Wer setzt sich schon auf eine Bank unter solch verbogene Bäume. Foto: J. Mügge

Religion: wegen des Bösen Theodizee 5

Warum gibt es neben dem Bildungssystem, den Gesundheitseinrichtungen, den Banken, den Firmen noch eine Institution, die den Menschen mit Gott verbinden will? Wenn alles aus Gottes Hand kommt, dann ist doch alles, eben die ganze Schöpfung Religion. Dann wäre jede Schule, jedes Krankenhaus, jede Fabrikhalle und jedes Bürohochhaus wie eine Kirche. Religion wäre dann in allem „drin“ gewesen.

Wäre die Welt noch in Ordnung, würden überall Menschen an Gottes Schöpfung mitarbeiten, sie wüssten sich mit ihm verbunden, dankten für ihr Dasein und würden Gott bitten, dass ihr Werk gelinge. Denn er hat ja selbst ein Interesse daran, dass sein Werk vollendet wird. Er hat die Evolution so angelegt hat, dass am Ende der Mensch seinen Beitrag zur Vollendung leisten kann. Aber das scheint nicht selbstverständlich zu sein, so dass es religiöse Institutionen braucht. Es scheint etwas in die Schöpfung geraten zu sein, was die Religion notwendig macht. Am Anfang bestand noch eine unmittelbare Beziehung zum Göttlichen. Religion als gesonderter Bereich war nicht notwendig.

Paradieses-Erzählungen: Die Welt sollte anders sein

Irgendwie ist aber ein Bruch in der Schöpfung, so dass sie alles andere als vollendet ist. Darauf weisen die Paradieseserzählungen hin, die sich Menschen auf der ganzen Welt erzählen. Sie spiegeln eine Ahnung, dass es am Anfang ohne Eifersucht, Neid, Streit, Mord ging. Ob in Ozeanien, bei den Indianern oder im Nahen Osten, von wo die Bibel und der Koran herkommen, fühlen sich die Menschen wie aus dem Paradies vertrieben. Ihre Vorstellungen vom Paradies finden sie wohl bei den kurzzeitigen Zuständen des Glücks, der Zufriedenheit: Dass es auch anders sein könnte, ohne Neid, Eifersucht, ohne Gewalt und Krieg. Aber "Jenseits von Eden" ist die eigene Existenz bedroht, durch Neid und Gewaltbereitschaft der anderen, durch die eigene Unordnung, die Abhängigkeit von einer Droge, durch Unzufriedenheit und daraus entspringende Streitlust.

Religion außerhalb  des Gartens Eden

Die Religion, wie wir sie heute haben, ist erst die Antwort auf die Vertreibung aus dem Paradies. Nun ist das Paradies nicht einfach etwas in der Vergangenheit. Es liegt ja irgendwo, denn wir wissen ja, dass es das gibt. Zumindest funktioniert die Tourismuswerbung mit den Paradieses-Motiven. Aber der reale Zustand der Welt treibt uns unweigerlich in dieses Gefühl hinein: so wie die Welt ist, passt sie nicht für mich. In der Trotzphase erleben wir eine ständige Unzufriedenheit mit den Zuständen. Demonstrationen sind dann der eigentlich legitime Aufstand gegen die Welt, wie sie ist. Dass Jugendliche aussteigen, wenn ihnen klar wird, dass ihnen eigentlich nur die Mühsal der Arbeit im Umfeld von Disteln und Dornen winkt, ist verständlich. Heute fliegen sie in die andere Welt von Australien und Neuseeland. Den Erwachsenen werden, wenigstens für einige Ferientage, von der Tourismusindustrie die "Urlaubs-Paradiese" versprochen oder auch nur in kleinen Päckchen als Wellnesswochenende verkauft.

Erlösung und Rückkehr zu Gott

Die Religion antwortet auf die Frage, die aus den Paradieseserzählungen entsteht: Wie kommt der Mensch wieder ins Paradies, aus dem er vertrieben wurde? Er muss zuerst erkennen, dass er selbst sich aus dem Paradies herausmanövriert hat. Er hat nicht Paradieses-gemäß gelebt. Deshalb muss er, so das Judentum und der Islam, zu der von Gott gewollten Ordnung zurückkehren. Da er die Ordnung, die gegen den Egoismus des Menschen errichtet wurde, verlassen hat, muss er zu der Ordnung zurückkehren, die Gott vorgesehen hat. Mit der Aufklärung könnte man auch sagen: Die Anerkennung der Menschenrechte ist die einzig tragfähige Basis der Gesellschaft:  „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ bringt es das Grundgesetz auf den Punkt.

