An den mittelalterlichen Kathedralen wurden die Gegenkräft gegen Jesus in Tiergestalten dargestellt, die wohl gleichzeitig diese Kräfte von dem heiigen Raum fernhalten sollten
Wer eine besondere Leistung, eines Feuerwehrmanns in einem Einsatz etwa, beobachtet, der fängt an zu staunen. Die Heldentat ist bewundernswert. Sie kommt wie ein Wunder vor. Sie packt uns und reißt uns mit. Wir bejubeln sie, weil sie groß ist. Wir jubeln zurecht.
Von diesem Staunen berichten auch üblicherweise die Evangelisten. Jesus heilt einen Kranken: Wunder! Jesus speist die Hungrigen: Wunder! Das Volk staunt. Was er tut, ist bewundernswert. Als aber Jesus lehrt, sind die Leute über seine Weisheit erstaunt. Sie bewundern ihn dafür. Aber zugleich sind sie auch verwundert. Wenn er einer von uns ist, kann er diese Weisheit ja gar nicht haben. Da stimmt etwas nicht.
Auf der anderen Seite, aus der Perspektive Jesu, gibt es ein Staunen: Jesus wundert sich über ihren Unglauben. Die Leute erleben das Wunderbare, quasi den Feuerwehrmann und seine Taten, aber statt von Jubel und Freude gepackt zu werden, ergreift sie Unverständnis, Ablehnung und Schrecken.
Auch uns kann es so ergehen, wie es Jesus erging. Wir bemühen uns und tun etwas, das Bewunderung verdient. Doch statt dafür Lob, Jubel, Freude und Dank hervorzurufen, peitscht einem Hass, Missgunst und Spott entgegen. Das Leben kennt viele solcher Geschichten: Man drückt einem Bettler einen Geldschein in die Hand. «Der gibt das bloß für Alkohol oder andere Drogen aus. Du bist dem auf den Leim gegangen. Man bist du naiv!»
Es fällt schwer zur Arbeit zu gehen. Man ist erschöpft, braucht Pause. Aber man ist nicht krank und besorgt sich kein erlogenes Attest vom Arzt. «Bist du blöd? Mach doch endlich blau! Das macht hier jeder. Wenn du das nicht machst, dann bist du doch der Gelackmeierte. Und was die anderen fehlen, musst am Ende du noch ausbaden. ‹Selber schuld!›, sag ich da.»
Die Liste kann man lange fortsetzen: Immer da, wo man gegen Ungerechtigkeit eintritt, trifft man auf Widerstand. Das gilt im Kleinen wie im Großen; von der aufrichtigen Steuererklärung bis zur Courage eines Otto Wels, dem SPD-Mann 1933.
Warum wird einem Gutes mit Bösem vergolten? Warum folgt auf Gerechtigkeit Unrecht? Wir wissen nicht viel darüber. Wir sind darüber verwundert. Es bleibt uns ein Geheimnis. Wir kommen nicht weit mit unseren Überlegungen. Doch heute haben wir ein wenig Glück: Der Evangelist Markus wirft mit dieser Episode drei kleine Lichter auf dieses Geheimnis: «Denn ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Heimat, seinem Haus und seiner Verwandtschaft.»
Ohne Ehre sein – das ist das Problem. Eine Tat verdient eine angemessene Reaktion, eine angemessene Haltung zu ihr. Das bedeutet, eine gute Tat gut, eine böse Tat böse zu nennen. Darüber hinaus auch, dass eine gute Tat gelobt, eine böse Tat geächtet wird. Es gibt eine innere Haltung zu einer Tat und eine äußere Haltung zur dieser Tat. Ehre, ja besser: Ehrfurcht, bedeutet, dass man sowohl die wahrhaftige innere Haltung also die entsprechende äußere Haltung zu einer Tat hat. Ohne Ehre sein, Ehrfurchtslosigkeit, beginnt also dort, wo innere oder äußere Haltung nicht mit der Würde einer Tat übereinstimmen.
Drei Ursachen von sicherlich noch vielen unbekannten für die Ehrfurchtslosigkeit nennt Jesus: Heimat, Haus, hier als eine größere Gruppe, sogar ein Volk, wie das Haus Juda, Verwandtschaft. Diese Ursachen zerschneiden die Übereinstimmung von innerer und äußerer Haltung und die Übereinstimmung der angemessenen Haltung mit der Sache überhaupt.
Drei Beispiele:
Einem Verwandten wird vorgeworfen, eine Straftat begangen zu haben. Wir werden um Aussage gebeten. Wir wissen um diese Tat und dass sie Strafe verdient. Wäre es nicht unser Verwandter, würden wir die Straftat bezeugen. Doch wir decken unseren Verwandten. «Blut ist dicker als Wasser.» sagen wir im Herzen. Unsere innere Haltung besagt: Diese Tat verdient Strafe. Doch unsere äußere Haltung folgt nicht der inneren Haltung. Wir verhindern die Strafe.
Ein Abgeordneter tritt für eine schädliche Sache ein: Kleinkinder sollen mit Dingen konfrontiert werden, die normalerweise unter FSK 18 fallen. Dafür erntet er Kritik, sogar innerhalb seiner eigenen Partei. Doch da er ein guter Redner ist, seinen Wahlkreis mit hoher Zustimmung gewonnen hat und einer der Hoffnungsträger in der Partei ist, lässt man diesen Vorfall ohne Folgen. Auch hier mag die innere Zustimmung zu dieser Sache verweigert werden. Doch die äußere Haltung lässt ihn gewähren, obwohl die Sache ein entschiedenes Nein gefordert hätte.
In einem entscheidenden Spiel der Deutschen Fußballnationalmannschaft führt eine hinterhältige Schwalbe im gegnerischen Strafraum zum Elfmeter und damit schließlich zum Siegtreffer. Der Jubel ist groß. «Tor für Deutschland!» Selbst die Schwalbe bekommt Lob: «Wie geschickt dieser Stürmer sich hat fallen lassen! Herrlicher Fußballer, ein ganz großer!» - Durch unfaires Spiel wurde eine günstige Situation erschlichen. Hätte eine andere Nationalmannschaft eine solche Spielweise an den Tag gelegt, wie groß wäre der Aufschrei! Die Haltung, innerlich wie äußerlich, wird einzig und allein von der Nation bestimmt. Die Sache selbst kommt gar nicht zu Wort.
Wer sich auf den Weg der Wahrhaftigkeit und der Gerechtigkeit begibt, der muss mit diesen drei Verhältnissen brechen. Sie dürfen nicht die Macht haben, über unsere Haltung zu entscheiden. Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit liegen jenseits von Heimat, Haus und Verwandtschaft. Nur wer diese Bande entmachtet, sich nicht von ihnen treiben und motivieren lässt, kann den guten und richtigen Weg gehen. Jesus geht diesen Weg. Wer ihm nachfolgen will, muss es ihm gleich tun. Dann ist es das rechte Staunen: Bewundern, was bewundernswert ist. Verwundern, was verwundernswert ist.
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