(explizit.net) In Washington hegen Präsident und Kanzlerin auch Divergenzen. So will Angela Merkel keine Waffen in die Ukraine liefern. Der Konflikt sei nur politisch zu lösen. Dies möchte Barack H. Obama auch, doch fehlt ihm ein stimmiger Ansatz, der republikanische Falken überzeugt, die den Kongress lenken. Doch Merkel könnte ihm heute in Washington einen Weg aufzeigen, zumal sie gestern telefonisch mit François Hollande, Wladimir W. Putin, Petro O. Poroschenko ein Aktionspaket erprobt. Ziel: den Krieg in Osteuropa durch einen Konsens mit dem Kreml zu stoppen, dazu am Mittwoch ein Minsker Gipfel, wohin auch Separatisten anreisen. Also Merkels Ausdauer ist vor einer möglichen Eskalationsstufe zu bewundern, zumal der Präsident nach diesem Treffen zu einem Entschluss finden muss.
Als Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 6. Februar ihren Wunsch ansagte, keine tödlichen Waffen zu liefern, erwiderte Präsident Poroschenko, ein besser gerüstetes Militär der Ukraine würde Russland ermutigen, eine politische Regelung zu akzeptieren. Je besser seine Verteidigung wäre, umso überzeugender sei die ukrainische Stimme der Diplomatie. Er erwarte keine offensiven Waffen, sondern nur solche, die der russischen Artillerie, dem Radar und den Panzern begegnen könnten. Aber auch Merkel warnte, ob ihre jüngsten Gespräche Erfolg hätten, wäre noch ungewiss. Moskau habe die territoriale Integrität der Ukraine ebenso missachtet wie ihre staatliche Souveränität, das Völkerrecht werde gebrochen. Das widerspreche der Schlussakte von Helsinki, betonte die Kanzlerin.
Bereits in München gingen die Ansichten zur Lieferung tödlicher Rüstungen auseinander. Gegner sagten, die Waffen seien nicht entscheidend und rückten Russland allein näher an einen Krieg mit Amerika. Was werde, wenn der Kreml dann diesen Krieg eskaliere, folge eine direkte Konfrontation? Befürworter wie die Republikaner John McCain und Lindsey Graham unterstrichen, Merkel unterlaufe die „letzte beste Chance“ der Ukrainer, ihr Land zu behalten, indes McCain Merkels Position unakzeptabel, ja erschreckend falsch nannte.
Kreuzfahrer
Felder, in denen Merkels und Obamas Ansichten divergieren können, betreffen auch den Islamismus und „Islamstaat“. Während Merkel klar dessen islamistischen Terror und die Verbrennung des jordanischen Piloten Muaz al-Kasasba ebenso im Berliner Treffen mit Iraks Premier Haidar al-Abadi am 6. Januar verurteilt hat, vergriff sich Präsident Obama. Als am 3. Februar das Mordvideo bekannt wurde, erklärte er, dies erhelle weiter, wozu diese Organisation fähig wäre und den Grad, wie bankrott sie sei, „von welcher Ideologie sie auch operiere“. Er benennt sie nicht und redet weiter vom gewaltsamen Extremismus.
Mehr noch. Zwei Tage darauf, am 5. Februar, verwies er im Nationalen Gebetsfrühstück in Washington darauf: die Religion zu nutzen, um Gewalt und Tötungen zu rechtfertigen, beziehe sich nicht nur auf eine Gruppe oder Religion. Wer nicht auf das hohe Ross wolle, erinnere sich, was im Namen Jesu für schreckliche Taten in den Kreuzzügen und in der Inquisition geschahen. In Amerika sei zu oft Sklaverei und „Jim Crow“ im Namen Christi gerechtfertigt worden. Damit relativiert er den Geiselmord mit Punkten vor 1.000 bis 500 Jahren, lieferte Islamisten Munition. Usama Bin Ladin erklärte 1998 „Kreuzfahrern und Juden“ den Krieg. Erfährt er also Recht? Die Kreuzzüge bildeten einen blutigen Versuch, durch den Heiligen Krieg Christenräume zurückzuholen, die durch Jihad verloren gingen.
