Soldatenfriedhof in der Eifel, Foto: hinsehen.net E.B.

Keine Schöpfung ohne Übel – Buddhismus Theodizee 6

„Gott hätte doch, wenn er tatsächlich allmächtig wäre, eine Welt ohne Leid schaffen können. Nicht der Mensch, sondern Gott selbst ist der Urheber nicht nur der Schmerzen, sondern auch der Kriege und des Mobbing.“ Das hält das Abendland Gott seit dem Erdbeben von Lissabon 1755 vor. In den vorausgehenden Beiträgen wurde die Diskussion im Westen wiedergegeben. Hier hatte es eine Synthese zwischen griechischer Metaphysik und christlichem Theismus gegeben. Wie sieht das aber vom Hintergrund des asiatischen Weltbildes aus? Und welche Bedeutung haben die Opfer der frühen Religionen?

Der Buddhismus hat das Problem nicht. Denn alles Vergängliche leidet. Deshalb konnte Gott keine Welt schaffen, in der es keinen Schmerz gibt. Hat das Abendland schlecht nachgedacht? Der Buddhismus hat aus der asiatischen Kosmologie heraus kein Problem mit dem Übel. Alles, was der Zeit unterworfen ist, dem fehlt etwas, was es erstreben muss, was der Veränderung unterliegt, ist dem Leiden unterworfen. Im Folgenden werden Überlegungen von Sebastian Gäb, die er bei einem Symposion zur Theodizeefrage 2015 vorgelegt hat, übernommen. Weiter wird die Erklärung von Gewalt unter Menschen, die René Girard in verschiedenen Publikationen entwickelt hat, herangezogen.

Warum Gott keine Welt ohne Leid schaffen konnte

Für den Buddhismus ist die Welt notwendig mit Leid behaftet. Denn alles hier Vorfindliche braucht anderes, um zu existieren. Daher muss es nach etwas streben. Deshalb kann ihm etwas vorenthalten werden. Zudem wird  jedes Wesen nie all das erreichen, was es erstrebt. Das, was ein Wesen erhalten hat, wird ihm zudem wieder genommen, einem Lebewesen mit dem Tod auch das Leben. Denn hat das Einzelne, ob etwas Unbelebtes oder ein Lebewesen, etwas erlangt oder bekommen, ist es damit der Zeit unterworfen. Das Gewonnene verbraucht sich, es gibt neue Bedürfnisse. Je sensibler ein Lebewesen ist und je mehr zur Reflexion fähig, desto mehr kommen Empfindungen wie Langweile, ersterbendes Glück, Verdruss ins Spiel. Die Umorientierung, die dem Menschen durch die Veränderungen aufgezwungen werden, fordern ihn. Entweder stemmt er sich dagegen oder er nimmt sie an. So leiden die Konservativen an dem Veränderungsdruck, die Progressiven an der Langsamkeit des Wandels. Die Digitalisierung geht den einen zu langsam, den anderen ist sie überhaupt zuwider.

Gott kann Vergängliches nicht von Leid befreien

Warum aber kann Gott diese Bedingungen nicht außer Kraft setzen? Auf den biblischen Schöpfungsbericht übertragen kann man sagen, dass Gott nicht etwas schaffen konnte, was ebenfalls die ganze Seinsfülle Gottes ausfüllt. Das wäre eine Verdopplung seiner selbst. Aber dann wäre dieses Wesen, wenn es nicht wieder Gott selbst wäre, nicht gleich ursprünglich und damit von Gott abgeleitet. Es könnte nur zeitlich existieren und wäre wieder ein Seiendes, das bedürftig und der Veränderung unterworfen wäre. Was die Philosophie in griechischer Denktradition nicht bedacht hat, können wir von Asien lernen: Wenn Schöpfung, dann ist sie mit Unvollkommenheit behaftet und damit dem Leid ausgeliefert. Wenn es Erwartungen gibt, werden diese mit Notwendigkeit enttäuscht. Deshalb gibt es für den Buddhismus als einzig logische Folge aus der Grundstruktur der Welt nur den Verzicht auf das Streben. Das wird dann „Entwerdung“ genannt.

