(explizit.net) Nach christlichem Verständnis war die Schöpfung des Menschen ein absichtsvolles Werk Gottes. Die Evolutionstheorie hingegen sieht den Menschen als Resultat einer Entwicklung durch zufällige Veränderungen des Erbgutes (Mutationen), aus denen vor allem die positiven ausgewählt wurden (Selektion). Wie ist dies mit dem Glauben an einen Schöpfergott zu vereinbaren?
Der Jesuit Teilhard de Chardin hat in genialer Weise eine Verbindung geschafft: Gott benutzte die Evolution als Schöpfungswerkzeug! Er behauptete dies, lange bevor man von Genen wusste.
Heute wissen wir mehr, wir kennen viele Mechanismen im Genom recht genau. Und daraus ergeben sich neue Fragen: Sollen wir nun die Mutationen als gottgegeben annehmen? Ist es wirklich Gott, der da Moleküle verändert? Die moderne Theologie meint, dass Gott nicht „Detailarbeit“ leiste. Es gibt aber auch hochkarätige, gläubige Naturwissenschaftler, z.B. den damaligen Leiter des Human Genome Projects, die Gott hinter jeder Mutation vermuten (Collins 2007). Diese Sicht ist formal nicht widerlegbar, denn Gott könnte ja immer genau das absichtlich und bewusst tun, was auch der Zufall ergeben hätte!
Man könnte dann bissig fragen: Sind alle Zufälle durch Gott beeinflusst, etwa auch jene im Casino? Nein, das wollen wir nicht! Aber manche Leute scheinen sogar das zu glauben – denn man hört immer wieder nach dem Verlieren: „Es hat nicht sollen sein...“
Molekularbiologische Theodizee?
Aber selbst wenn wir dem Casino seinen Zufall lassen – bei den Mutationen, von denen immerhin unsere Gesundheit und das ganze Leben abhängen sowie die Entstehung der Menschheit, könnte schon tatsächlich Gott dahinterstecken; so könnte man als Christ mutmaßen. Dann wären die Zahlen im Casino eben wirkliche Zufälle, die Mutationen hingegen Werk Gottes. Wenn wir das als Christen glauben wollen, geraten wir in einen anderen gravierenden Widerspruch, denn:
- <paragraph xmlns:tmp="http://ez.no/namespaces/ezpublish3/temporary/">99.9% aller Mutationen sind entweder wirkungslos oder schädlich. Stammen diese schädlichen Mutationen etwa nicht von Gott, sondern nur die wenigen nutzbringenden? Wer könnte das glauben? Wohl oder übel müssten wir als Christen also davon ausgehen, dass (nicht nur die guten sondern) <emphasize>auch die negativen Mutationen von Gott bewirkt</emphasize> werden.</paragraph>
- <paragraph xmlns:tmp="http://ez.no/namespaces/ezpublish3/temporary/">Diese Annahme stünde aber <emphasize>zur Vorstellung eines liebenden Gottes im Widerspruch</emphasize>: Wie kann er eine Methode zu seinem Werkzeug machen, die zumindest zu 99.9% versagt und Leid erzeugt? Dies führt uns direkt zu einer Art „<emphasize>molekularbiologischen </emphasize><emphasize></emphasize>“</strong>: Wie kann Gott solche molekulare Mechanismen „verantworten“?</paragraph> </ol>
Um die obigen Konsequenzen zu vermeiden, müssen wir uns als Christen anscheinend damit anfreunden,
<emphasize>dass Gott eben nicht die einzelnen Mutationen bewirkt</emphasize>.
Wir müssen anerkennen, dass sie doch eher Zufallsereignisse sind, wie auch die Molekularbiologie es lehrt. Wenn sie aber Zufallsereignisse sind, wie konnte dann (durch Zufallsereignisse) ein vom Schöpfer beabsichtigtes Ergebnis entstehen – nämlich der Mensch?
Theologie und Philosophie kennen unzählige Argumentationen zu diesem Thema, mit jeweils unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Teilweise scheinen sie sich im Kreis zu drehen (wie jene oben), teilweise auf der Stelle zu treten. Hier könnte es nützlich sein, einmal
<emphasize>der Natur genauer auf die Finger zu sehen</emphasize>
– welche Veränderungen des Genoms auf welche Weise stattfinden und mit welchen Konsequenzen.
Es scheint, dass wir aus naturwissenschaftlichen Details neue theologische Argumente ableiten können!
Genau dieses wird im Buch „
<emphasize>Göttliches Spiel / Evolutionstheologie“</emphasize>
versucht: Was können Christen aus der Natur über Gott und die Schöpfung lernen? Das Zusammenwirken von Forschung und Glaube hat zudem eine gute Tradition (Schönborn 2007;Wojtyla (Papst Johannes Paul II) 1998).
