(explizit.net/kath.de) Die katholische Kirche scheint in einer Strukturdebatte festzustecken. Dabei möchte sie eigentlich für ihre Glaubensinhalte in der Gesellschaft einstehen. Kein Wunder also, dass auch die Medien an den eingefahrenen Positionen festhalten. Progressiv gegen Konservativ - Modern gegen Traditionell. Um aus der Krise heraus zu kommen, muss eine neue Form gefunden werden, diese Inhalte zu vermitteln.
Die katholische Kirche steckt in der Krise. Nachdem sie jahrzehntelang höchste moralische Standards von der Gesellschaft eingefordert hat, verliert sie durch die Verheimlichung von Fällen sexuellen Missbrauchs und intransparentem Finanzgebaren jetzt ihre moralische Integrität. Die Kirchen in Deutschland scheinen gleichzeitig mit ihrem religiösen Potential keine Antwort auf die tiefgreifende Glaubenskrise der Gesellschaft zu finden. In dieser Krise diskutieren die Katholiken immer wieder die gleichen Themen: Sexualmoral, Lebensschutz, demokratische Entscheidungsfindung in der Kirche, Gleichberechtigung. Kein Wunder also, dass auch die Medien an den eingefahrenen Positionen festhalten. Progressiv gegen Konservativ – Modern gegen Traditionell. Dem Beobachter wird dabei vor allem eins deutlich: Der gesellschaftliche Wertekanon ist nicht deckungsgleich mit der kirchlichen Lehre.
Allein die Meinungen, wer von beiden sich dem Anderen anpassen sollte, gehen auseinander. Die katholische Kirche scheint in dieser Strukturdebatte festzustecken. Dabei möchte sie eigentlich für ihre Glaubensinhalte in der Gesellschaft einstehen. Um aus der Krise heraus zu kommen, muss eine neue Form gefunden werden, diese Inhalte zu vermitteln.
Zwei Päpste fordern Entweltlichung und eine arme Kirche
Die beiden Päpste Franziskus und Benedikt XVI. fordern zu einer neuen Form der Glaubensweitergabe auf. Bei seiner Deutschlandreise 2011 verlangte Benedikt XVI. von den deutschen Bischöfen die Entweltlichung der deutschen Kirche. “Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein”, erklärte Benedikt XVI. damals. Sein Nachfolger, Papst Franziskus, verschärft diese Forderung noch, wenn er von einem Ideal der „armen Kirche“ spricht und die pastorale Begleitung der Menschen zu seinem Herzensanliegen macht. Das Armutsideal steht bei beiden, dem emeritierten wie dem amtierenden Papst als Garantie für eine neue Glaubwürdigkeit. Mit einem „Mehr“ an Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit wollen sie die Kirche aus der Glaubenskrise führen.
Externe Prüfberichte dienen der Aufarbeitung und Neuausrichtung
Wenn sie diese Idee umsetzen und glaubwürdig sein möchten, müssen sich die deutschen Bischöfe als Repräsentanten der Kirche zuerst ihrer Verantwortung stellen. In den Missbrauchsfällen und Finanzskandalen stehen sie als Identifikationsfiguren stellvertretend für begangene Fehler gerade. Mit dem Untersuchungsbericht zur Causa Limburg und der neuen Studie zur Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs wurden dabei zwei wichtige Schritte getan.
2010 Bischof Walter Mixa und vermutlich 2014 Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, an zwei Fällen, wo Bischöfe persönlich die Konsequenzen ziehen mussten, wird deutlich, dass die Kirche mit ihrer Verantwortung ernst macht. Die Offenlegung der Haushalte der Bischöflichen Stühle und die Umsetzung einer einheitlichen Präventionsverordnung gegen sexuellen Missbrauch lassen hoffen, dass es auch weiterhin so bleiben wird.