Das Dilemma der menschlichen Existenz nach René Girard

Was der Buddhismus nur als allgemeines Ungenügen der Wesen, die begehren müssen, herausarbeitet, verschärft René Girard noch einmal für den Menschen. Dieser ist zum Zusammenleben gezwungen, ohne dass ein Instinktkorsett ihn daran hindert, sich des anderen zu entledigen. Dazu, nämlich den anderen loszuwerden, ist der Mensch, der sich mit dem anderen auseinandersetzen muss, verführt. Die Wurzel der Gewalt situiert Girard wie der Buddhismus im Begehren. Das bringt den Menschen in tödlichen Konflikt, wenn er sich nicht selbständig auf die Suche nach dem begehrten Objekt macht, sondern das begehrt, worauf sich das Begehren des anderen richtet. Diese Grundtendenz gilt natürlich auch für andere Lebewesen, sie radikalisiert sich jedoch beim Menschen, weil es nicht nur um eine erlegte Wildbeute geht, sondern um die langfristige Sinngebung der Existenz. Die gewinnt der Mensch u.a. durch einen gesellschaftlichen Status, nämlich durch eine Position in der Gruppe, in der Gesellschaft sowie durch einen Partner, eine Partnerin. Weil der Mensch als offenes Wesen jedoch aus sich selbst heraus nicht einfach Klarheit gewinnt, was für ihn wichtig ist, orientiert er sich am Begehren anderer. Denn was ein anderer begehrt, dass muss sich auf jeden Fall für einen selbst mehr lohnen als das, was man auf eigene Faust entdeckt. Das führt dann zu tödlichen Auseinandersetzungen um Machtpositionen wie auch um die vom anderen begehrte Person. Eigentlich läuft dieses Sich-Orientieren am Begehren anderer zum Kampf jeder gegen jeden heraus. Es wachsen sozusagen naturhaft Neid und Rivalität. Je mehr sie um sich greifen, desto mehr verstärken sich die negativen Gefühle. Damit nicht die ganze Gruppe, ob ein Stamm oder ein Team, eine Abteilung, eine Firma, ein Verein insgesamt zugrunde gehen, wird ein "Sündenbock" ausgeguckt, auf den sich die negativen Gefühle richten. Dieser muss sterben oder zumindest ausgestoßen werden. Hat die Gruppe den Sündenbock ausgestoßen, stellt sich ein Gefühl der Erleichterung ein. Für die Beteiligten ist dieses Gefühl der emotionale Beweis, dass der Sündenbock Ursache der wachsenden Mißstimmung gewesen sein musste. Deshalb verdeckt der Sündenbockmechanismus die ihm zugrunde liegende Dynamik des Begehrens. Diese Dynamik ist deshalb tödlich, weil der andere, dessen Begehren ich teile, ja mein Überleben infrage stellt, nimmt er mir doch das, was ich für mich erstrebe. Girard zeigt in "Das Heilige und das Opfer", dass das Töten unterbunden werden kann, wenn der Mord an dem ersten Sündenbock rituell wiederholt wird. Das entspricht der tiefen Einsicht der ersten Christen, in der Eucharistiefeier nicht nur der Auferstehung des Messias zu gedenken, sondern auch seines Todes. Girard weist auch darauf hin, dass das 9. und 10. Gebot der Bibel das Begehren unterbindet, das Begehren der Partnerin des anderen bzw. seines Besitzes. Die Religionen verheißen eine kommende Welt, in der die Übel überwunden und das Böse nicht mehr wirksam ist. Wie kann eine solche Welt aber an die, die wir kennen, anschließen? Dazu ein Beitrag, der sich auf die philosophische Argumentation von Holm Tetens stützt.

Zu René Girard s. Religion beginnt mit Gewalt               
Dramaturgie des Bösen



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