Buddhismus und Gnosis: Die irdische Existenz selbst ist das Unglück

Der Buddhismus geht einen entscheidenden Schritt weiter: Der Mensch muss überhaupt aus seiner irdischen Existenz befreit werden. In dieser Welt zu leben, bedeutet schon Unheil. Nur eine Herauslösung aus der jetzigen Existenzform überwindet das Leid und damit das Ungenügen an dieser Welt. Das Christentum stand auch vor dieser Alternative. Die Bewegung kündigt sich schon in den späten Briefen des Neuen Testaments an und wird dort Gnosis genannt. Das hing mit der Kultur zusammen, in die die frühchristlichen Missionare gelangt waren. Mit dem Überschreiten der Grenzen Israels betraten die Prediger eine Vorstellungswelt, die nur das Geistige des Menschen, seine Seele für relevant erklärte. Die Seele ist, wenn sie in Verbindung mit dem Körper steht, in der Klarheit des Verstandes und in ihrem Glück gemindert. Befreiung vom Körperlichen war in dieser Vorstellung das Modell der Erlösung.

Der Körper ist nicht Ursache des Übels

Da die Bibel die Menschwerdung des Gottessohnes verkündete, konnte das Körperliche nicht als die entscheidende Ursache für das Ungenügen gesehen werden. Der Körper kann nicht allein Gefängnis der Seele sein, wenn Gott selbst "Fleisch geworden ist". Der Körper ist als Leib personhaft wie das Geistige. Leib heißt dann Gegenwart, Zeitlichkeit, Biografie, Leiden und Auferstehung. Das Böse ist nicht das Körperliche. Auch wenn die "fleischlichen Gelüste" den Menschen von seinem Ziel abbringen können, das eigentlich Böse kann nur im Geistigen gesucht werden. Die Überwindung des Bösen muss geistig angegangen werden, sie kann aber nicht am Leib vorbei geschehen. Der Sohn Gottes hat sich diesem Prozess unterworfen, geistig und körperlich, mit Leib und Seele. Aber nach 2.000 Jahren Christentum erscheint dieser Prozess vielen Menschen nicht mehr plausibel. Die Erlösung vom Bösen scheint nicht mehr zu gelingen. Daraus entsteht dann die Frage, warum es immer noch das Übel gibt, wenn die Menschheit durch Christus erlöst sein soll.

Infragestellung der Religion

Mit der Theodizeefrage artikuliert sich die Unzufriedenheit mit der Antwort der Religionen auf die Welt, die eigentlich anders gedacht war. Die Religionen versprechen Erlösung. Der Einwand dagegen: Warum ist es trotz der Allmacht Gottes etwas so schief gelaufen. Theodizee, also die Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels, fordert ja einen Gott, der es von Anfang an hätte besser machen können.
Die Theodizeefrage stellt nicht wie die meisten Religionen den Menschen infrage, die das Übel im Geschöpf ausmachen und eine Hinwendung zu Gott fordern. Dagegen erhebt die Theodizeefrage Einspruch. Wenn das Geschöpf notwendig zum Sünder wird, dann hätte Gott den Menschen doch gleich so erschaffen können, dass er nicht erlöst werden müsste. Paulus hat es auf den Punkt gebracht: Alle haben in Adam gesündigt, deshalb müssen alle erlöst werden. "Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten…“ Immer ist der Mensch der Schuldige. Zudem geben die Religionen ja mit ihren Paradieseserzählungen zu, dass es anders gedacht war. Damit leitet die Theodizeefrage eine neue Epoche des Religiösen ein. Gott muss sich rechtfertigen. Aus der Infragestellung Gottes ergeben sich weitere Fragen:

Die Religionen versprechen Erlösung, Heilung von den Wunden des Bösen. Das ist denjenigen zu wenig, die eine Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel in seiner Schöpfung fordern. Daraus folgt direkt die Frage, ob es überhaupt eine Schöpfung geben kann, wie wir Menschen sie uns wünschen und in den Paradieseserzählungen entwerfen. Dazu der nächste Abschnitt:

„Keine Schöpfung ohne das Übel“

Link: Bad Banks, Topografie des Bösen

Weitere Themen bis Ostern:
Buddhismus: keine Schöpfung ohne Leiden
Das Kreuz, Theodizeeproblem des Christentums
Sich von der Orthodoxie belehren lassen



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