Kaum ein Thema ist derzeit so unpopulär wie das der Integration. Mit der Häufung islamistischer Attentate und letztlich dem Einzug der fremdenfeindlichen Afd in den Bundestag hat die Multikulti- und Willkommenskultur einen allgemeinen Dämpfer erfahren. Man will weder zukünftige Terroristen hospitieren noch mit Rechtsradikalismus als Preis für Gastfreundschaft zahlen. Die neuen Flüchtlinge aus Afrika will nun niemand mehr aufnehmen. Es ist nur noch die Rede von Verriegelung der Mittelmeerrouten und der Obergrenze für Flüchtlinge. In Italien sieht das Klima nicht viel besser aus.
Ein Auswandererland wird zum Immigrationsziel,
Auch wenn die Ausgangsbasis eine andere ist: für Italien ist das Einwanderungsphänomen relativ jung. Integration in dem ehemaligen Auswandererland steckt noch in den Kinderschuhen. Unter den jüngsten Entwicklungen leidet vor allem ein Gesetzesentwurf zur Einbürgerung der Kinder von Zuwanderern, der seit zwei Jahren im Senat blockiert wird. Die Einführung des gemäßigten „ius soli“, dem „Recht des Bodens“ nach deutschem Modell gehörte zum Wahlversprechen Matteo Renzis, der den rund 800.000 in Italien geborenen oder aufgewachsenen Kindern ausländischer Herkunft eine Identität und Stimme geben wollte. Inklusion schafft Sicherheit, lautete damals das Motto.
Anders als in Deutschland jedoch ist im Belpaese die öffentliche Debatte darüber in den übelsten Populismus abgedriftet. Sie wird dominiert von der lautstarken, rechtsgerichteten Partei Lega Nord, die nach aktuellen Umfragen bis zu 15 Prozent der Wählerstimmen einstreichen würde, im Bündnis mit den neofaschistischen Fratelli D’Italia sogar fast 20 Prozent (Ixè). Sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen dieses Gesetz mit der Begründung, dass damit eine ethnische Ersetzung in Gang gesetzt würde: „Demnach kann in Zukunft jeder beliebige afrikanische Bootsflüchtling hier wählen und der IS-Terrormiliz wird sogar noch freiwillig die Tür geöffnet.“ Sie machen die Ausländer für alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme im Lande verantwortlich. Zuwanderer raubten Arbeitsplätze und Sozialwohnungen, sie beschmutzen die Straßen, vergewaltigen Frauen, zersetzen die Volksidentität und seien eine Gefahr für die Sicherheit.
Anstatt die Bürger über die rassistischen Vorurteile und Angstmache aufzuklären und sich einer offenen Debatte zu stellen, hat die sozialdemokratische Regierungspartei (Pd) das Feld kampflos der rechtspopulistischen Opposition überlassen. Premier Paolo Gentiloni hat die Abstimmung über das Gesetz Ende September aus der Agenda dieser Legislaturperiode genommen, mit dem Hinweis, nicht über eine ausreichende Mehrheit im Senat zu verfügen, nachdem der christdemokratische Bündnispartner Angelo Alfano von der Alternativa popolare den Rückwärtsgang einlegte: „Es gibt zurzeit keinen Rückhalt in der Bevölkerung.“ Matteo Salvini, bulliger Parteivorsitzender der Lega Nord, jubelt. Das Gesetz wurde praktisch ad acta gelegt, denn ein erneuter Sieg der Pd bei den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr2018 ist ungewiss.
Die Rechtslage lässt Einbürgerung von in Italien Geborenen nicht zu
Die Gesetzesreform sieht eine Erweiterung des bereits gelockerten «Ius sanguinis» vor, das Recht des Blutes, nach dem nur derjenige die Staatsbürgerschaft automatisch erhält, der mindestens einen italienischen Elternteil hat. Zwar können Ausländer nach zehn Jahren regulärem Aufenthalt einen Einbürgerungsantrag stellen, dieser ist jedoch an bestimmte, teils schwer zu erfüllende Konditionen gebunden und beansprucht drei Jahre Bearbeitungszeit. Von diesem Recht sind also praktisch die in Italien geborenen Kinder von Zuwanderern bisher ausgenommen. Sie können zum Beispiel – sofern aus einem außereuropäischen Land stammend – nicht an Klassenfahrten ins Ausland teilnehmen, weil es kompliziert ist, ein Visum zu beantragen. Auch die Teilnahme an nationalen Sportmeisterschaften ist ihnen verwehrt. Paradoxerweise werden Hunderttausende Kinder italienischer Auswanderer weltweit, die vielleicht nie italienischen Boden betreten haben, automatisch mit dem italienischen Pass ausgestattet und genießen volles Wahlrecht. Der Gesetzentwurf umschließt außerdem ein „ius culturae“ für Kinder, die seit dem 12. Lebensjahr im Lande leben und mindestens fünf Jahre lang eine italienische Schule besucht, also italienische Kultur aufgenommen haben.