Glücksspiele
Roulette, Würfeln und diverse Millionenräder sind Apparate, die vom Menschen absichtlich so gebaut wurden, dass sie zufällige Ergebnisse produzieren. Wer wollte daran zweifeln? Und wenn wirklich einmal Zweifel auftauchen, gilt es als Betrugsversuch! Man ist hier sehr empfindlich – klarerweise. Allen diesen Apparaten ist gemeinsam, dass geringste Änderungen in den Ausgangsbedingungen total andere Ergebnisse hervorbringen. Man nennt dies ein
<emphasize>„chaotisches Verhalten“</emphasize>
des Systems. Wenn also jemand die Kugel beim Roulette nur ganz geringfügig anders einwirft, kann praktisch jedes andere Ergebnis herauskommen. Da aber niemand so genau einwerfen kann, ist de facto das Ergebnis jedes Wurfes nicht vorhersehbar. Genau das will man im Glücksspiel erreichen.
Zufall im Genom
Wie aber sehen die Änderungen im Genom und deren Ergebnisse aus? Grundsätzlich besitzt die DNA sehr große (chemische) Stabilität – ansonsten könnten wir nicht die DNA von Mumien sequenzieren. Wir wissen, dass es auch Reparaturmechanismen gibt, die Fehler korrigieren (Brown 1999;Lewin 2000). Reparaturmechanismen sind notwendig, damit höheres Leben überhaupt funktionieren kann, in einer Fortpflanzung über tausende Generationen.
Andererseits sind aber die Folgen aufgetretener Fehler im Genom relativ unabsehbar. Große Defekte können ohne Wirkung bleiben und kleinste können tödlich enden – ein typisches Merkmal chaotischer Systeme: Kleinste Änderungen in den Ursachen haben unabsehbare Folgen. Warum die Folgen von Genomveränderungen so chaotisch sind, wird klar, wenn man sich die molekularen Mechanismen genauer ansieht. Hier eine der vielen Ursachen:
Frameshift-Muationen
Die Information der DNA wird in Dreiergruppen gelesen – je drei aufeinanderfolgende DNA-Bausteine (Basen) definieren eine bestimmte Aminosäure. Entsprechend den Dreiergruppen werden dann die Aminosäuren in Eiweiß-Stoffen aneinandergereiht. So „erzeugt“ der Körper seine eigenen Stoffe! (Alberts et al. 2008).
Nehmen wir als analoges Demo-Beispiel einen Satz, der nur aus Worten mit je drei Buchstaben besteht, z.B.
<literal>MIT DEM HUT HAT DER WAL DEN MUT ZUR TAT AUF DEM EIS
</literal>
Das Genom kennt keine Trennzeichen zwischen den „Worten“, es werden streng die Dreiergruppen als „Worte“ interpretiert. Was aber passiert, wenn (etwa beim Kopieren der DNA vor einer Zellteilung) z.B. der erste Buchstabe ‚M‘ verloren geht? Der 3er-Rhythmus wird verschoben, man spricht von einer Verschiebung des „Leserasters“ (frameshift-Mutation). Alle dahinter liegenden Dreiergruppen werden in andere Aminosäuren übersetzt – das erzeugte Eiweiß wird zumeist funktionsunfähig. Es entsteht totales Chaos durch eine winzige Änderung! Sehen Sie selbst:
<literal>ITD EMH UTH ATD ERW ALD ENM UTZ URT ATA UFD EME IS
</literal>
Denken Sie, dass Sie mit diesem „neuen“ Eiweiß leben können? War es lebenswichtig?
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Die Abbildung rechts zeigt mögliche Folgen für geringfügig unterschiedliche frameshifts.
Wilde Kopiervorgänge
Bis vor wenigen Jahren dachte man, punktuelle Mutationen (eine Base der DNA ändert sich) seien die wichtigsten und häufigsten Genomveränderungen. Und sie passieren zufällig, etwa durch äußere Schädigung, z.B. radioaktive Strahlung. Zufällig entstehen also Schäden und es gibt sogar Reparaturmechanismen, die alles wieder reparieren. Wirklich toll „konstruiert“ („designed“) – so die naheliegende Schlussfolgerung für Christen!
Heute wissen wir jedoch schon wieder mehr: Im Genom kommt es auch relativ häufig zu zufälligen Kopiervorgängen an allen möglich Stellen, de
<emphasize>ren Ergebnis einfach Duplikate sein k</emphasize>
önnen, die irgend
<emphasize>ren Ergebnis einfach Duplikate sein k</emphasize>
wo in die DNA eingestreut sind. Und dann wird bei der Umsetzung in das Eiweiß einfach darüber gelesen – ganz genau und in regelmäßigen Dreiergruppen! Das resultierende Chaos betreffend das Eiweiß kann man sich ausmalen!
