Kairo: Außenministerium & TV-Gebäude (Foto: Schwanitz)

Ja zur Verfassung und Moderne am Nil

(explizit.net) Ein kräftiges Mandat erhielt die Kairiner Übergangsregierung unter Adli Mansur, ihren „Fahrplan zur Demokratie“ zu verfolgen. Mittwoch stimmten 98 Prozent der Ägypter bei Wahlen dem Grundgesetz zu, wobei laut Wahlkomitee vom Samstag 39 Prozent der 53 Millionen Wähler votierten. Dies gegenüber 33 Prozent bei der islamistischen Verfassung im Vorjahr, die nur 64 Prozent bejahten. Im Vorfeld des Votums, das Islamisten samt den Muslimbrüdern – auf Terrorindex – boykottierten, trat der Koptenführer auf. Tawadurus II., der das Landeszehntel dieser Christen anleitet, warb für diesen Grundgesetzentwurf. Ein Staat wie Ägypten wird sich besonders daran messen lassen, wie er seine Minoritäten gleichstellt, die seit der Lotusrevolte vom 25. Januar 2011 unter extremistischer Gewalt gelitten haben.

(explizit.net) Ein kräftiges Mandat erhielt die Kairiner Übergangsregierung unter Adli Mansur, ihren „Fahrplan zur Demokratie“ zu verfolgen. Mittwoch stimmten 98 Prozent der Ägypter bei Wahlen dem Grundgesetz zu, wobei laut Wahlkomitee vom Samstag 39 Prozent der 53 Millionen Wähler votierten. Dies gegenüber 33 Prozent bei der islamistischen Verfassung im Vorjahr, die nur 64 Prozent bejahten. Im Vorfeld des Votums, das Islamisten samt den Muslimbrüdern – auf Terrorindex – boykottierten, trat der Koptenführer auf. Tawadurus II., der das Landeszehntel dieser Christen anleitet, warb für diesen Grundgesetzentwurf. Ein Staat wie Ägypten wird sich besonders daran messen lassen, wie er seine Minoritäten gleichstellt, die seit der Lotusrevolte vom 25. Januar 2011 unter extremistischer Gewalt gelitten haben.

Allein drei Dutzend Kirchen brannten im August. Der bekannte koptische Politiker George Ishaq meinte vor diesem Votum, Ägypten werde eine echte Demokratie. Nur möge niemand denken, dies geschähe über Nacht. Es bedarf vieler Mühe und Opfer. Für ihn ist diese Verfassung eine gute Basis dafür, dass alle Ägypter zu Bürgern werden.

Zwiste

Sicher, dieses Grundgesetz ist längst nicht perfekt. Auf der Habenseite steht, dass die Gültigkeit des islamischen Schariagesetzes auf Muslime beschränkt wird, indes für die anderen Gemeinschaften wie Juden und Christen „deren Scharias“ gelten. Dies muss bald auch weiteren Gläubigen wie zum Beispiel Buddhisten erlaubt werden, aber ohne nun all die Gläubigen den starren Regeln einzelner Kirchen und Gemeinden zu unterwerfen. Jene Formel, die nur die Abrahamitischen Religionen privilegiert, wird sicher weichen müssen.

Auch hat die al-Azhar-Universität nicht mehr das legislative Gewicht wie zuvor inne. Die Sonderfunktion nimmt das Militär ein, indem es in den nächsten acht Jahren den Minister für Verteidigung nominieren und Zivilisten vor Militärgerichte stellen darf. Vor allem im ersten Punkt wird es sicher Nachbesserungen geben, sobald sich der Nilstaat gefestigt hat.

Indes zuvor islamische Geistliche besondere Kompetenz erhielten, sind jetzt wie 1977 die Parteien auf religiösen, regionalen oder ethnischen Grundlagen verboten. Während die Frauen zuvor wie traditionell üblich in die Familie und an den Herd geschickt wurden, obliegt es dem Staat, deren Gleichstellung und rechte Vertretung in allen Gremien wie Legislative, Judikative und Exekutive zu garantieren. Zum Glück sind die Autoren nicht in eine Proporzfalle getappt. Sondern sie ließen jeweils die prozentualen Anteile offen.

Zwei Artikel, die sich mit der Freiheit der Rede und kreativen Werke befassen, müssen noch untereinander ausgebügelt werden. Es gibt zu weite Ausdeutungen. Die Zensur der Presse kann im Notstand wieder alle möglichen Auflagen einführen. Viele Artikel oder Begriffe, darunter nationale Sicherheit und Kompensation für Terror, sind doch zu vage. Darauf weisen gleichwohl drei Zentren für Menschenrechte hin. Immerhin wirken diese jetzt am Nil mit Fug und Recht. Und wer hätte gedacht, dass alles leicht ablaufen würde?

