Die Anschläge in Paris, Nizza und anderswo, die Flüchtlingskatastrophe, die absurde Waffenpolitik in den USA, die zynische Argumentation der Rüstungsindustrie und ihrer Lobby, der Brexit, die Volkswagenaffäre, aber auch das irrwitzige Phänomen eines „Spiels“ wie Pokemon Go müssten eigentlich in den Wahnsinn oder in die Lethargie führen. Zynismus wäre eine andere, noch als konstruktiv zu nennende Reaktion. Viele Menschen, so scheint es, schließen einfach die Augen und lassen sich von den vielfältigen Angeboten der Ablenkungsindustrie in den Bann nehmen. Und das wiederum lässt die aufgeweckten Zeitgenossen noch mehr in die Resignation versinken. Trotz vieler Probleme und Konflikte scheint sich kein Widerstand zu regen, die Bürger gehen ihren Pflichten nach, machen sich kampftüchtig in den vielen Fitnessstudios, amüsieren sich mit oberflächlichen Comedys und Serien, vertun ihre Zeit mit WhatsApp, Facebook, Spielen auf ihren Smartsphones. Und wenn man manche Gestalten reden hört, ist man sich nicht sicher, ob tatsächlich das 21. oder nicht doch erst das Jahrhundert der Neandertaler angebrochen ist.
Manche Intellektuellen proklamieren die Überkomplexität der modernen Gesellschaft, die neue Unübersichtlichkeit und scheinen damit mehr abwehrend als analysierend zu sein, Wissenschaftler sind mit ihrer Karriere beschäftigt,
befassen sich mit Themen, die so fernab von der Wirklichkeit sind, dass man Angst bekommt. Politiker geben offen zu, dass sie das Wählervolk für dumm halten, sind verstrickt mit der Wirtschaft und verfolgen mehr die Interessen der Banken als das bonum commune. Terroristen werfen nicht nur Bomben, ihre Aktionen führen auch dazu, dass Argumentationen einseitig werden. Wie soll man sich mit jemandem auseinandersetzen, dessen Einstieg in die Diskussion darin besteht, dass er einen LKW in eine Menschenmenge lenkt? Mit solchen Menschen lässt sich nicht reden, da gilt es, mit Gewalt das Schlimmste zu verhindern. Will man solche Entwicklungen verstehen, so muss man z. T. weit in die Geschichte zurück. Die Ursachen sind oft gar nicht sehr komplex, es kostet allerdings Mühe, die vielen Unwichtigkeiten wegzuräumen und den roten Faden vom Müll der Begründungen zu befreien, der absichtlich oder aus Trägheit dort hingekippt wurden.
Die Gutbürger
Wurden von Politikern die Menschen als „Wutbürger“ diskreditiert, die sich einmischen wollten, so treten heute „Gutbürger“ auf, die angesichts der Terrorgefahr vor einem allzu scharfen Wort warnen. Satire müsse vorsichtig sein, dürfe nicht alles sagen, weil damit die Spirale der Gewalt nur befeuert würde. Der Bürger wird erzogen, politisch korrekt zu reden und weiß anschließend nicht mehr, wodurch seine Wut und sein Zorn erregt wurden. Der Zorn als Hilfe, die Dinge zu unterscheiden, wird negativ bewertet, da andere verletzt werden könnten. Auf die Gefühle Andersgläubiger, Andersdenkender soll Rücksicht genommen werden. Es wird nicht gefragt, was mit den Gefühlen derer passiert, die berechtigt oder unberechtigt Ungerechtigkeiten, Boshaftigkeiten, Demütigungen u.a. empfinden und darüber in Zorn geraten. Der Satire wird der Zahn gezogen und sie kann nicht mehr der Stachel in einer Gesellschaft sein. Das kabarettistische Korrektiv wird so lange verbogen, bis aus einem bissig-ironischen Kommentar eine nette Unterhaltung geworden ist. Wer ein ernstes und eindeutiges Argument in den Ring wirft, setzt sich der Gefahr aus, als rechts zu gelten. Das ironische Spiel wird oft gar nicht mehr verstanden, da Ambiguitäten emotional überfordern. Ein anspruchsvoller Witz wird abgewiesen, weil er Denken erfordern würde.
Humor für die Seele
Viktor Frankl schuf den Begriff des Trotzdem-Humors. Er hatte beobachtet, dass Menschen im Konzentrationslager, die trotz der vielen Leiden überlebten, sich durch Witz, Lachen und einer gewissen Fröhlichkeit von den anderen unterschieden. Wer Humor als Weltanschauung im Gepäck hat, schaut auf die Welt mit mehr Optimismus, er pflegt den Sinn für Hoffnung und schafft es zumindest in seinem Inneren, aus einer scharfen Kante eine harmlose Rundung zu machen. So bleiben einem humorvollen Menschen noch Energien für seine Hoffnung. Die Realität wird nicht ausgeblendet, es wird nur verhindert, dass die Stiche ins Mark treffen. Der Einzelne kann so die Wirklichkeit ertragen und strahlt etwas aus, was auch anderen ein wenig den Tag erhellen kann.
Der Witz muss treffen
Satire, Kabarett, politischer Witz können auch humorlos sein. Sie dienen nicht dem Seelenheil eines Einzelnen, sie können als wichtiger Teil der gesellschaftlichen Dynamik verstanden werden. Den Verkrustungsstrukturen, den Tendenzen, Unliebsames zu verdrängen wie auch der Trägheit steht der Witz als Korrektur entgegen. Es ist weniger die Belustigung intendiert als die Befreiung. Die Entfremdung von den eigentlichen Zielen oder Grundlagen einer Gesellschaft sind das Objekt des Witzes. Wird Kabarett zur Comedy, zum flachen Kalauern, zur Kritik, die nicht wehtut, dann fehlt einer Gesellschaft der waffenlose Widerstand. Das Gleichgewicht geht verloren - und es mag etwas überzogen sein -, es sprechen die Waffen, die scharfe Zunge ist gelähmt. Vielleicht steht die Zunahme an Gewalt und Terrorismus in einem engen Verhältnis zur Menge der flachen und harmlosen Witze in einer Gesellschaft. Der Mut zur „bösen“ Pointe ist wahrscheinlich förderlicher als der Ruf zur bedachten Satire. Und gerade nach so unsinnigen Anschlägen wie in Nizza sollte der Witz umso schärfer sein. Und wem das zu viel ist, entlarvt sich als Zyniker, der die mit Worten „in den Krieg“ Ziehenden mit denen vergleicht, die erst gar nicht das Wort ergreifen, sondern gleich die Bombe nehmen. Wer dagegen Angst hat und deshalb die Satire entschärfen will, sollte lieber zum Absurden seine Zuflucht nehmen. Der Witz kann auch darin bestehen, den Ernst zu karikieren und ihn damit der Lächerlichkeit preiszugeben.
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