Manche Gene erzeugen sogar jene „Werkzeuge“ selbst, mit denen sie sich selbst kopieren und wo anders einfügen – irgendwo(!) anders. Christen könnten sich nun fragen: Hat der Schöpfer die Änderungsmechanismen in das Genom eingebaut? Wollte er, dass zur Weiterentwicklung möglichst viele Änderungen auftreten – denn dann würde sein Werkzeug „Evolution“ rascher vorankommen. Hat er dabei in Kauf genommen, dass die meisten der zufälligen Mutationen nutzlos oder schädlich sein würden? Immerhin bestehen bereits 17% des menschlichen Erbgutes(!) aus solchen eingefügten Wiederholungen („tandem repeats“). Bei jedem Einfügen verlängert sich das Genom. Auf diese Weise hat etwa die Pflanze Mais bereits ein weit größeres Genom als der Mensch entwickelt! Wozu braucht das der Mais? Kann man sich denken, dass es eine Zielvorstellung geben könnte, die dazu führte?
Aber es kommt noch schlimmer: Es werden Kopien nicht nur irgendwo in derselben Richtung eingefügt, sondern auch verkehrt herum. So als wollte jemand beim Karten
<emphasize>spielen den Sta</emphasize>
pel umdrehen, um be
<emphasize>atS ned neleips</emphasize>
sonders gut zu mischen. Was sonst, als ein Zufallsergebnis, soll dabei herauskommen? Wird die Basis unseres Lebens „aufgemischt“? Sind wir diesen Vorgängen mit Haut und Haaren ausgeliefert? Es würde bedeuten, dass wir tatsächlich „nackt in die Evolution geworfen“ sind – und das wissen wir erst, seit wir vom Baume der (molekularbiologischen) Erkenntnis gegessen haben! Was für eine unerwartete Rückkehr zu unserem alten Text (über die Vertreibung aus dem Paradies).
Die chaotischen Mechanismen im Genom betreffen nicht nur unser Entstehen (durch Evolution bzw. Schöpfung mittels Evolution) sondern entscheiden auch über Gesundheit und Krankheit. Es ist zwar möglich aber extrem unwahrscheinlich, dass durch die oben genannten Mechanismen eine Verbesserung entsteht! Tatsächlich beobachten wir einen extremen Überhang (99.9%) negativer bzw. wirkungsloser Mutationen (De Duve 2002;Leroi 2004;Strachan and Read 2008).
Wie sollen Christen mit diesen Tatsachen umgehen?
Unwillkürlich denkt man vielleicht das tröstliche Wort in der Schrift (
<p>): „Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“ Dieser Satz spendet Gläubigen Geborgenheit in den Händen eines Vaters. So dürfte der Satz auch gemeint sein – man kann schwerlich dahinter einen anderen, „tieferen“ oder gar gegenteiligen Sinn sehen.</p> <p>Aber sind wir denn wirklich so geborgen, wenn die Mechanismen der Schöpfung anscheinend systematisch mit unserer Gesundheit Roulette spielen? Was davon war die Intention eines Schöpfers?</p> <p><emphasize>Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir überhaupt noch leben,</strong></emphasize> <p> wenn man sich all das vor Augen hält. Ist es wirklich ein Wunder, im übernatürlichen Sinn? Ist </p> <p><emphasize>das </strong></emphasize> <p>vielleicht das größere Wunder als die Pracht der Natur, die wir bisher bestaunt und einem genialen Schöpfer zugeschrieben haben?</p> <p>Oder verstehen wir einfach die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge noch nicht ausreichend gut? Das klingt allerdings sehr wahrscheinlich.</p> <p>Jedoch nicht alles, was gut funktioniert, ist auch „gut“ – denken wir an die Sklaverei. Sie hat sehr effizient „funktioniert“ und Hochkulturen ermöglicht. Und sie funktioniert auch heute noch in den Fabriken Ostasiens, die für internationale Bekleidungskonzerne T-Shirts um 4 Euro produzieren. Nicht alles, was gut funktioniert, ist auch „gut“ im Sinne der Ethik. Wie steht es um die Evolution – um die Schöpfung durch Evolution? Erzeugt sie den Fortschritt nicht über sehr viel Leid? Beim Militär nennt man so etwas „collateral damage“, in der Medizin „Nebenwirkungen“ – die einer „zielführenden“ Methode anhaften.</p> <p>Wie sollen Christen den „collateral damage“ in Zuge der Evolution verstehen, im Zusammenhang mit ihrem Glauben? Erschüttert es unseren Glauben an eine Geborgenheit in den Händen Gottes – oder können wir aus der Schrift auch für diese Faktenlage Trost gewinnen?</p> <p><emphasize>Wolfgang Schreiner</emphasize> <p>Der Autor ist Professor für Medizinische Computerwissenschaften am Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme der Medizinischen Universität in Wien: </p> <p> <p>. Er entwickelt Modellrechnungen für molekulare Vorgänge. Dabei trifft er auf zahlreiche zufällige und anscheinend chaotische Elemente, denen er in einem modernen Glauben Platz einräumt</p>
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