Externe Berater wie McKinsey können einer Kirche wenig helfen. Denn das "Produkt" bzw. die Dienstleistung, die von der Kirche erwartet werden, entstehen in den Mitgliedern. Wie im Amateursport passiert nur etwas, wenn die Mitglieder "trainieren", also beten, Gottesdienst feiern, sich nach Heilung und Erlösung sehnen und dem Auftrag zur Nächstenliebe folgen. Genau dafür, dass die Gläubigen "üben", ist die Theologie da. Es melden sich aber zu wenige, die sich zu Übungsleitern ausbilden lassen. Das liegt nicht nur am Zeitgeist. Der Vergleich mit der Medizin kann es verdeutlichen: Die Menschen suchen einen Arzt auf, weil seine Kompetenz ihr Leben verbessert. Es kämen nur wenige, wenn der Arzt ihnen nur erklären würde, warum ihr Blutdruck zu hoch ist, sie einen Grauen oder Grünen Star haben, ohne sie zu „bhandeln“.
Theolog*in als zukunftsfähiger Beruf
Die aktuelle universitäre Theologie strahlt nicht aus, dass man mit theologischer Arbeit und neuen Einsichten dem Ausbluten des kirchlichen Lebens etwas entgegensetzen könnte. Sie gewinnt auch immer weniger Studierende, die für ihre berufliche Zukunft auf Theologie setzen. Das war mal ganz anders. Meine Studienzeit fiel in die Jahre des Konzils und der Würzburger Synode. Da war Theologie wirksam. Das Konzil war nicht eines der Bischöfe, sondern ihrer Theologen. Die Bischöfe, die noch in der Neuscholastik aufgewachsen waren, erlebten den Reichtum, den die Bibelwissenschaften freigelegt hatten und der von den Professoren wiederentdeckten Theologen der frühen Kirche. An jedem Konzilsdokument ist das ablesbar. Ich kenne Professoren, die für das Offenbarungsdekret und die Erklärung zur Religionsfreiheit Gutachten geschrieben haben, die von der zentralen theologischen Kommission des Konzils angefordert wurden.
Theologie: Die Idee Gottes vom Menschen
Hat Jesus seine Kampagne nicht auch theologisch bestimmt. Er kündigt das Reich Gottes an. Und dann erklärt er, wie Gott herrscht. Dieser Aufgabe haben sich die Bischöfe der frühen Kirche gestellt. Athanasius, Basilius, Augustinus und viele Theologen waren Bischöfe. Das Mittelalter stellt Bischöfe jeweils mit einem Buch dar. In der Weiterführung der Mission Jesu geht es um die Vorstellung, die Gott sich vom Menschen macht. Nicht nur das Christentum versteht sich als eine Idee, die den Menschen in den größtmöglichen Horizont stellt, um ihm eine Vorstellung zu vermitteln, um was es im Leben geht. Sie trägt in sich die Idee eines nicht mit dem Tod endenden Lebens und könnte sich trauen, über die Erkenntnisse von Biologie und Psychologie hinaus den Zeitgenossen eine größere Perspektive zu vermitteln? Das ist der christlichen Religion in vielen Epochen gelungen und gelingt ihr heute in Asien und Afrika, aber nicht in der nachmodernen Zivilisation Westeuropas.
Der verkürzte Wissenschaftsbegriff
Die Theologie hat einmal die Universität begründet. Das Mittelalter hat nicht nur die gotischen Lichtpaläste erdacht, sondern auch aus den theologischen Ausbildungsstätten die Universität als Zusammenführung der Wissensgebiete entwickelt. Nicht nur brauchte die Kirche akademisch ausgebildetes Personal, die Theologie in ihrem engen Verbund mit der Philosophie gab der Universität den umfassenden Rahmen, in dem jede Einzelwissenschaft ihren Beitrag zur Wahrheit, also der Gesamterkenntnis alles Wissbaren, einbringen konnte. So versteht sich die Universität heute nicht mehr. Mit der Bologna-Reform hat sie den Anspruch aufgegeben, den Menschen in den größtmöglichen Horizont zu stellen. Er wird mit seinem Körper in der Medizin Thema, anders als Rechtssubjekt in der juristischen Fakultät oder in der Befassung mit Geld in der Betriebswirtschaftslehre. Religion ist dann ein weiterer Teilbereich, der wie die Beschäftigung mit Literatur oder Musik betrachtet wird. Anders als in der Theologie vermittelt allerdings die Musikhochschule nicht nur die Geschichte musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, sondern auch das Komponieren und die Beherrschung eines Instrumentes.
