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Lateinamerika – jenseits des europäischen Christentums

Gegen eine Krankenheilung Jesu in der Synagoge wird vorgebracht: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat!

Dieser unfreundliche Satz des Synagogenvorstehers schwingt, wenn er auch nicht mehr in unserer Kirche ausdrücklich ausgesprochen wird, doch unterschwellig in folgenden Aussagen mit: Die Kirche war immer so, und muss auch so bleiben. ….

Dagegen spricht aber: Wenn wir auch nur eine Sekunde an die Perikopen des Evangeliums denken, hört sich dies ganz anders an:

Gegen eine Krankenheilung Jesu in der Synagoge wird vorgebracht: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat!

Dieser unfreundliche Satz des Synagogenvorstehers schwingt, wenn er auch nicht mehr in unserer Kirche ausdrücklich ausgesprochen wird, doch unterschwellig in folgenden Aussagen mit: Die Kirche war immer so, und muss auch so bleiben. ….

Dagegen spricht aber: Wenn wir auch nur eine Sekunde an die Perikopen des Evangeliums denken, hört sich dies ganz anders an:

Es ist eine Sabbatzeit

Denn die schönsten Perikopen sind außerhalb der "Norm": Der verlorene Sohn, das Lesen der Kornähren am Sabbat, der barmherzige Samariter, die Heilung am Sabbat, die Diskussion über das Fasten usw.

Jesus gehorcht in diesen Perikopen nicht dem Gesetz des Sabbats. Alles, was er tut, ist außerhalb der Normen und Regeln; fast scheint es so, als wäre das der Kern seiner Botschaft.

Was bedeutet das aber für uns als Kirche und als Gesellschaft Jesu? Ich denke, dass wir in einer Art Sabbat-Zeit leben, eine Art Sabbat-Zeit erleben.

Diese Sabbat-Zeit ist ein wenig unkonventionell, sie steht außerhalb der "Norm", außerhalb des "Immer so gemacht", des „Einfach weiter so“.

Vor drei Jahren wollte das Kardinalskollegium ein lateinamerikanisches Haupt für die Kirche haben. Diesem Bespiel folgte nun auch der Jesuitenorden. Durch die Wahl eines lateinamerikanischen Jesuiten zum Papst motiviert, wählte nun auch die Generalkongregation des Ordens einen Lateinamerikaner zum irdischen Haupt des Ordens.

Lateinamerika ist anders

Zwei Männer aus Lateinamerika. Lateinamerika ist im Wesentlichen Sabbat, ist im Wesentlichen Neues, ist im Wesentlichen außerhalb der Norm oder gar jenseits der Norm. Einige Beispiele:

Von Europa haben wir den Glauben mit seinen Dogmen und Geboten erhalten. Diese sind bei uns zur Volksfrömmigkeit geworden. Volksfrömmigkeit ist im Wesentlichen Sabbat.

Von Europa haben wir den Marxismus erhalten. In dem Bemühen, ihn zu taufen, haben wir ihn in Befreiungstheologie umgeschmiedet. Die Theologie der Befreiung ist im Wesentlichen Sabbat.

Von Spanien haben wir das Spanische erhalten, die Sprache von Cervantes und Gongora. Die Sprache, die in Argentinien, wegen des Tangos, Jargon wurde, ist durch Garcia Marquez in Kolumbien zum magischen Realismus geworden. Unsere Literatur ist im Wesentlichen Sabbat.

Die Monarchie überlebte nur kurz in Amerika, aber: Könnten wir auf diese gottgleichen Anführer aus königlichen Linien verzichten? Von Chavez bis Trump, von Evita bis Hillary Clinton. Ludwig XIV., verglichen mit diesen Halbgöttern, war dagegen fast ein republikanischer Präsident.

Die Importe der Eroberer wurden umgeformt

Wir betrachteten die religiöse Kunst Europas. Aber wir kamen nicht umhin, auf die unbefestigte Straße hinauszugehen, sie mit Staub zu füllen, sie zu berühren, sie zu küssen, sie mit Kerzen anzureichern. Unsere Religion ist im Wesentlichen Sabbat.

Die Eroberer brachten den Barock. Der Barock verliebte sich in unser Gold und in unsere Vegetation. Er legte seine europäische Identität ab und wurde Bürger des lateinamerikanischen Kontinents.