Aufräumen reicht nicht
Bei dem Eingestehen vergangener Fehler und einer stärkeren Transparenz kann es aber nicht bleiben. Neben den Bischöfen sind die kirchlichen Konfliktgruppen gefragt, die Chancen in der Krise zu erkennen. Nachdem immer weniger Katholiken die pastoralen Angebote wahrnehmen und der gesellschaftspolitische Einfluss der kirchlichen Verbände schmilzt, eröffnet die Aufarbeitung der vergangenen Fehler einen Raum, um sich auf die zentralen Inhalte der eigenen Glaubensgemeinschaft zu besinnen. Aus der Aufarbeitung heraus könnten diese jetzt die Chance ergreifen, die Kirche zu erneuern. Der Bedarf nach Glaubensangeboten ist da.
Wie wird die katholische Kirche glaubwürdig in einer kirchenkritischen Gesellschaft?
Denn auch in der Postmoderne suchen die Menschen nach Antworten auf essentielle Fragen. Die Individualisierung hat nicht, wie im 20. Jahrhundert angenommen, zu einer Abnahme der Religiosität geführt. Der Wunsch und die Suche nach Spiritualität und Gott werden zwar von Strukturplanern oft ignoriert, in der Breite der Gesellschaft sind sie jedoch präsent geblieben. Diese Suche äußert sich jedoch nicht in der Debatte um moralische Grundsatzentscheidungen oder festgeschriebene Lebensformen, sondern vielmehr in einem glaubhaften Angebot von Werten und Botschaften, an denen sich der Einzelne frei orientieren kann. Will die Kirche in der Moderne als Glaubensvermittler überzeugen, reicht eine Veränderung der Strukturen daher nicht aus. Die Gründung von XXL-Pfarreien mag kircheninterne Personal- und Finanzfragen beantworten. Für Menschen, die auf der Suche nach Antworten für ihr eigenes Leben sind, braucht es jedoch Vorbilder und kleine Gemeinschaften, in denen sie sich verorten können.
Die christliche Glaubensbotschaft wird dann wahrgenommen, wenn sie von Menschen vorgelebt wird, die authentisch sind. Das Armutsideal von Franziskus setzt hier an. Es erinnert die Kirchenvertreter daran, nach diesen authentischen Glaubenszeugen Ausschau zu halten und sie durch das eigene Vorbild zu unterstützen. Die Forderung nach Entweltlichung setzt auf das Potential der christlichen Botschaft, die neben den gesellschaftlichen Themen einen weiteren Bedeutungshorizont eröffnet. Dabei kristallisiert sich oft gerade im Unterschied zu den Wertevorstellungen der Gesellschaft das Einzigartige der christlichen Hoffnung heraus. Indem die Päpste diese Unterschiede und die Bedeutung von Einzelpersonen betonen, machen sie nicht die Strukturen, sondern die Inhalte zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der Krisenbewältigung.
Auf die Aufarbeitung folgen neue christliche Gemeinschaften
Während die Bistumsführungen und Laienvertreter noch mit den Fragen ringen, wie die Skandale aufgearbeitet werden und welche Konsequenzen für kirchliche Organisationsstrukturen gezogen werden müssten, sind es vor allem kleine christliche Gemeinschaften, die eine Erfolgsgeschichte feiern. Seit Jahren entstehen innerhalb der katholischen Kirche eine Vielzahl unterschiedlicher Bewegungen, die sich auch an Orten ausbreiten, wo die territoriale Pfarrseelsorge im Rückzug begriffen ist. Neben neuen geistlichen Gemeinschaften wie beispielsweise dem Neokatechumenalen Weg kommen mit christlichen Migranten auch viele andere Vertreter kirchlicher Bewegungen in die deutschen Diözesen. Sie speisen ihre Vitalität nicht aus Seelsorgeeinheiten oder Finanzplänen, sondern aus der je eigenen gelebten Spiritualität. Die Entscheidungsträger sind gut beraten, in den neuen XXL-Pfarrstrukturen nach diesen lebendigen Gemeinschaften Ausschau zu halten, ihre Vitalität zu fördern und zu integrieren. Praktizierende Christen stehen glaubwürdig für die christlichen Werte und die katholische Kirche in der Gesellschaft ein – und können weder durch kirchliche gesellschaftspolitische Forderungen noch durch Strukturen ersetzt werden.
<emphasize>Dario R. Hülsmann</emphasize>
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