(explizit.net) Als 1975 der „Caudillo von Gottes Gnaden“, General Franco, gestorben war, wurde der spanische Zentralstaat Anfang der achtziger Jahre in einen föderativen Staat autonomer Provinzen umgewandelt. Damals glaubten die Verfassungsväter, die endgültige Formel für Spaniens Zukunft gefunden und das Gespenst des „Separatismus“ auf lange Zeit gebannt zu haben - Irrtum!
Baskisch und Katalanisch waren nicht geduldet
Die Wunden des Bürgerkriegs (1936-1939), in dem es ja vor allem auch um das Autonomie-Thema gegangen war, scheinen so tief, dass sie vor allem in den beiden am stärksten industriell entwickelten Regionen Spaniens, Katalonien und dem Baskenland, bis heute, also mehr als siebzig Jahre danach, noch immer nicht verheilt sind.
Es war Anfang der siebziger Jahre, kurz vor dem Tod des Diktators, als wir, meine Eltern und ich, den heiligen Ort der Basken, Guernika, besuchten. Hier, unter der Eiche von Guernika, hatten im Mittelalter die kastilischen Könige immer wieder die Autonomierechte der Basken, die so genannten „Fueros“, erneuern müssen.
Als wir das Museum betraten und einen Wächter nach dem Dokument befragten, da bedeutete der uns - wahrscheinlich ein Polizist in Zivil - die Basken und ihre Rechte verhöhnend: „Uds. buscan los Fueros - pués los Fueros ya se fueron!“ ... Was suchen Sie - die baskischen Rechte? Nun, die sind für immer vergangen!"
Erneuter Irrtum! Basken wie auch Katalanen haben, wie wir heute sehen, niemals ihre Bestrebungen nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aufgegeben. Als unter der Diktatur sogar ihre Sprache unter Strafe gestellt wurde, mussten sie zwangsläufig nach dem Grundsatz handeln: niemals davon sprechen - aber immer daran denken!
Warum sollten sie jetzt, da ihre eigenständigen Idiome wieder gesprochen werden dürfen, ja, sogar in den Schulen gelehrt werden - warum sollten sie also jetzt nicht laut ihre Unabhängigkeit fordern? Warum sollten sie sich mit einer Autonomie zufrieden geben, die zwar im Grunde genommen dem Status entspricht, den der Freistaat Bayern in der Bundesrepublik genießt, die aber nicht die Erfüllung des Traumes darstellt, den sie jahrzehntelang, unter der Knute des Zentralstaates, geträumt haben?
Das Beispiel der Krim
Warum also sollte Katalonien, so wie es die jetzige Regierung unter dem Liberalen Arturo Más vorhat, kein Referendum durchführen, mit dem Ziel, die Unabhängigkeit zu erlangen? Haben nicht vor allem die Katalanen ein Recht auf dieses Referendum, war doch für sie, im Gegensatz zu den Basken, der bewaffnete Kampf niemals eine Option gewesen.
Aber birgt ein Referendum nicht auch eine Art Gesetzmäßigkeit? Einmal durchgeführt und die Katalanen haben sich, wie zu erwarten, mehrheitlich für eine Unabhängigkeit von Madrid entschieden, ist die Loslösung vom Zentralstaat kaum noch umkehrbar. Dann spielt es kaum noch eine Rolle, wenn Madrid auf die spanische Verfassung verweist - die auch die Katalanen akzeptiert haben. Diese lässt ein Referendum in eigener Regie überhaupt nicht zu. Das Beispiel der Krim ist vor aller Augen, auch die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen nach einem Referendum über die Bühne gehen können.
Kommt aber der Zug mit den Katalanen erst einmal ins Rollen, wer garantiert dann, dass sie die einzigen Passagiere bleiben? Dass nicht als nächstes zum Beispiel die Andalusier auf den Zug springen, in ihrer Mehrheit arabischen Ursprungs.
Andalusien - ein potentieller Separatist?
Diese wurden nach dem Fall Granadas vor die Alternative gestellt, entweder ihren maurischen Glauben aufzugeben oder aber das Land zu verlassen. Sie haben mit den Kastiliern, ihrer Monarchie und dann der Diktatur noch eine Rechnung offen.
War es nicht die Monarchie und der Zentralstaat gewesen, die ihr einstiges stolzes Al Andalus, in dem drei große Weltreligionen friedlich zusammen lebten, wie eine nordafrikanische Provinz behandelt hatten. Großgrundbesitzer aus dem Norden bekamen das Land, in dem sie sich heute noch wie Feudalherren benehmen.
