeit aufzusuchen! Der Heilige Geist hilft uns. Denn er ist der «Geist, der in die Wüste führt», also an den Ort der Einsamkeit und so zum Ort des Gebetes.
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