ehem Kapelle in Hebel Foto: Bistum Fulda

Kirchenbauten in Nordhessen – Umbau zu Wohnraum

Als nach dem Krieg Flüchtlinge aus Schlesien und dem katholischen Teil Ostpreußens auf die Regionen verteilt wurden, kamen auch viele nach Nordhessen. Für sie wurden Kirchen gebaut, die heute nicht mehr gebraucht werden. Kreativität ist gefragt, um die Bauten anders zu nutzen. Zwei Beispiele zeigen als Lösung, wie aus Kirchengebäuden Wohnraum wird

 

 

Wohnen in ehemaligen Kirchen

Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich in Deutschland etwa 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten an. Sie brachten einen tiefen katholischen Glauben mit in ihre neue Heimat, fanden in Nordhessen aber eine stark evangelisch orientierte Gemeindelandschaft vor. Ulrich Pantles beschreibt in „Leitbild Reduktion“ (2005) diese Situation wie folgt: „Der Glaube und damit die Kirche war für diese Menschen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, ein identitätsstiftender Strohhalm.“ Daher entstanden viele katholische Flüchtlingsgemeinden. Der gleiche Glaube und das gleiche Schicksal verbanden die Menschen und halfen, in der neuen Heimat anzukommen und heimisch zu werden.
Anfangs wurden die Gottesdienste teilweise in evangelischen Kirchen gefeiert, aber auch in profanen Räumlichkeiten wie Gaststätten, Scheunen oder Fabrikhallen. Doch der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus war groß. So entstanden in der nordhessischen Diaspora nach 1945 mit finanziell knappen Mitteln und daher einem hohen Anteil tatkräftiger Eigenleistung über 100 Neubauten.

Es fehlten die Pfarrer

Für diese in kürzester Zeit entstandenen vielen kleinen Kirchengemeinden gab es jedoch nicht ausreichend Pfarrer. Daher wurden sie aus naheliegenden größeren Pfarreien betreut. Die Abwesenheit eines „Hirten“ vor Ort erschwerte im Laufe der Jahre jedoch immer mehr das aktive Gemeindeleben. Die evangelischen Gemeinden dagegen waren über viele Jahre vor Ort mit Pfarrer und Gläubigen etabliert. Das und der Wunsch nach der Integration führte dazu, dass der Nachwuchs der zweiten Generation der Flüchtlingsgemeinden häufig evangelisch getauft wurde.  Konsequenz: Die kleinen katholischen Gemeinden schrumpften, die neu geschaffenen Kirchenbauten wurden immer weniger genutzt  und schließlich ab den 90er Jahren zum Verkauf freigegeben. Die Käufer fanden sich meist im direkten Umfeld.

Ehemalige Kapelle Heilig Kreuz in Hebel-Wabern

So auch im Fall von der Kapelle Heilig Kreuz in Hebel, einem Ortsteil der Gemeinde Wabern im Schwalm-Eder-Kreis. Das Gebäude, eine einfache Holzkonstruktion, gehörte ursprünglich zu einem Arbeitslager im 15 km entfernten Holzhausen. Es wurde von den Heimatvertriebenen, die aus der Stadt Iglau (Jihlava) im heutigen Tschechien stammten, erworben und in Hebel aufgestellt. Die Kapelle bot Platz für den Kirchenraum als auch für eine kleine Wohnung, in der anfangs ein ebenfalls heimatvertriebener Pfarrer wohnte.
Später wurde die Gemeinde aus dem sechs Kilometer entfernten Homberg Efze betreut. In die Wohnung zog die Küsterfamilie Zabkiewicz und kümmerte sich um die Kapelle. Im Laufe der Jahre sankt allerdings die Gemeindemitglieder. Das endgültige Aus kam durch die Vergrößerung des Betreuungsgebietes für den  Homberger Pfarrer, der daraufhin seine Aktivitäten in Wabern einstellen musste.
Die letzte Messe in Heilig Kreuz feierten Pfarrer und Gemeinde am 29. September 2008. „Am Schluss habe ich das „Ewige Licht“ gelöscht, mit den Ministranten und Gemeindemitgliedern den Altar entblößt und den Reliquienstein herausgenommen. Der Vorgang der Profanisierung (=Entweihung) war für alle ein sehr bewegender Moment. Hinterher haben wir dann einige Tische in der Kapelle aufgestellt und gemeinsam gefrühstückt“, erinnert sich Pfarrer Hahner.
Kurz darauf wurden der schlichte Holzaltar, Tabernakel und einige Bänke mit einem von „Kolping“ organisierten Hilfskonvoi nach Kroatien verschenkt, bevor die ehemalige Küsterfamilie das Gebäude 2009 kaufte und umbaute. Der Verkauf an die heutigen Besitzer stieß bei den Gläubigen eher auf Wohlwollen denn Widerstand. „Auch wenn wir heute nach Homberg zum Gottesdienst müssen – es waren doch alle froh, dass die ehemalige Kapelle in bekannte Hände gelangte und nicht verfiel oder abgerissen wurde. Viele Erinnerungen sind an Heilig Kreuz geknüpft“, beschreibt es die Eigentümerin.
Heute weist nichts mehr darauf hin, dass in diesem Wohnhaus früher einmal Gottesdienst gefeiert wurde. Der Glockenturm wurde vor zwei Jahren abgerissen, die Holzwände sind verkleidet, die Fassade hat moderne Kunststofffenster. Im Duftgarten von Hebel gibt es jedoch noch einen Hinweis auf Heilig Kreuz: Dort fand vor einigen Jahren eine der drei Kapellenglocke ihr neues Zuhause. 