Ägypten wandte sich wieder der Moderne zu. Wie es im Nilstaat geht, lautet eine Rede, arbeitet es im arabischen Raum. Viele Künstler, Literaten und Denker haben das Gesetz begrüßt. Boykott und vernichtende Kritik kommt von jenen, die auf die Islamisten setzen.

Seitenwechsel

Manche haben sich auch am Potomac gründlich verkalkuliert. Selbst die Kürzungen eines Drittels der jährlichen Hilfe haben das genaue Gegenteil bewirkt: die Interimsregierung hat den Kopf hochgehalten, Kompensationen aus Golfstaaten erhalten und die schwere Zeit ohne den ungeteilten Zuspruch der Administration durchgestanden, die sich früher oft für eine freiere Machtausübung durch die Bürger eingesetzt hat. Durch Präsident Barack H. Obama kam ein fraglicher Seitenwechsel für Islamisten und Muslimbrüder auf, so dass das Weiße Haus, um fortan nicht mehr außen vor zu bleiben, sich neu positionieren muss. Die Wahl und die baldige Fortführung des Hilfedrittels werden das Umdenken anzeigen.

Der Schaden geriet jedoch tief, der starke Mann in Kairo, Abd al-Fattah as-Sisi, nur noch populärer. Durch diese Wahl schon gestärkt, mag er sich in Präsidialwahlen im Frühjahr stellen. Diesmal ist es anders: es gibt keinen Präsident auf Lebenszeit mehr, sondern nur noch durch Wahlen, höchstens zweimal vier Jahre. Und das Parlament kann ihn absetzen.

Hürden

Die zweitägigen Wahlen verliefen nicht glatt. Starke Sicherheitsvorkehrungen, vier Tote, 15 Verletzte und vorab die Gefangennahme von diversen Oppositionellen sind auch als Einschüchterung ausgelegt worden. Andererseits gab es Drohungen und Anschläge, so in der Polizeistelle von Heliopolis und Blockaden der Metro. Reiseverbote trafen Dutzende Dissidenten, darunter Liberale wie Amru Hamzawi. Journalisten wurden eingesperrt, etwa drei des TV-Senders al-Jazira vom Marriott-Hotel. Doch werteten Wahlbeobachter Unregelmäßigkeiten und Klima nicht so gravierend, dass sie voll das Resultat verwarfen. Die Berliner Transparency International trug Kairo auf, unparteilich für alle Seiten, auch Medien, gleiche Zugänge zum Wahlprozess zu sichern. Die aktuelle Politik schaffe, so der Beobachtermissionschef Kol Preap, schwere Hürden auf dem Weg zur Demokratie. Eine unabhängige Stimmenauszählung in den 15 Gouvernoraten würde das Vertrauen stärken.

Times

Kapriolen schlug in den amerikanischen Medien zuvörderst die New York Times. Sie druckte Texte, die ernstlich von einer „Konterrevolution“ am Nil sprachen. Unübersehbar ist die Arroganz gegenüber Militärs in Mittelost. Als ob die eigene Geschichte allein mit Helden in Uniform verlief. Ja, Militärautokraten versagten. Indes gab es auch Militärs als Retter. Jüngst verfehlten Islamisten an der Macht derart, dass sie bereits nach einem Jahr durch eine Coupvolte abserviert wurden. Doch die Times schreibt nur vom Militärcoup. Sollte sie nicht die dreimonatige nationale Petitionsbewegung der Zivilisten erwähnen?

Zu Standardformeln zählt die Rede vom „ersten frei demokratisch gewählten Präsidenten Muhammad Mursi“, wo doch die Medien bereits damals hinter dessen so knapper Wahl viele Fragezeichen gesetzt haben. Eher früher als später werden Forscher auch die Formel überprüfen. Da wundert sich der Leser nicht, dass die Editoren am Mittwoch beklagten, diese Grundgesetzwahl legitimiere nicht nur den „Coup vom Vorjahr“, sondern auch eine Art von autoritärem System, das doch die Revolte von 2011 abschaffen sollte. Als ob sich über Nacht alle Mentalitäten ändern. Und ihr Fazit? Die Wahl wäre weder frei noch fair. Dennoch ist das Grundgesetz am Nil ein Riesenschritt voran, auch für Mittelost. Jetzt ist es an Ägyptern, Übergriffe zu zügeln und auf steinigen Wegen freie Bürger zu werden.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>

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