Das Fernsehen will vor allem die jüngeren und mittleren Zielgruppen erreichen, denn Kinder und Senioren sind sowieso treue Nutzer. Aber dieses Ziel der öffentlich-rechtlichen wie der privaten Sender rückt immer mehr ins Unerreichbare. Denn junge Menschen verbringen inzwischen mehr Zeit im Internet als vor dem Fernseher. Schon vor Jahren belegten Studien der European Interactive Advertising Association (EIAA) diesen veränderten Medienkonsum. Vor allem Videos und Bilder werden im Netz mit anderen geteilt und angesehen. Das wird durch die zunehmend höhere Übertragungsgeschwindigkeit im Fest- und Mobilfunknetz ermöglicht und hat Auswirkungen auf die Einnahmen, denn die klassischen Werbeträger wie Print, Radio und TV verlieren langsam an Bedeutung. Die Webisoden, also Sendungen, die für das Internet produziert wurden, zeigen die Veränderung deutlich. Sie haben in den USA bereits ihren ersten Award erhalten. Auch in Europa entwickelt sich das Fernsehen weiter.
Die TV Landschaft musste sich anpassen
Der vor zwei Jahren in der Schweiz gestartete Sender JOIZ feierte vor kurzem seine Premiere auch hier in Deutschland. Der in Berlin ansässige Sender hat ein einfaches Konzept: Social Media und die Interaktivität des Netzes werden mit konventionellem Fernsehen kombiniert. Das Programm für die "digital natives", also die Zielgruppe von 15 bis 34 Jahren wird vom Zuschauer mit beeinflusst. Abstimmungen, Videotelefonie oder Chats sind während der gesamten Sendezeit möglich und bilden einen integralen Bestandteil dessen, was ausgestrahlt wird und zwar Live und ohne Regie. Der Zuschauer kann sich per Webcam mit dem Moderator unterhalten oder seinem Lieblings-Popstar herausfordernde Fragen stellen. Das Mitmachen per Skype, Chat oder Twitter ist hier ausdrücklich erwünscht, denn wer mitmacht, kann Punkte sammeln. Für jede Aktivität bekommen die Zuschauer Treue-Punkte, die sie in Preise einlösen können. Der Sender ist 24 Stunden live und kostenlos über Kabel zu empfangen, außerdem über Satellit und natürlich im Netz über die eigene Website joiz.de, die auf ihrer Landing Page ein kurzes Informationsvideo über das Programmkonzept vorstellt. Die Verbindung von Netz und Fernsehen kommt nicht unerwartet, sondern ist eine logische Folge der Alltagsdominanz des Internets. Aber auch das Fernsehen als Erzählmedium, lineares TV genannt, behält seine Faszination, wenn es mit den Social Media verbunden wird.
Marketing und Mit-Mach TV am "zweiten Bildschirm"
Das Konzept von JOIZ ist nicht neu. Bereits 2010 hatte das ZDF die Zuschauer in seine Sendungen einbezogen und aus den damals populären VZ Netzwerken Fragen an die Sendegäste geliefert. Der Mitmach-Gedanke ermöglichte, mit der technischen Entwicklung im Rücken, neue Sendeformate, wie das Log-In im ZDF, welche die Zuschauer zum Echtzeit-Meinungsaustausch anregten und Abstimmungen ermöglichten, die in kurzer Zeit Meinungsbilder generieren konnten. Heute gehört Surfen und gleichzeitiger TV Konsum zumAlltag vieler, vornehmlich junger Menschen. Sie nutzen ihr mobiles Gerät als einen zweiten, oder "erweiterten" Bildschirm, über den sie zusätzliche Hintergrundinformationen abrufen, während das Fernsehen sie mit Inhalten oder Unterhaltung versorgt. Diese neue Art des Medienkonsums ist von der Marketingindustrie längst erkannt worden und manifestiert sich beispielsweise in dem Premiengedanken von JOIZ. Die Produkte, die es zu gewinnen gibt, werden gezielt ausgewählt und spiegeln den Lifestyle der Jugendlichen wider. Die zahlreiche Teilnahme in den Chats wie an den Abstimmungen belegen dieses deutlich. ZDF Sendungen wie Log-In gewinnen ebenfalls zunehmend an Popularität. Der Mitmach-Gedanke wird auf das Fernsehen übertragen.
Lineares TV ist immer noch beliebt
Die Ära von linearen Sendeformaten ist damit keineswegs vorbei, denn die Differenzierung der Gesellschaft geht auch an Social TV nicht spurlos vorüber, da es auch nur eine bestimmte Gruppe von Menschen "bedient". Daneben gibt es immer noch andere TV Konsumenten, die lineares TV mit dem "reinzappen und sich überraschen lassen" weiterhin schätzen. All das bietet das Internet noch nicht. Allerdings wächst die Zahl derer, die in Foren oder Communities die Abschaffung ihrer alten Flimmerkiste feiern und eine TV freie Zukunft propagieren. Gewiss lässt es sich auch ohne TV gut und informiert leben, aber hier muss man von einer kleinen Minderheit sprechen und so lange der Großbild-Fernseher bei den konsumorientierten Milieus auch zum Statussymbol zählt, kann in den kommenden Jahren nicht von einem Ende der TV Ära gesprochen werden.
TV und Social Media rücken zusammen
Auch wenn die ersten Jahre mit Social TV vorbei sind und der Start von JOIZ in Deutschland gut verlief, leiden die neu entstandenen Sendeformate noch an ihren Kinderkrankheiten: Oft bricht das Forum zusammen, weil die Zahl der gleichzeitig anwesenden und aktiven User die Serverkapazitäten übersteigt, oder die sensible Technik ihren Dienst beim Zuschauer live quittiert, was der Sendung jedoch kaum Schaden antut, sondern eher zur allgemeinen Belustigung beiträgt.
Dennoch kann hier von einer Trendwende gesprochen werden, denn auch hier gilt: die beiden Bildschirme wachsen zusammen. Es bleibt abzuwarten, wann andere Sender mit ähnlichen Formaten nachziehen und die TV Landschaft das Internet stärker in ihr Programmkonzept integriert. Hier wird dann eine Brücke geschlagen zwischen Online Angeboten und dem TV, die eine andere, neue Qualität in die Konsumlandschaft bringen wird. Was im Netz längst Thema ist, rückt beispielsweise in JOIZ auf den Fernseher: Sex, Musik, Liebeskummer, Drogen und Politik sind Themen, die im Programmverlauf behandelt werden und die Alltagswirklichkeit der Jugend wiederspiegeln. Das RTL II Format findet hier durchaus sein Gegenüber, unterscheidet sich aber deutlich im Konzept, welches bei RTL II vom Programmdirektor vorgegeben wird, während Social TV nur Rahmenbedingungen schafft und der Konsument die Inhalte selbst liefert, gar den ersten Moderator in einer online Umfrage selbst wählen konnte.
Die lockere Moderation und das Gefühl, das Geschehen mitbestimmen zu können, wird von einer Gruppe von Zuschauern aufgegriffen. Das Format an sich hat Zukunft, ob das uns bekannte Fernsehen diese Richtung mitgeht, wird sich in den kommenden Jahren herausstellen, denn viele Hypes sättigen sich schnell in der heutigen Zeit, Neue kommen hinzu. Social TV ist ganz sicher nur eine Zwischenstation, aber derzeit eine sehr Interessante.
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