Wie die Medizin die Studierenden handlungsfähig machen
Wer die klinischen Semester des Medizinstudiums absolviert hat, ist mit den Phänomenen bekannt gemacht worden und geht mit der Vorstellung ans Krankenbett, was ärztlich zu untersuchen und dann zu therapieren ist. Das Theologiestudium kommt nicht zum konkreten Handeln, nämlich wie Religion praktiziert wird. Allenfalls Predigt und in begrenztem Maße Gottesdienste werden so vermittelt, dass sie an konkretes Handeln heranführen. Ich war mit Kollegen viele Jahre für Gottesdienstübertragungen im Fernsehen zuständig. Wie das konkret mit Kamera und Mikrofon umgesetzt wird, interessierte die Liturgiewissenschaftler mit Ausnahme des Freiburger Professors Busse nicht. Auf die gestreamten Gottesdienste im Corona-Lockdown hätten Theologen und Theologinnen vorbereitet sein können. Da sich viele Gläubige an die Übertragungen in Internet und Fernsehen gewöhnt haben, könnte die Liturgiewissenschaft aktuell werden. Ein weiteres Anwendungsfeld der Theologie wären Gebet und Meditation. Wie Mediziner mit Handlungsstrategien für Herz, Verdauung u.a. Funktionen auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet werden, müssten Theolog*innen mit der Sicherheit in ihren Beruf starten können, dass sie Menschen zu einer Gebets- und Meditationspraxis führen. Seelsorger*innen haben es nicht wie die Ärzt*innen nur mit einzelnen zu tun, sondern mit Gruppen, Gremien und inzwischen mit Großpfarreien. Wie man Gruppen und Gemeinden aufbaut, leitet und mit den Konflikten umgeht, liegt außerhalb des Horizonts, in dem sich die Theologie als Wissenschaft bewegt. Ich selbst habe über mehr als 20 Jahre Pfarrer für Leitungsaufgaben trainiert, das wurde als Psychologie verstanden und hat keine theologischen Denkprozesse in Gang gesetzt. Dass die heutige Rolle als Leiter einer 20.000 Gläubige umfassenden Großpfarrei als unlösbare Aufgabe gilt, erklärt auch die vielen leeren Zimmer in den Priesterseminaren.
"Anatomie" und "Physiologie" im Fächerkanon einer theologischen Fakultät
Wer ärztlich tätig werden will, braucht eine Vorstellung, wie der Körper aufgebaut ist, die Anatomie, und wie die Prozesse im Körper ablaufen, die Physiologie. Solche Einführungen gibt es in der Theologie für die Entstehung der biblischen Texte. Für die Tätigkeit in einer heutigen Seelsorgseinheit müsste es eine vergleichbare Einführung geben, nämlich wie die Menschen sich verstehen, welcher Leitidee sie folgen und auf welche Kommunikationsmuster Seelsorger*innen treffen. Ohne ein Verständnis der digitalen Kommunikationsmuster lässt sich weder eine Gebetspraxis noch eine Gruppe noch eine Gemeinde aufbauen. Begreift die Anatomie und Physiologie den Menschen als Körperwesen, braucht es für theologische Berufe eine Vorstellung des Menschen als Kulturwesen, nicht nur in der Geschichte, sondern in den nachmodernen Lebensbezügen einer von der Wirtschaft dominierten Gesellschaft.
Die Lösung für den Nachwuchsmangel liegt also nicht in einer Reduzierung, sondern in einer Intensivierung der theologischen Ausbildung, so dass sie wieder den beruflichen Erfolg garantieren kann.
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