(esplizit.net)
Gegengelesen-Kommentar von Thomas Holtbernd
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Es ist ganz eigentümlich, man möchte Leute verteidigen, denen man früher vielleicht nur die kalte Schulter gezeigt hätte. Und während man an Verteidigung denkt, möchte man sich schon wieder von seinem Ansinnen zurückziehen. Einen Thilo Sarrazin kann man als aufgeklärter Mensch nicht wirklich gut leiden und möchte lieber nicht darüber reden. Doch irgendwie trifft er auch etwas, was falsch ist in diesem Lande. Sarrazin wird ins Abseits gestellt und in Berlin bringt man ihn ohne Argumente zum Schweigen. Ebenso erging es jetzt Sybille Lewitscharoff in Dresden. Da hagelt es Kritik von allen Seiten.
Gleiches gilt für Wladimir Putin. Natürlich macht dieser Mann einen ganz merkwürdigen Eindruck. Aber sind die anderen besser? Wissen wir tatsächlich, welche Spielchen die anderen treiben? Welche Interessen werden vertreten? Deutschland hängt am Gas. Können wir sicher sein in dem, was wir verstanden zu haben glauben? Ist nicht alles ein Verwirrspiel? Können wir einen Wladimir Putin besser einschätzen als eine Angela Merkel? Welche Geschichtsfälschungen werden betrieben, damit wir uns hinter eine Richtung stellen?
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Kultur der Mündigkeit
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Darf ich sagen, was ich denke? Bin ich gleich Kulturpessimist, wenn ich kritisch bin? Das Abendland geht noch nicht unter, ich bin jedoch auch daran interessiert, dass es so bleibt. Daher möchte ich die Errungenschaften der deutschen Geistesgeschichte pflegen. Unser Geist gewährt uns die selbst geschuldete Mündigkeit. Und zur Mündigkeit gehört es auch, auf das zu schauen, was jemand mit vielleicht unpassenden Worten und verwirrtem Geist uns sagt. Die Vertreter einer angeblichen Kultur der Mündigkeit lesen einen Text nur, um sich aufzuregen. Und finden werden sie immer etwas. Das scheint die Devise zu sein. Die Auseinandersetzung steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern das Auffindenwollen von „bösen“ Sachen. Frau Lewitscharoff hat den Löwen losgelassen: „Der Löwe war am Ende ein so freies und unbedingtes Wesen, daß ihm das Recht, zu sein, was er ausdrückte zu sein, nicht streitig gemacht werden konnte.“ (aus S. Lewitscharoff „Blumenberg“)
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Der Dichter spricht Löwendeutsch
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Sibylle Lewitscharoff hat dem Philosophen Hans Blumenberg einen Löwen anfantasiert, der ihn schließlich in eine andere Welt reißt. Dichterische Freiheit besteht indes darin, dem Löwen eine Stimme zu geben. Wer wenn nicht Dichter dürfen sich im Ton vergreifen? Ein Philosoph oder Wissenschaftler hat die Objektivität im Blick, eine Schriftstellerin hat die ungesagte und verborgene Wahrheit vor Augen. Bilder, die aus dem Nebel entsteigen, sollen bei Künstlern Bilder bleiben und nicht wortwörtlich genommen werden. Eine Schriftstellerin, die politisch korrekt ist, kann ihren Griffel auch gleich fallen lassen. Was wäre, wenn die Kritiker der Dresdner Rede die Bilder einfach mal wirken lassen?
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Die Geburt der Redlichkeit
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Die Debatten um Sarrazin, Lewitscharoff, Mosebach u. a. sind Sonntagsreden mit dem Anspruch, ein Anwalt von Richtigkeiten zu sein. Redliche Auseinandersetzungen differenzieren. Ein Künstler drückt oft etwas aus, was er selber nicht versteht. Ein Philosoph hingegen sagt erst dann etwas, wenn er sich sicher ist, das Gesagte in großen Teilen auch verstanden zu haben. Mit einem Künstler möchte ich nicht diskutieren, seine Argumente verzerren nur, was er/sie auszudrücken versuchte. Ich lasse mich ein und weder werte ich, noch urteile ich. Danach kann ich Antworten geben auf den vom Künstler induzierten Traum. Und welchen Traum habe ich, wenn meine Zeugung das Thema ist? Welche Bilder entstehen, wenn man mir sagt, dass meine Eltern ein arisches Kind zeugen wollten? Welche Fantasien entwickeln sich, wenn ich weiß, wie technisch und kalt meine Zeugung im Labor ablief? Die Antworten sind keine moralisch-ethischen Aussagen, es sind Ergebnisse von Erschütterungen, Verstörungen, Irritationen oder Ängsten, Wünschen, Sehnsüchten.
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Lieber Bilder als Kugeln im Kopf
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Die Fähigkeit, Bilder fühlen zu können, lässt auch das Gespür für Gefahren und Empfindlichkeiten beim Gegenüber wachsen. Sich mit moralischen Urteilen zurückzuhalten, kann den Blick auf das Geschehen schärfen. Und vielleicht lässt sich aus den Affären um Sarrazin oder Lewitscharoff lernen, wie man im Vorfeld Kriege und Gewalt verhindert. Erst kauen, schmecken, spüren und fühlen, dann unterscheiden. Und manchmal ist es so, dass die, die aus der Reihe tanzen, scheinbar völlig falsch liegen, bei mir die besseren Anregungen initiieren als die, die immer alles richtig machen.
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<emphasize>Ein Kommentar von Thomas Holtbernd. </emphasize>
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Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff bedauert ihre umstrittene Aussage über Menschen, die auf dem Weg künstlicher Befruchtung gezeugt:
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