Ehemalige Kirche St. Christophorus, Wernswig-Homberg

Die ehemalige Kapelle Heilig Kreuz und die nur zehn Kilometer entfernte ehemalige Kirche St. Christophorus in Wernswig, einem Stadtteil von Homberg Efze, haben viele Gemeinsamkeiten: Beide entstanden im Zuge der Flüchtlingswelle, wurden von Pfarrern anderer Gemeinden mitbetreut und beide an Privatpersonen verkauft mit dem notariell festgehaltenen Zusatz, dass die Gebäude als Wohnhaus umzugestalten sind und nicht für gewerbliche Zwecke genutzt werden dürfen. St. Christophorus wurde allerdings mangels Katholiken bereits in den 90er Jahren nicht mehr für Gottesdienste genutzt. 2003 erhielt das Marionettentheater „Puppenbühne“ die Erlaubnis, in der ehemaligen Kirche zu üben und sogar – nach dem Bau einer kleinen Bühne – im Winter 2003/2004 Theateraufführungen abzuhalten. Die Kirchenbänke dienten den Zuschauern als Sitzgelegenheiten. 2004 wurde St. Christophorus an die ortsansässige Familie Bartl verkauft und die „Puppenbühne“ zog in ein anderes Gebäude im Ort.

Nach der Entweihungszeremonie durch den damaligen Pfarrer aus Ziegenhain wurde das Gebäude komplett geräumt und der Umbau begann. Dominik Bartl, Sohn der damaligen Käufer, erinnert sich noch gut an diese Zeit: „Anfangs fühlte es sich schon komisch an, in der ehemaligen Kirche zu werkeln. Überall lag schwarzer Marmor und der ehemalige Altarbereich war mit riesigen Bleiglasfenstern ausgestattet, die heute noch vorhanden, aber mit blauem Holz verkleidet sind. In Wernswig waren wir „die Bartls, die in der katholischen Kirche wohnen“. Aber mit fortschreitendem Umbau normalisierte sich das alles.“ Tatsächlich erinnert heute die besondere Form des Wohnhauses an seine ursprüngliche Nutzung. Damit folgte Familie Bartl den Vorgaben des Dekanats, dass das Gebäude weder von innen noch außen als ehemalige Kirche erkennbar sein dürfe. Dies ist sehr gut gelungen.
Doch nicht immer gelangen ehemalige Kirchen in verantwortungsbewusste Hände wie in den zuvor beschriebenen Fällen. Einige Gebäude wurden zwar als Wohnhaus komplett umgestaltet, wirken aber von außen leider ungepflegt und verwahrlost. Für die Katholiken vor Ort ist ein solches Szenario schlimmer als ein Abriss ihres ehemaligen Gotteshauses. Insofern gilt es gut zu prüfen, wer eine ehemalige Kirche erwerben darf. 

Laut Dr. Burghard Preusler, Ltd. Baudirektor Bistum Fulda, liegt diese Aufgabe maßgeblich in den Händen der jeweiligen Gemeinden vor Ort. „Eine Nachnutzung ist immer dann am besten und schnellsten zu realisieren, wenn eine Gemeinde, nachdem der Bischof die Schließung bestätigt hat, selbst aktiv lokal nach Interessenten sucht.  Meistens stammen diese aus dem gleichen oder einem benachbarten Ort. Man kennt sich und kann besser einschätzen, wie verantwortungsbewusst der potentielle Käufer mit der Immobilie umgehen wird“. Bleibt zu hoffen, dass die Mehrzahl der Besitzer bzw. Bewohner einer ehemaligen Kirche sich der Historie des Gebäudes und den damit verbundenen Erinnerungen und Emotionen Ortsansässiger bewusst sind und es entsprechend mit Leben füllen.

Literaturhinweis
Ulrich Pantle Leitbild Reduktion. Beiträge zum Kirchenbau in Deutsch- land von 1945-1950. 440 S., 105 s/w-Abb., 17 x 24 cm. ISBn 978-3-7954-1772-7.

 

 



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