(explizit.net/ kath.de) Der Krieg in Syrien hat mit dem möglichen Einsatz von Giftgas eine neue schreckliche Dimension erreicht. Nun steht der seit zwei Jahren tobende Bürgerkrieg in einem Land inmitten des Nahen Ostens im Zentrum der medialen und der politischen Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit ist gut. Dass erst zwei Jahre verstreichen müssen, Panzer, Boben und Raketen nicht genügen, erst der vermutliche Einsatz von Giftgas alle aus dem Schlaf der Gleichgültigkeit weckt, ist ein Skandal.
Stets wurde der Krieg als ein innersyrisches Problem betrachtet und nur wenig unternommen, um die Krise diplomatisch zu entschärfen. Dabei liegt das Land an der Grenze zu Israel, zum Libanon und zum Irak. Jedes Land für sich genommen lebt schon seit Jahren in einer angespannten Sicherheitslage. Das enge Miteinander verstärkt die Gefahr noch. Zudem wird die Mischung noch explosiver durch die verschiedenen Volksgruppen in Syrien selbst. Da kämpfen die Kurden gegen die Islamisten, die Gemäßigten gegen das totalitäre Assad-Regime. Niemand scheint in der Lage, sich militärisch durchzusetzen oder politisch für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Jeder greift zu härteren Mitteln und in dieser unübersichtlichen Lage ist es schwer herauszufinden, wer für den schrecklichen Angriff in der Nähe von Damaskus verantwortlich war.
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Stellvertreterkrieg in Syrien
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Viele Bebachter äußern sich derzeit zu den Risiken für den gesamten Nahen Osten, sollte es ein militärisches Eingreifen geben. Gewiss sind jene immens und drohen die Region ganz in den Abgrund eines menschlichen und wirtschaftlichen Scherbenhaufens zu stürzen. Doch größere Sorgen macht die derzeitige weltpolitische Rhetorik. Syrien droht zum Stellvertreterkrieg eines neuen Kalten Krieges zu werden. Da ist von einer „Koalition der Willigen“ die Rede, die aus den USA, aus England und Frankreich besteht und ihr Zentrum in Washington hat. Und man liest von einer „Koalition der Vernunft“, die mit Russland an der Führungsspitze ihr Zentrum in Moskau hat. Jene beiden „Koalitionen“ stehen sich in Syrien momentan noch nicht offen gegenüber. Dennoch werden sie in den vergangenen Jahren sich schon indirekt gegenübergestanden haben, indem sie die jeweilig gegnerische Partei über geheimdienstliche Wege mit Waffen und Material versorgt haben.
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Willen und Vernunft brauchen sich gegenseitig
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Greifen die „Willigen“ nun militärisch ein, wird das Verhältnis zwischen den Großmächten USA und Russland noch mehr erkalten. Zukünftig wird es noch schwieriger werden, eine gemeinsame Position in Fragen der Abrüstung und wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu finden oder bei anderen internationalen Konfliktfällen gemeinsam zu intervenieren. Mit einem Angriff schadet man zudem den Vereinten Nationen, weil man dieser Organisation dann das Recht abspricht, eine fähige, unabhängige und respektierte Friedensmacht zu sein. Greifen die „Willigen“ nicht ein, wird Al-Kaida immer stärken und destabilisiert die Region noch weiter mit Terror und Krieg.
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Die Lösung liegt im Wesen der rhetorisch verwendeten Wörter. Ein Wille, der blindwütig und ohne vernünftige Überlegung zum Handeln antreibt, ist unkontrolliert und wird kaum eine sinnvolle Lösung herbeiführen können. Ebenso aber ist eine vom Willen isolierte Vernunft „tot“, da sie zwar im Stillen gute Überlegungen anstellt, aber durch eine fehlende Entscheidung zum guten Handeln nicht vollzogen wird.
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Abwarten und diplomatischer Druck sind das Gebot der Stunde
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Übertragen auf die aktuelle Situation heißt das: Beide Koalitionen müssen zusammenarbeiten. Es ist ein Abwarten sinnvoll, bis die Inspektoren ein Urteil gefällt haben und eindeutig herausgefunden haben, von wem die möglichen Giftgaswaffen vergangene Woche eingesetzt wurden. Zugleich sollte aber mit einem in der Vernunft begründeten Willen ein diplomatischen Prozess anstoßen werden, der den Druck zum Frieden erhöht, und zwar nicht nur auf das Assad-Regime und die beteiligten Bürgerkriegsparteien, sondern auch auf die arabischen Länder, die mutmaßlich Al-Kaidia unterstützen.
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Zudem braucht es einen Krisenstab zwischen Washington und Moskau. Erst wenn dort eine gemeinsame Position gefunden ist, wird sich der Konflikt lösen lassen. Nur dann wird es eine Resolution der UN und wirkliche Friedensverhandlungen in Syrien geben. Die USA wären gut beraten, sich Zeit für politische Visionen zu nehmen, die im Irak und in Afghanistan offensichtlich fehlten. Es geht in Syrien darum, politisch zu gewinnen, nicht militärisch. Denn nur so wird auch deutlich, dass Willen und Vernunft zusammengehören.
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<emphasize>Sebastian Pilz</emphasize>
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