Ihr habt uns den Kapitalismus hinterlassen, aber wir wussten nicht, was wir mit ihm tun sollten. Er bringt uns um, unsere Männer und Frauen, unsere Töchter und Söhne. Gestern genauso wie heute. Immer noch!

Skandinavien denkt bei Preisverleihungen nur an uns, wenn es um Frieden oder Literatur geht. Unsere übertriebene Realität, fast surreal, gibt uns vor, entweder zu schaffen oder zu kämpfen. Die exakte Wissenschaft ist nicht unsere Stärke.

Francisco Solano nahm einst die Geige, ein typisches Kammerinstrument. Heute hat sie die Kammer verlassen, spaziert durch die Wälder und Fluren, auf ihr werden Volkslieder und –Tanze von Menschen gespielt, die keine Noten lesen können, aber sie haben den Rhythmus und Melodien in ihren Seelen.

Amerika außerhalb der europäischen Ordnung

Amerika wurde am Sabbat gegründet, außerhalb der Normen, als pures Leben. Die endlosen Flüsse; die Berge, die den Himmel berühren, die ungeordneten Wälder, die unmessbaren Entfernungen, die unberührte Fruchtbarkeit unseres Boden, unsere unbewachten und unendlich wilden Naturschutzgebiete, die immer noch gegenwärtige Guerilla, die Abertausenden von Verschwundenen wie die radikale Armut weiter Gebieten können nicht innerhalb einer Woche geordnet werden.

Angesichts dieser „ungeheuren Wirklichkeit war unsere Vorstellungskraft kaum gefordert, da die größte Herausforderung für uns der Mangel an herkömmlichen Mitteln war, um unser Leben glaubwürdig zu machen.“ So Garcia Marques 1982 in seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises „Die Einsamkeit Lateinamerikas“. Unsere Erfahrungen können nicht innerhalb von sechs konventionellen Tagen "geheilt" werden. Deshalb benötigen wir weiter den Sabbat. Heute ist dieses Amerika, das am Sabbat geschaffen wurde und in einem ewigen Sabbat lebt, an der Spitze der Kirche und des Jesuitenordens angekommen.

Ohne den Wunsch überzubewerten, wir gehen in eine "Sabbat-Zeit" eingehen. Ich verstehe dies nicht als eine hartnäckige Ablehnung der Norm und ein beständiges Nichteinhalten-Wollen derselben, sondern als eine Kühnheit, sich manchmal über die Systeme unserer eigenen Religion hinwegzusetzen, um unseren eigenen Weg zu finden, um Gott und die Menschen miteinander zu verbinden. Es geht nicht um die Aufhebung des Gesetzes, sondern um die Erfüllung dessen, was dahintersteht: Gott und den Nächsten zu lieben.

Ein neue Welt

Ein Jenseits der Normen, das uns wieder in neue Räume, neue Situationen, neue Welten, neue existenzielle Erfahrungen führt und uns erlaubt, ihnen gerecht zu werden. Ich verstehe dieses "Sabbat-Zeit" als eine Zeit, das Unmögliche zu wagen, das zu wagen, was wir heute vielleicht als ungehörig verstehen.

In den Worten von P. Sosa: "das Unmögliche wagen, eine sich versöhnende Menschheit, die in Gerechtigkeit lebt, die in Frieden lebt, und in einem anständigen Haus."

Die schönsten Erinnerungen an den Jesus des Evangeliums kommen von außerhalb des Gesetzes: das scheinbar Übertreibende in der Vergebung, das Ungewohnte und Neue seiner Handlungen und Gesten, das Ungebührliche seiner richtigen Worte.

Unser argentinischer Papst spricht immer wieder von der Notwendigkeit, an geographische und existentielle Grenzen zu gehen. Das ist neu und herausfordernd. Vielleicht will uns Gott durch den neuen General aus Lateinamerika helfen, mutig in diese Richtung zu gehen. Der neuen Zeit entgegen.

Eine Zeit, in der die Probleme sicherlich dieselben sind wie immer, wo dieselben Kranken geheilt werden müssen, das Leid wird immer dasselbe sein. Aber eben eine Zeit, wo wir alles daran setzen müssen, alles Mögliche und Unmögliche, damit die leidenden Menschen auch am Sabbat zu uns kommen.

Ariel Grassini S.J.



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