Obama offenbarte sein Fühlen und Denken. In Erinnerung an die Sklaverei, für deren Ende Amerikaner einen Bürgerkrieg erlebten, und die in Mittelost – von Mauretanien bis zu Golfländern – punktuell fortwirkt und im Kalifat „Syroirakistan“ aufersteht, spielt der Präsident auf die böse Karikatur „Jim Crow“ an. Diese stereotypisierte und dämonisierte Schwarze. In Amerikas Geschichte sicherlich empörend. Doch dies mit dem Geiselmord zu verknüpfen, nimmt er gefühlsmäßig und verteidigend Partei für Islamisten aus einem „globalen Opferdenken“ heraus. So wie der Islamist Abd al-Malik Hamza, der 1917 in einer aggressiven Opfertheorie des Islamismus dem Westen alles Elend angelastet hat.
Strategien
Anders agierte Merkel in München. Sie räumte zwar zuvor ein, dass es zu wenig Wissen über den Islam gebe. Doch geht sie frontal „islamistischen Terror“ an. Die Implosion der Staatsordnung in Syrien habe gravierende Auswirkungen auf Mittelost. Die Terrorgruppe „Islamstaat“ bedrohe die Stabilität Syriens, Iraks und der ganzen Region. Diese verfolge und ermorde all jene Menschen, die sich deren Machtwillen nicht unterwerfen, und agiere grenzüberschreitend. Deutschland nutze seine G7-Präsidentschaft dazu, um intensiv den Strom der Finanzen und Kämpfer für den Terrorismus nachhaltig einzudämmen. Ihrem Urteil freilich, von Afghanistan gehe heute keine globale terroristische Bedrohung mehr aus, kann man sich keineswegs anschließen. Die Taliban sind völlig aktiv und treiben ihr Unwesen auch von Pakistan bis Mittelost. Das vor allem solange, räumte Merkel ein, wie Korruption und Drogenwirtschaft wirken sowie der echte Versöhnungsprozess ausstehe.
In Berlin erklärte Iraks Premier al-Abadi, nicht nur Irak werde bedroht, sondern die Welt. Je länger dieser Konflikt andauere, desto mehr Kompetenzen und Kapazitäten erlange der „Islamstaat“. Die Kanzlerin verwies auf einen Kernpunkt. Berlin habe die UN-Resolution gegen die „foreign fighters“ in das deutsche Recht umgesetzt, also gegen ausreisende und dazu willige Terroristen. Hierbei zähle gleichwohl die Kooperation mit der Türkei, weil diese zum Teil ein Transitland sei, sowohl in Richtung Syrien als auch Irak. Und diese Zusammenarbeit solle verbessert werden. In der Tat zeigt sich die Türkei als ein Dreh- und Angelpunkt im Ringen gegen Islamisten aller Art. Den Willen vorausgesetzt, könnte von dort her der „Islamstaat“ stärker abgebremst werden. Dies ist nicht zu unterschätzen.
Merkel erklärte Rüstungshilfe für Irak und Kurden und die riesigen Herausforderungen im Kampf gegen die „Terrororganisation Islamischer Staat“. Etwa 100 Soldaten leiten irakische Streitkräfte und kurdische Peschmerga-Kämpfer an, Sanitäter, Minenbeseitiger, Führer und Taktiker, Sicherheitskräfte der Regionalregierung von Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte. Dies, um sie gegen den „Islamstaat“ zu wappnen. Und Amerika?
Die Nationale Sicherheitsstrategie erläuterte Sicherheitsberaterin Susan E. Rice am 6. Februar. Es ist die zweite Strategie der Administration. Sie bilanziert sechs Jahre. Dazu gehört, die Truppen von 180.000 auf 15.000 in Irak und Afghanistan reduziert zu haben. Ob der Abzug aus Irak verantwortlich geriet, wird die Geschichte erweisen. Neben dem Kampf gegen Terror liegt ein Fokus darauf, lokal Potenziale zu hegen, um Ursachen von Konflikten zu vermindern. Dazu zählt, extreme und gefährliche Ideologien abzuwehren. Welche, ist offen. Diese Strategie spiegelt Obamas Defensivansatz, der Dinge leicht von anderen Seiten betrachtet. Im Atomstreit mit Iran muss sich Merkel hart darauf einstellen.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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