Wie weit ist es her in diesem Deutschland des Jahres 2025 mit dem Versprechen des „Nie wieder“? Nie wieder Krieg von diesem Land aus, aber vor allem nie wieder Ausgrenzung, Antisemitismus und Ausradierung von Menschen – das waren die Versprechen, welche die junge Demokratie sich und der Welt gab bei ihrer Gründung nach dem Grauen des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs.
Die Realität sieht acht Jahrzehnte später anders aus. Jüdische Menschen in Deutschland erleben wieder Antisemitismus und Bedrohung. Oft ganz offen ausgelebt auf den Straßen unseres Landes. Und seit bald zwei Jahren, seit dem sogenannten Potsdamer Treffen als rechtsextrem eingestufter Kreise, geistert das Wort der „Remigration“ durch Diskussions- und Stammtischrunden und vor allem durch die nicht so sozialen Medien.
„Die Demokratie wird nicht mehr nur angegriffen, sie ist dabei zu zerbröseln!“ Mit dieser Warnung und vielen weiteren, klaren und schonungslosen Worten wollte der Jurist und Publizist Michel Friedman als Laudator das Auditorium aufrütteln bei der Verleihung des Katholischen Medienpreises in München. Friedman sprach zur Vergabe des Hauptpreises an den Filmemacher Volker Heise für seine ARD-Dokumentation „Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen“.
Es geht längst nicht nur um Jüdinnen und Juden, warnte Friedman. Nicht nur um die „erkennbaren Minderheiten“, nicht nur „um „schwule Menschen, schwarze Menschen, Roma-Sinti-Menschen“ oder Frauen. Wenn man all die Etiketten und Einordnungen, die Menschen voneinander trennen, wegnehme, dann bleibe nur eines, so Friedman: „Der Hass auf den Menschen.“
Ja, es gibt viele Probleme zu lösen in unserem Land. Und eine unregulierte Zuwanderung oder blauäugiges Feiern von „Buntheit“ und „Vielfalt“ ohne tragfähige, nachhaltige und selbstkritische Integrationsarbeit sind nicht der richtige Weg. Dass Deutschland sich aktuell einer Fülle von Problemen und Herausforderungen gegenübersieht, ist unbestreitbar. Doch gegen die Krisen – national wie global – können und dürfen Hass und Hetze niemals die Antwort sein.
„Hass ist hungrig und wird nie satt“, sagte Friedman. „Hass ist keine Meinung, sondern pure Gewalt“ Sprache entlarvt nicht nur, Sprache formt auch die Realität. Je mehr Hass und Ausgrenzung sich im täglichen Sprechen, Schreiben und Posten oder auch im täglichen Handeln finden, umso schwieriger wird es für eine Gesellschaft, Krisen zu meistern, die wir als Menschen nur gemeinsam meistern können.
Wäre es nicht viel klüger, alle Kräfte dafür einzusetzen, dass unser Land und unsere Welt auch für künftige Generationen noch lebenswert sind? Dass die junge und die künftigen Generationen überhaupt noch eine lebensfähige und zukunftsfähige Welt und Gesellschaft vorfinden?
Wie das gelingen kann – darüber darf und muss man diskutieren und auch streiten. Aber dabei darf es nie (wieder) dazu kommen, dass man dem Anderen sein Menschsein abspricht. Dass man ihn oder sie nicht mehr mit einem grundlegenden Respekt und der Achtung vor seiner reinen Existenz als atmender, fühlender Mitmensch betrachtet und behandelt.
Aus hochkomplexen Problemlagen führt nicht der leichteste Weg – das Beschuldigen von Sündenböcken und das Abschieben von Verantwortung auf „andere“. Es sind nicht nur Politikerinnen und Politiker, Kirchen und NGOs, die Wirtschaft oder Institutionen, die Lösungen finden müssen für die drängenden Fragen und Krisen unserer Zeit.
Krisen bringen Verunsicherung mit sich, Ängste und Ablehnung des vermeintlich Fremden. Das muss man ernst nehmen. Und man muss auch ernst nehmen, dass aktuell rund ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung zumindest eine Nähe zu den Positionen und zur Politik der AfD bekundet, wobei darunter auch viele "Protestwählerinnen" und "Protestwähler" sind. Weder mit ihnen noch mit irgendjemandem sonst, darf der Dialog abreißen. Durch all den schon geschürten und verbreiteten Hass ist es schwieriger geworden, miteinander im Gespräch zu bleiben. Doch es ist nicht unmöglich.
Fazit: Auch wenn es Kraft kostet: Wir müssen uns täglich neu einsetzen für ein menschliches Miteinander – und für unsere Demokratie. Deutschland hat 1945 eine neue, eine zweite Chance bekommen. Und sie lange Zeit gut genutzt. Nun jedoch steht all das, was unser Zusammenleben im Inneren wie mit den anderen Nationen ausgemacht hat, auf dem Spiel. „Können Sie mir garantieren, dass wir in fünf oder zehn Jahren noch in einer Demokratie leben?“ hat Michel Friedman in seiner Rede gefragt. Wir können nur ein Versprechen abgeben als Christinnen und Christen, als Demokratinnen, Europäer oder Weltbürger: Nicht aufzugeben und immer dann, wenn wir Hass, Hetze und Ausgrenzung wahrnehmen, dagegen zu sprechen und zu handeln. Als „Handlungsreisende der Freiheit“ und der Demokratie, um noch ein Friedman-Wort aufzugreifen. Es ist an uns, an Ihnen, an Dir und an mir, in welcher Welt wir leben – nicht erst morgen, sondern schon heute.
Ein Kommentar von Hildegard Mathies
Foto: Deutsche Bischofskonferenz / Robert Kiderle
Der Katholische Medienpreis wird jährlich verliehen von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands (GKP) sowie dem Katholischen Medienverband (KM). Weitere Informationen gibt es auf der DBK-Website.
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