Einbürgerung von Kindern an strikte Auflagen gebunden
Das neue Einbürgerungsgesetz verlangt durchaus Garantien: Bedingung ist das unbegrenztes Aufenthaltsrecht der Eltern, das wiederum an einen unbefristeten Arbeitsvertrag, an ein Mindesteinkommen und einen Sprachnachweis gebunden ist. Salvinis Argumentation, mit dem „ius soli“ würden zukünftige afrikanische Bootsflüchtlinge den italienischen Pass erhalten, ist genauso abwegig wie die, dass eine Islamisierung drohe. Nutznießer sind die Kinder der Einwanderergeneration, die bereits vor 15-20 Jahren nach Italien kam und die immer hier gearbeitet und Steuern gezahlt hat. Was die Konfession betrifft, so wären unter diesen hypothetische neuen Italienern etwa 30 Prozent Muslime. Die meisten Anwärter sind Christen, u.a. aus Rumänien und etwa 12 % Konfessionslose. Der offizielle Ausländeranteil in Italien beträgt etwas über 5 Mio, 8,3 Prozent der Bevölkerung. Der muslimische Anteil beläuft sich auf weniger als 30%, nämlich 1,5 Mio. Diese stammen aus 48 verschiedenen Ländern, wenn auch die Mehrheit aus Albanien und Marokko gekommen ist. Der Islam in Italien ist also multiethnisch und multikulturell. Seine monolithische Wahrnehmung spiegelt nicht die wahren Verhältnisse wider.
Die Verzögerung der Gesetzgebung
Vor vier Jahren noch waren laut Umfragen 70 Prozent der Bevölkerung für die Einbürgerung der ausländischen Schulkameraden ihrer Kinder. Der Gesetzesentwurf passierte problemlos vor zwei Jahren die erste Kammer, das Abgeordnetenhaus, um dann im Senat mit 50.000 Abänderungsanträgen von der Lega Nord verschleppt zu werden. Dass die Serie von Is-Terroranschlägen in den europäischen Nachbarländern – Italien blieb bisher verschont - zu einer allgemeinen Verunsicherung geführt und anti-islamische Gefühle ausgelöst hat, ist verständlich. Beklagenswert ist, dass die italienische Politik und vor allem das staatliche Fernsehen nicht sachliche Gespräche darüber führen, sondern dem rechten Parteispektrum aus Angst, Wählerstimmen zu verlieren, nachgegeben haben.
Die katholische Kirche gibt Zurückhaltung auf
Angesichts dieses Panoramas hat nun die katholische Kirche entschieden, dieses ethische Informations-Vakuum auszufüllen. Sie hat ihre übliche Zurückhaltung aufgegeben und ist in Aktion getreten. Nicht einmal bei der Einführung der Homo-Ehe hat sie derart von ihrer Stimme Gebrauch gemacht. Seit Sommerbeginn lässt sie über die einflussreiche wie angesehene Tageszeitung L’avvenire, die von der italienischen Bischofskonferenz getragen wird, eine Aufklärungskampagne gegen populistische Gleichmacherei und Vorurteile durchführen und wirbt offen für den Gesetzesvorschlag. Die Kampagne geht zweifelsohne über das gewöhnlich still proklamierte Gebot der Nächstenliebe hinaus.
Der gerade ernannte Vorsitzende der Konferenz, Gualtiero Kardinal Bassetti, warnte - ganz auf der Linie von Papst Franziskus - vor der „Verbreitung einer Kultur der Angst“ und der „dramatischen Wiederkehr der Fremdenfeindlichkeit“. Wer „diese Ängste nährt“, führe womöglich „einen Bruderkrieg unter den Armen in unseren Vorstädten“ herbei. Der Aufnahme- und Integrationsprozess verlaufe auch über die „Vergabe der neuen Staatsbürgerschaft“, die den ganzen Menschen und nicht nur seine Arbeitskraft sowie die Teilnahme am öffentlichen Leben fördere. Aufgabe der Politik sei es, Verantwortung und Aufnahmebereitschaft zu verbinden sowie „kulturelle Traditionen und neue Sensibilitäten zu schützen“. Die Kampagne blieb nicht von Kritik aus katholischen Reihen. Der Bischofskonferenz wurde Naivität und „buonismo“, Gutgläubigkeit, vorgeworfen.
Immerhin blieben die Anstrengungen der italienischen Kirche nicht unbeachtet. Nachdem am 3. Oktober 900 Lehrer für das Gesetz in einen eintägigen Hungerstreik traten, riefen einzelne laizistische und katholische Abgeordnete zur Nachahmung auf. Bisher schlossen sich über 100 Politiker dem Protest an, darunter auch Stararchitekt und Ehrensenator Renzo Piano. Obwohl die Aussichten gering sind, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, wäre doch ein protestloses, ja stummes Einlenken in die schrillen Forderungen der Rechtspopulisten ein trauriges Zeugnis für das demokratische Land mit seinen uralten christlichen Wurzeln.
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