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Kreuzweg

(explizit.net) Passend zur Fastenzeit ist der neue Film „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann in den Kinos angelaufen. Bei den Berliner Filmfestspielen hat er bereits einen Silbernen Bären bekommen und wird von Kritikern mit Lob überschüttet. Der Film ist eine Zumutung und damit hebt er sich wohltuend gegen viele Filme ab, die einfach nur schnelle Bilder mit einer mäßigen Geschichte liefern.

(explizit.net) Passend zur Fastenzeit ist der neue Film „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann in den Kinos angelaufen. Bei den Berliner Filmfestspielen hat er bereits einen Silbernen Bären bekommen und wird von Kritikern mit Lob überschüttet. Der Film ist eine Zumutung und damit hebt er sich wohltuend gegen viele Filme ab, die einfach nur schnelle Bilder mit einer mäßigen Geschichte liefern.

Der Regisseur hält sich formal an die Kreuzwegstationen. Nicht die Bilder bewegen sich, der Zuschauer muss sich bewegen. Es gibt nur eine Kameraeinstellung, kein Schwenk, kein Schnitt. Für heutige Filmrezipienten ist das wohl eine Qual. 14 Stationen werden eingeblendet, dann kommt eine Szene, die in Etappen die Leidensgeschichte der vierzehnjährigen Maria schildert. Es ist vordergründig die Geschichte eines Firmlings in der Pius-Bruderschaft. Die erste Station zeigt eine Stunde des Firmunterrichts, bei dem der Tod Marias angekündigt wird. Konsequent wird das Formprinzip Kreuzweg durchgehalten und die weiteren Stationen zeigen die Einschnitte im Leben einer Heranwachsenden in diesem streng-religiösen Milieu.

Die zweite Ebene des Films ist die Erzählung einer Familie mit einer rigiden Mutter und einem Vater als nebensächlichen Statisten. Es ist gleichzeitig die grandiose Darstellung einer Borderline-Persönlichkeit. Die beiden Ebenen des Films changieren ständig und verwischen einen eindeutigen Bezug. Dies ist, wie Brüggemann bei der Premiere in Essen erläuterte, Absicht. Ihm ginge es nicht darum, Glaubensgemeinschaften anzuklagen, Religion zu verunglimpfen oder den Glauben als Scharlatanerie darzustellen. Sein Anliegen sei es, eine beobachtende Erzählung zu liefern, für die er geeignet sei, da er Einblicke in dieses religiöse Milieu habe. Brüggemann war in Stuttgart Mitglied der Pius-Bruderschaft. Insofern hat der Film auch eine dritte Ebene, nämlich die Verarbeitung dieser Erfahrungen.

Der Film verweist in gewisser Weise auch noch auf eine vierte Ebene. Er spielt in der Jetztzeit. Es mag zwar auch heute noch solche Gruppierungen geben, doch der Anachronismus macht es überhaupt erst möglich, beobachtend und nicht wertend darzustellen, was vor 20 Jahren sicherlich große Empörung hervorgerufen hätte. Die religiösen Bilder können zwar noch verstanden werden, sie haben sich jedoch von ihrer Wirkmächtigkeit gelöst. Wenn eine Zuschauerin den Regisseur z. B. fragt, warum man denn 15:00 Uhr als Todeszeitpunkt gewählt habe, dann wird klar, dass bei vielen Menschen religiöses Wissen nicht mehr vorhanden ist und damit die religiösen Bilder gar nicht mehr wirken, da viele Rezipienten keine Zusammenhänge mehr herstellen können, ihnen fehlt schlichtweg das Wissen dazu. Wahrscheinlich werden an diesem Film vor allem die ihr „Vergnügen“ finden, die auch die Bezüge kennen und verstehen. Stilistisch spricht der Film jedoch auch Cineasten an. Die schauspielerischen Leistungen sind großartig. Das allein sind schon sehr gute Gründe, für diesen Film ins Kino zu gehen.

