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Kirche im Flutgebiet: zwischen Anpacken und Aushalten

Die Menschen im Ahrtal und den anderen überfluteten Tälern sind traumatisiert. Sie brauchen Zuhörer und Zuhörerinnen, um die Katastrophe zu verkraften. Johanna Becker war als Pastoralassistentin in Bad Neuenahr-Ahrweiler tätig, als die Flut kam. Über die Situation und die Notwendigkeit psycho-sozialer Hilfe durch die Kirche vor Ort berichtet sie einen Monat nach den Ereignissen.

Einige Medien haben in den letzten Tagen berichtet, dass die Flutkatastrophe weiterhin nicht vergessen wird und versuchen, die Geschehnisse präsent zu halten. Und tatsächlich sieht man weiterhin täglich Bilder, obwohl sonst oft bei vielen Themen schnell die mediale Aufregung nachlässt. Was ist hier anders?

Diese Beschreibung deckt auf jeden Fall auch unsere Wahrnehmung vor Ort. Wir hatten, gerade was auch die Seelsorge vor Ort angeht, zahlreiche Medienanfragen schon in den ersten Tagen, aber auch in den letzten Wochen. Und es gibt auch viele, die anfragen, ob sie uns länger begleiten können, um dann im September oder Oktober zum Beispiel bei ZDF 37 Grad zu senden über Seelsorge vor Ort und die Beerdigungskultur. Da merkt man schon, dass das Ausmaß dieser Katastrophe ein wesentlich größeres ist und das spiegelt sich eben auch in dem Medieninteresse wieder – Gott sei Dank. Das ist natürlich auch gut. Man muss da schon sehr schauen, was gut ist, um nicht pietätlos zu werden. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass echte Bilder und gute Berichterstattung erfolgen, weil es auch viele Fake News gibt, die vor Ort kursieren. Und es sind auch viele negative Kräfte unterwegs. Querdenker und so.

Wie ist die Lage generell mittlerweile: was hat sich verändert und wie ist die Zahl der Helfer:innen?

Die ersten Tage, die erste Woche war absolutes Chaos mit Schockzustand bei vielen, die einfach wahllos angefangen haben, zu arbeiten und Schlamm zu schaufeln. Die Zahl der Helfer:innen war riesig, von Anfang an, und ist auch immer noch groß. Aber mittlerweile läuft alles strukturierter. Die Helfer-Shuttles fahren ordentlicher. Das führt dazu, dass jetzt auch die Verkehrswege besser und freier bleiben. Man merkt einfach, dass die geordneten Strukturen besser greifen. Das hat am Anfang natürlich länger gedauert, weil ja einfach die komplette Infrastruktur lahmgelegt war. Also auch Kreis- oder Stadtverwaltung sind ja vom Hochwasser selbst betroffen und müssen sich alle ihre Organisationsstrukturen erst einmal wieder neu schaffen. Und es sind ja eben auch sehr viele Mitarbeiter:innen selbst betroffen.

Immer mehr Menschen im Katastrophengebiet (Betroffene und auch Helfende) brauchen psychosoziale Versorgung. Wie ist mentale Situation jetzt im Vergleich zu den ersten Tagen nach dem Hochwasser?

Wir haben gemerkt: je länger die Menschen arbeiten und je länger die Katastrophensituation noch anhält, umso dünnhäutiger und müder werden sie. Von Anfang an war die große Sorge da, was passiert, wenn die Menschen erst einmal anfangen stillzustehen. Wie gerade schon gesagt: am Anfang war da so viel Schlamm, da war so viel Arbeit, so viel rauszureißen. Und die Menschen haben einfach angefangen zu arbeiten, weil das eben auch das einzige war, was man tun konnte. Und viele fangen jetzt an nachzudenken, über das, was passiert ist und sehen, dass auch nach vier Wochen immer noch viel Arbeit da ist. Es wurde schon so viel getan und so viel gearbeitet, aber jetzt ist immer noch viel Arbeit übrig. Es gibt immer noch keinen Strom und kein Wasser an vielen Stellen. Und es ist noch nicht abzusehen, wie das mit den Heizungen wird, wenn der Herbst jetzt bald kommt. Da sind noch so viele offene Fragen und Probleme, dass wir auch deutlich merken, dass die Menschen für ihre Seele viel Unterstützung brauchen. Und das umso mehr, je länger die Situation jetzt noch anhält.

In einigen Kommentaren im Internet ist gerade auch als Antwort auf kirchliche Berichterstattung zu lesen, dass die Kirche nichts macht und besser anpacken soll, als Worte zu schwingen. Was wird momentan gebraucht und was macht die Kirche in der aktuellen Situation?

