Das Gesetz war eine der Hauptforderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Verabschiedung des Gesetzes ging eine lange Geschichte des Streitens, Verhandlungen zwischen den ukrainischen Behörden und internationalen Organisationen, der gegenseitigen Schuldzuweisungen und politischen Manipulationen voraus. Auf den ersten Blick ganz gewöhnliche politische Prozesse. Hier handelt es sich aber um Antikorruptionsbekämpfung, eines der schmerzhaftesten Themen in der Ukraine.
Neben dem Antikorruptionsbüro ein eigenes Gericht
Seit mehr als fünf Jahren kann man die Etablierung der auf die Bekämpfung der Korruption Institutionen in der Ukraine beobachten. Diese Institutionen setzten sich zum Ziel, ein Gegengewicht zum schon existierenden System der Strafverfolgungsbehörden durch Staatsanwälte und Gerichte aufzubauen, indem sie sich ausschließlich mit den Korruptionsfällen befassen. Im Rahmen dieses Modells wurde das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) gegründet, welche die vorgerichtlichen Untersuchungen durchführt. Die für die Aufdeckung der Korruption zuständige Staatsanwaltschaft (SAP) bereitet den Gerichtsprozess vor und übergibt die Fälle dem Gericht.
Am 7.Juni hat das Parlament der Ukraine, die Werchowna Rada das Gesetz verabschiedet, das die Tätigkeit einer neuen Institution, des Obersten Antikorruptionsgerichts regelt. So bildet sich der komplette Mechanismus zur Korruptionsbekämpfung heraus, von Feststellen des Korruptionsfalls bis zum gefällten Urteil.
Logischerweise stoßen die Antikorruptionsbehörden auf den Widerstand des alten Systems, das offensichtlich stärker ist. Obwohl die Unabhängigkeit der neuen Institutionen und deren Leiter gesetzlich gewährleistet sind, wird weiter Druck auf sie ausgeübt. Einiges spricht schon für erfolgreiche Versuche. Zudem können einige politische Akteure in der Ukraine die Chefs von SAP und NABU beeinflussen. Als Folge besteht eine Gefahr, dass einzelne Fälle das Oberste Antikorruptionsgericht nicht erreichen. Als Beispiel dafür könnte Erfahrung der Slowakei bei der Gründung der Antikorruptionsinstitutionen dienen.
Stimmungen unter den Ukrainern
Für die Ukraine ist es heute viel wichtiger, die Unabwendbarkeit der Strafe für das begangene Verbrechen zu garantieren, als eine jahrelange Haft, ob es um Korruptionsfälle oder andere Delikte geht. Dadurch könnten die Strafverfolgungs- sowie die Justizbehörde zeigen, dass sie ihre institutionelle Position verstärken und mehr Vertrauen gewinnen. Damit wird auch der ukrainische Staat gestärkt. Ein besondere Rolle spielt das posttraumatische Syndrom der ukrainischen Gesellschaft, das nach der „Revolution der Würde“ und dem Krieg im Osten entstand. Es speist sich aus der Unzufriedenheit der Bürger über die unzureichende Umsetzung der Forderungen, die mit den Demonstrationen 2013/14 auf dem Majdan-Platz erhoben wurden. Die Ukrainer wollen die Ergebnisse “hier und jetzt" sehen. Neue Strukturen können aber nicht so schnell wie damals erwartet, aufgebaut werden. Daher empfinden die Bürger jeweilige Zwischenniederlagen sehr akut, die auf die geringe Effektivität der Regierung zurückzuführen ist, gleich ob eine Initiative positiv ist oder nicht.
Nicht ohne Stolpersteine
All diese Faktoren muss man bei der Einschätzung der Perspektiven des neuen Antikorruptionsgerichtes berücksichtigen. Das Gericht kann seine Arbeit aufnehmen, entscheidend ist jedoch die Berufung seiner Richter. Die Hauptfrage besteht darin, wie man die Richter zum Antikorruptionsgericht auswählt, damit sie sich qualitativ von anderen unterscheiden und indem sich nicht selbst korrumpiert sind. Als einziger erfolgsversprechende Regelung wurden Vertreter der internationalen Organisationen in das Auswahlverfahren einbezogen. Diese Lösung wird von der Öffentlichkeit deshalb unterstützt, weil ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung besteht. In der Endversion des Gesetzes wurde ein Kompromiss erreicht. Die Vertreter der internationalen Organisationen sowie die ukrainischen Beamten wählen die Richter aus. Dabei haben die Auslandspartner ein Vetorecht, wenn die Richter ihrer Meinung nach die Forderungen des Antikorruptionsgerichts nicht erfüllen.
Aktuelle Korruptionsfälle kommen nicht vor das neue Gericht
Der Teufel steckt aber im Detail. Jetzt ist es noch nicht klar, auf welche Weise diese internationalen Vertreter gewählt werden, und ob die Regierenden ihre Protegés “hineinschieben” können. Zu alledem stößt jetzt das Gesetz oder genauer gesagt eine Norme des Gesetzes auf harte Kritik seitens des IWF sowie der ukrainischen Zivilgesellschaft. Es geht um die Korruptionsfälle, die jetzt schon in den Gerichten verhandelt werden, nicht vor dem Antikorruptionsgericht verhandelt werden. Die Appellation wird in einem ordentlichen Gericht behandelt, selbst wenn das Antikorruptionsgericht schon existiert. Es ist zu befürchten, dass die Top-Korrumpierer doch ihrer Strafe entgehen.
Um die Bildung des Antikorruptionsgerichts in Gang zu setzen, musste der Präsident noch ein Gesetz ins Parlament einbringen. Es wurde am 21. Juni verabschiedet. Ob das Gericht vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 seine Arbeit aufnimmt, ist nicht zu erwarten. Das bedeutet wiederum, dass die Funktion des Antikorruptionsgerichts unklar bleibt, denn mit den Wahlen kann sich die Richtung der weiteren Entwicklung ändern.
Zur Vorgeschichte des Antikorruptionsgerichts
explizit.net/politik/artikel/machtkampf-um-das-antikorruptionsbuero-der-ukraine/
Reanimation für Reformen
explizit.net/politik/artikel/reanimationspaket-fuer-die-ukraine/
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