Dieser Film hat auf der anderen Seite etwas Erschreckendes. In seiner Objektivität vergegenwärtigt „Kreuzweg“, dass Religion oder Kirche mit Glauben nichts zu tun haben muss und geradezu nur dadurch existieren kann. Die Frage an Religion ist die nach der Ermöglichung oder Förderung von Beziehung. In „Kreuzweg“ gibt es zwei Angebote von Begegnung. Da ist das Aupair-Mädchen Bernadette aus Frankreich, die auf Grund der assoziierten Lourdesgeschichte zu sehr eine Beziehung mit dem Bild von einem Menschen ist und damit keine Beziehung von Mensch zu Mensch darstellt. Auf der anderen Seite ist Christian, ein Junge aus der Parallelklasse Marias, der sich mit ihr anfreunden will. Er ist die einzige Person, die am Grab gezeigt wird. Und da ist der vierjährige Bruder Johannes, für den sich Maria opfert. Er spricht wie ein Wunder zum ersten Mal in der Todesstunde Marias. Aus einer Sprachlosigkeit erhebt sich die Stimme des Johannes. Dies ist wohl einer der bewegendsten Momente in diesem Film. An dieser Stelle wird deutlich, womit Glaube zu tun haben müsste, nämlich mit einer formalen Notwendigkeit, die das Transzendente als Möglichkeit offeriert. Dietrich Brüggemann interpretiert dieses „Wunder“ als Vorführen dessen, was im Gedankengebäude religiöser Menschen logisch wäre: Maria opfert sich auf für ihren Bruder, dann muss weitergedacht auch der Bruder geheilt werden. Diese Notwendigkeit im Denken weisen „moderne“ Christen jedoch zurück und konterkarieren damit ihren eigenen Glauben. Sie verweigern die Kontamination des Glaubens mit einer nichtverstehbaren, aber erhofften Zufälligkeit. Ein Wunder erklärt sich nicht aus einer Überbietung der Naturgesetze, sondern aus der formalen Struktur des Glaubens. Diese Logik ist nur zu erkennen, wenn auf ein stehendes Bild geschaut wird, wie es „Kreuzweg“ verlangt. Die Stationen des Kreuzwegs erfordern eine Dynamik, die wieder das in den Blick nimmt, was durch ein ständiges Umherschweifen verloren gegangen ist. Mag Dietrich Brüggemann, wie er sagte, für den Priester einen Schauspieler gesucht haben, der nicht ganz so erotisch wirkt, um Assoziationen mit der Missbrauchsdebatte möglichst zu verhindern, so kann man hierin auch einen Hinweis darauf sehen, dass der innere Blick ebenso auf ein stehendes Bild gerichtet sein muss. Denn nur so kann sich eine erotische Dynamik entfalten, die in der formalen Struktur des Glaubens bleibt und Movens ist für Begegnung.

Der Film „Kreuzweg“ benennt damit, wahrscheinlich von den Geschwistern Brüggemann unbeabsichtigt, das Grundproblem heutiger Verkündigung. Die Missbrauchsdebatte, die Umstrukturierungen, die Fragen um Zölibat und den Umgang mit Homosexuellen sowie Wiederverheirateten sind wichtig, doch berühren sie nur den Glauben, sie machen ihn nicht aus. Die große Aufgabe ist es, die Augen auf das zu richten, was der Glaube als Form mit den daraus folgenden Notwendigkeiten anbietet und dies statisch zu belassen, um dynamisch zu werden. Nicht die Kirche muss sich ändern, die Gläubigen müssen in Bewegung kommen, indem sie von Station zu Station ziehen. Zu den Gläubigen zählen Laien wie auch Priester. Die Klage über den Verlust religiösen Wissens hört genau dann auf, wenn der Kreuzweg gemeinsam gegangen und Glaubenserfahrung gemacht wird. Der Film „Kreuzweg“ hinterlässt den Geschmack einer solchen Hoffnung, das Konkrete ist in den Himmel geschrieben.

<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>



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