Die Kommentare kann man natürlich nachvollziehen. Man muss aber auch sagen, dass viele Menschen da sind, die anpacken und auch viele Menschen von Kirche anpacken. Ich kann jetzt sprechen für das Team, dass in der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler agiert hat, in dem ich mich auch beteiligt habe. Wir haben zum Beispiel erstmal den Grundsatz gehabt, dass wir niemanden irgendwo angefragt haben, um für die kirchlichen Gebäude Hilfe zu erbitten. Sondern alle, auch unsere Ehrenamtlichen, waren zunächst einmal mit den eigenen Häusern beschäftigt. Und erst nach einigen Tagen haben dann Menschen von außerhalb geholfen, auch kirchliche Gebäude zu entschlammen, was natürlich auch notwendig ist, da sie sonst ja auch völlig verfallen. Kirche vor Ort versucht natürlich vor allem einmal da zu sein. Das heißt nicht unbedingt immer, dass wir Schlamm schaufeln, aber wir glauben schon, dass das ein ganz wesentlicher Dienst ist, einfach mal ein offenes Ohr zu haben. Und das bekommen wir auch rückgemeldet. Also einfach mal da zu sein, um die Tränen auch laufen zu lassen, die Geschichte mal zu erzählen. Denn die Geschichten sind doch alle irgendwie gleich und doch ist jede anders. Und jede hat ihre ganz eigene Dramatik. Da ist es wichtig als Kirche da zu sein und das einfach mit aushalten zu können. Das Leid wegwischen können wir auch nicht. Und Antworten, warum das alles passiert ist, haben wir auch keine. Aber wir können es mit aushalten und uns anhören, was die Menschen zu erzählen haben, denn es muss irgendwie raus und braucht seinen Platz.

Psychosoziale und auch seelsorgliche Hilfe wird also durchaus angenommen?

Ja, auf jeden Fall! Und ich würde sogar sagen, dass schon viel da ist und trotzdem gar nicht genug sein kann. Denn im Grunde ist das ganze Tal traumatisiert. Auch in den Häusern, die vielleicht nicht direkt vom Hochwasser betroffen sind, leben Menschen, die einfach sehen, wie ihre Heimat vernichtet wurde. Und auch das ist in gewisser Weise ein Trauma.

Gerade eben wurde es schon kurz angesprochen: wie bestimmen Fake News den Alltag und wie behindert das auch die Hilfe?

Ich habe das Gefühl, es entsteht einfach unglaublich viel Misstrauen und die Unsicherheit ob Nachrichten oder etwas, was man gerade hört, wahr ist oder doch nicht stimmt. Wo und wie finde ich heraus, ob das eine richtige oder falsche Information ist? Wem kann ich vertrauen, wem nicht? Das sind so Fragen, die sich momentan stellen. Die Situation ist sowieso schon so schwierig und die Menschen beschäftigen sich mit so wesentlichen Dingen. Und dann kommt eben noch so eine Unsicherheit dazu. Das ist unglaublich schwierig und gerade in der letzten Woche haben wir uns viel damit auseinandergesetzt. Wo sind vielleicht auch Querdenker, die sich einschleusen und Theorien verbreiten? Und ich muss selber sagen: ich verstehe das auch nicht. Ich will auch gar nicht so ein misstrauischer Mensch werden, der jedem unterstellt, dass jemand vielleicht ein Querdenker ist. Und das empfinde ich als eine unglaubliche Schwierigkeit, hier jetzt nicht eine gewisse Grund-Skepsis einzunehmen. Denn eigentlich bin ich selbst eher so eingestellt, dass ich allen Menschen erst einmal etwas Gutes unterstellen will in dem, was sie tun und nicht gleich etwas Negatives.
Das ist unglaublich herausfordernd. Man kann gar nicht genau einschätzen, wo die sind und wo nicht und was die eigentlich wollen. Und diese zusätzliche Belastung brauchen die Menschen im Ahrtal auch gerade einfach überhaupt nicht.

Eigentlich hätte für dich ja an dem Wochenende, an dem die Flut kam, deine Verabschiedung aus dem Ahrtal stattgefunden, weil du ab September eine neue Stelle im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Jungen Gemeinde (KjG) Bayern antrittst. Jetzt hast du deinen Resturlaub kurzerhand selber gekürzt und bist zunächst geblieben. Was war für dich der ausschlaggebende Punkt vor Ort zu bleiben?
Der ausschlaggebende Punkt war… das kam für mich einfach überhaupt nicht in Frage! Für mich kam es, als die Katastrophe eingetreten ist, einfach überhaupt nicht in Frage, zu gehen. Wenn mich jemand gefragt hat „Wann gehst du denn?“ oder „Wärst du jetzt nicht eigentlich im Urlaub?“, dann war das für mich die schwierigste Frage. Denn ich habe gesagt: „Ich gehe jetzt nicht und wir reden auch nicht über Verabschiedung.“ Und so schlimm und schwierig es war, es war auch richtig, im Ahrtal zu bleiben. Nach drei Wochen habe ich dann aber doch gesagt, dass ich jetzt planmäßig umziehe. Ich habe durchaus auch in Erwägung gezogen, noch länger zu bleiben und mehr Urlaub zu streichen. Aber im Sinne auch meiner eigenen psychosozialen Nachsorge habe ich gedacht es braucht doch noch eine Pause und ein kleines Durchatmen bevor der neue Job beginnt, weil ich auch im neuen Job eine Verantwortung anderen Menschen gegenüber habe, die ich wahrnehmen will und muss. Und auch mir selbst gegenüber sollte ich da glaube ich ehrlich sein.


Kategorie: Orte

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