Foto: Lena Herrmann

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Reportage: Geisterstadt Varosha: Ein verlorenes Paradies in Nordzypern

Zerbombt, vermint, verlassen – ein fahler Sonnenstrahl bricht durch die Reste eines zerfallenen Balkons, während ich ein rostiges, verbogenes Fahrrad durch die leeren Straßen von Varosha lenke. Die Stille dieser Stadt ist beklemmend. Eine Reportage aus der Geisterstadt Varosha, einem verlorenen Paradies in Nordzypern.

Nicht die friedliche Stille eines ruhigen Morgens, sondern eine, die von Vergangenheit und Verlust erzählt. Einst ein belebtes Tourismusparadies mit goldenen Stränden, glasklarem Wasser und Luxushotels, ist Varosha heute eine Geisterstadt.

Ein Ort, den die Zeit vergessen hat

Varosha liegt in Nordzypern, dem Teil der Insel, der seit 1974 von der Türkei kontrolliert wird. Damals, während der türkischen Invasion, flohen die Bewohner von Varosha in panischer Eile aus ihren Häusern. Sie dachten, es sei nur für ein paar Tage. Doch niemand kehrte je zurück. Die Stadt blieb abgeriegelt, eine verbotene Zone, die nur Militär und UN-Personal betreten durften. Jahrzehntelang war Varosha eingefroren. Eine Kulisse aus einer anderen Zeit, überwuchert von der Natur und geplündert von der Zeit.

Seit einigen Jahren ist ein kleiner Teil der Stadt wieder öffentlich zugänglich. Für 100 türkische Lira konnte ich mir ein Fahrrad mieten und mich für ein paar Stunden durch dieses gespenstische Labyrinth bewegen. Doch die Gefahr ist allgegenwärtig: Nur ein kleiner Teil ist öffentlich zugänglich und ist es strikt verboten, die gekennzeichneten Wege zu verlassen. Viele Bereiche und Gebäude sind nach wie vor vermint, der Zugang streng limitiert. Kontrolliert durch die Vereinten Nationen und die türkische Armee.

Ein Rätselspiel in den Ruinen

Als ich mich vor dem alten Toyota-Gebäude anhalte, treffe ich auf einen Polizisten. Ein offener, freundlicher Mann, der mir alte Fotos auf seinem Handy zeigt. Gemeinsam versuchen wir, die Orte auf den Bildern in den heutigen Ruinen wiederzuerkennen. Wo einst buntes Treiben herrschte, stehen jetzt nur noch leere Fassaden. „Hier war früher ein Kino“, sagt er und zeigt auf ein verwittertes Gebäude. Die Fassade ist von der Zeit und dem Salzwasser des nahen Meeres gezeichnet. Die Buchstaben des alten Schriftzugs sind längst verblasst, nur ein paar rostige Überreste hängen noch an der Wand.

Ich versuche, mir das Lachen der Menschen vorzustellen, die einst hier ihre Filme schauten. Junge Paare, Familien mit Popcorn in der Hand, Kinder, die aufgeregt über den neuesten Film sprachen. Es fällt mir schwer. Die Straßen sind leer, der Wind trägt nur den Klang der Wellengeräusche heran. Keine Stimmen, kein Licht, kein Leben.

Der Polizist scrollt weiter durch seine Fotos. Er zeigt mir ein Bild eines belebten Boulevards mit Restaurants und Geschäften. „Hier war ein Café, in dem die Leute stundenlang saßen und den Tag genossen“, sagt er und deutet auf einen Ort, der heute nur noch aus zerbrochenen Fenstern und eingestürzten Mauern besteht. „Damals war es voller Leben. Jetzt …“ Er zuckt mit den Schultern und seufzt.

Die Fotos in seinen Händen wirken wie eine Brücke in eine andere Zeit. Sie erzählen von einer Stadt, die einmal voller Hoffnung und Zukunft war. Von Menschen, die hier geboren wurden, ihre Familien gründeten, lachten, liebten. Jetzt sind sie fort. Nur ihre Spuren sind noch da, eingebrannt in den zerfallenen Mauern und in den Erinnerungen der wenigen, die sich noch an das alte Varosha erinnern können.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Während meiner Fahrt komme ich immer wieder an Gebäuden vorbei, die heute von Soldaten und UN-Personal genutzt werden. Ihre Präsenz ist eine ständige Erinnerung daran, dass dieser Ort nicht einfach nur verlassen ist. Er ist eingefroren in einem ungelösten Konflikt. Die UN ist hier, um zu beobachten, um zu mahnen. Doch eine Lösung für den Zypernkonflikt scheint in weiter Ferne zu liegen.

An einem der verfallenen Gebäude hängt eine riesige türkische Flagge, die sich im Wind bewegt. Sie dominiert die Szenerie, als wolle sie daran erinnern, wer hier die Kontrolle hat. Der Anblick wirkt fast provokant in dieser stillen Geisterstadt, deren Geschichte sich zwischen Besatzung und Verlust bewegt.

Ein Ort des Friedens oder des ewigen Stillstands?


Varosha ist eine Mahnung. Ein Ort, der zeigt, was Krieg und politische Konflikte aus einer blühenden Gemeinschaft machen können. Während ich langsam zurückfahre, frage ich mich, ob diese Stadt jemals wieder leben wird. Oder ob sie für immer ein Denkmal der Vergangenheit bleibt, eingefangen in der Stille.

Eine Reportage von Lena Herrmann, kath.de - Redaktion


Kategorie: Politik

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