Dabei wird in keiner anderen Provinz der Katholizismus so intensiv gelebt wie hier, vor allem bei den Marienwallfahrten und Prozessionen. In keiner anderen Provinz ist aber auch die Erinnerung an die Mauren und ihre siebenhundertjährige Herrschaft so präsent wie in Al Andalus.
Nach dem Abfall der Andalusier könnten sich nach ihnen nicht die Extremeños und Galliegos im äußeren Westen und Nordwesten ihres keltischen Ursprungs entsinnen, die Balearen und Kanaren ihrer Distanz zum Mutterland?
Wie verhalten sich die Basken, die jahrzehntelang so viel Opfer für ihren Drang nach Unabhängigkeit gebracht haben? Diesmal warten sie die Entwicklung ab und handeln nach dem hehren Grundsatz: Kamerad, spring du - wir geben Feuerschutz!
Die EU als Gegengewicht
Was geschähe aber, käme der Separationszug erst einmal ins Rollen? Wäre das nicht das Ende der spanischen Nation - zerfiele Spanien dann nicht in die Kleinstaaterei? Und hätte das nicht unabsehbaren Folgen für die Freizügigkeit seiner Bewohner, den Schutz von Minderheiten und ihrer Sprachen, um nur einige der kritischen Punkte zu nennen?
In Katalonien werden bereits chauvinistische Stimmen laut, die das Verbot des Kastilischen fordern - und das bei einer Bevölkerung, die zu einem großen Teil aus Zuwanderern anderer Provinzen wie Andalusien und Aragón besteht, deren Muttersprache das Kastilische ist.
Kurz vor Toresschluss, aus heiterem Himmel sozusagen, ist allerdings eine Komplikation aufgetreten, mit der niemand beim Kalkül des Referendums gerechnet hatte: was würde eigentlich, hat ein ganz Kluger gefragt, nach der Abtrennung Kataloniens vom Zentralstaat, aus der Mitgliedschaft der Katalanen in der Europäischen Union werden, was aus der Währungs- und Zollunion? Denn das müsse doch jedem klar sein: für neue Staaten gäbe es keine automatische Mitgliedschaft in der EU - und Katalonien sei nun mal ein völlig neuer Staat, trenne es sich von Spanien.
Das hatte erst einmal Sprachlosigkeit, ungläubiges Kopfschütteln zur Folge, denn ein automatisches Ausscheiden aus der EU, der man so viel verdankt, wäre undenkbar und kann einfach nicht sein.
Das Problem wurde nach Brüssel weitergereicht, wo man, wie es scheint, keine große Eile hat, sich mit den Katalanen zu beschäftigen. Denn eine positive Reaktion würde einen Präzedenzfall schaffen. Denn wenn man es den Katalanen zu leicht mit ihrer Unabhängigkeit macht, dann könnten morgen schon, hinter den Schotten, die Norditaliener vor der Tor stehen, die Korsen und womöglich sogar die Bayern.
Es sieht also nicht danach aus, als sei Brüssel eine große Hilfe für Arturo Más und die Seinen. Aber möglicherweise käme das ja einigen von ihnen zu diesem Zeitpunkt ganz recht, böte es doch eine Möglichkeit, ohne große Gesichtsverluste den Hals wieder aus der selbstgeknüpften Schlinge zu ziehen und sich elegant von den separatistischen Plänen zu verabschieden.
Der Zerfall des gemeinsamen Spaniens ist keine Perspektive
Ohnehin sollte man meinen, könne es keinen vernünftigen Menschen auf der ganzen iberischen Halbinsel geben, der an solch einem Anachronismus, solch einen Rückfall in eine durch Stammeskulturen geprägte politische Landkarte Interesse habe. Nur die extreme Rechte kann an einer solchen Lösung Gefallen finden. Für ein Land mit dieser historisch bedingten Vielfältigkeit kann es nur eine zeitgemäße Lösung geben, das föderative System.
Ein föderalistisches Modell für die iberische Halbinsel zu entwickeln, den goldenen Mittelweg zu finden zwischen den positiven Eigenschaften des Zentralstaates, der im Innern weder Grenzen noch Hindernisse kennt für Menschen, Ideen und Waren - und einem föderativen System mit zentralen Funktionen, das am ehesten geeignet ist, die Eigenarten der zahlreichen Stämme zu berücksichtigen sowie Minderheitenrechte wie die eigene Sprache zu gewährleisten - müsste eigentlich das Anliegen aller demokratisch gesinnten Spanier sein.
<emphasize>Luis Miehe</emphasize>
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