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HIV und AIDS - Der afrikanische Weg?

(explizit.net)

1. Teil: Der Virus wird als westlicher Import und damit als unafrikanisch eingeschätzt

Stefan Hippler, Leiter eines Aidsprojektes, gibt Einblick in die Mentalität, auf die eine Seuche trifft. Er geht auf Spurensuche im Dickicht westlicher Präventions- und Behandlungsstrategien

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1. Teil: Der Virus wird als westlicher Import und damit als unafrikanisch eingeschätzt

Stefan Hippler, Leiter eines Aidsprojektes, gibt Einblick in die Mentalität, auf die eine Seuche trifft. Er geht auf Spurensuche im Dickicht westlicher Präventions- und Behandlungsstrategien

Der afrikanische Weg im Bereich HIV und AIDS führt über Berge von afrikanischen Süßkartoffeln, Seen von Olivenöl sowie Gebirgsketten von roter Beete.

Und auf dem Weg dieser Spurensuche werden wir vielen sonderbaren Menschen begegnen, dem weissen Mann, der alles besser weiss, dem schwarzen Mann, der alten Zeiten hinterher trauert, Scharlatanen, Duschfreaks, Wissenschafts-Dissidenten, aber auch Helden, Kirchenmännern, Sangomas und natürlich denen, die im Rückblick die Opfer genannt werden, weil sie manchmal situationsbedingt, sehr oft aber auch aufgrund ungünstiger Umstände keine Chance hatten, ihr Leben zu leben.

Der afrikanische Weg in Südafrika – ein Drama in mehr als drei Akten beginnt im HIV und AIDS Bereich 1982 – in der Zeit der Apartheid:

Zwei Männer werden in Südafrika mit HIVdiagnostiziert, aber die südafrikanische Regierung gibt sofort Entwarnung: Keine Gefahr für die Bevölkerung, denn beide Männer sind schwul, beide Männer arbeiten für eine Airline als Stewards und beide Männer waren in Amerika.

Auch als die Zahlen steigen, signalisiert die weiße Regierung: Kein Grund zur Panik; alle sind homosexuell – und damit in diesem zutiefst puritanisch-christlichen Land kein Anlass zu irgendeiner Intervention – die sind ja alle selber schuld...

Interessant ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass Südafrika in dieser turbulenten Zeit, in der es auch um Sanktionen gegen Südafrika ging, einen Verbündeten hat, der in das selbe Horn bläst und damit die Pandemie erst zulässt:

Präsident Ronald Reagan, einsamer amerikanischer Verfechter der Apartheid als Bollwerk gegen den Kommunismus und ebenfalls nicht daran interessiert, Homosexuelle vor ihrem „verdienten“ Schicksal zu schützen.

Und als in Südafrika die ersten Erkrankungen über Blutpreparate erfolgen, gibt es eine klare Einteilung: unschuldige Opfer von Bluttransfusionen und Blutprodukten und diejenigen, die selber schuld sind weil sie unnatürliche Unzucht treiben – die moralische Unterscheidung war damit gesellschaftlich akzeptiert.

5 Jahre später, 1987 wird der erste schwarze Südafrikaner mit HIV diagnostiziert - Minenarbeiter - und hinzu kamen im Laufe der Zeit weitere Schwerpunktzentren von Infektionen – Transport- und LKW-Routen von und nach Swaziland und Mozambique.

Im Juli 1991 gab es dann Gleichstand: genauso viele heterosexuelle wie homosexuelle Infektionen und von da an ging die heterosexuelle Infektionsrate in Führung – bis zum heutigen Tag.

Die politische Reaktion war in diesen Jahren eher eine beiläufige. Südafrika war auf dem Weg von der Apartheid zu einer Demokratie, der ANC ließ verlauten, das der HI Virus in einem Forschungszentrum entwickelt worden war und dass der Virus via Tränengas auf protestierende Arbeiter gesprüht würde, um sie zu infizieren und konservative weiße Kreise waren besorgt, das der Virus sich verbreite, wenn die Schwarzen an die Macht kämen. Jeder hatte Angst, aber keiner wusste so genau, wovor und wogegen – vermischt mit dem typisch südafrikanischen Verhaltensmuster: erst mal abwarten...

Langsame Annäherung an die Realität

Das Maputo Statement von 1990, Ergebnis der 4. Internationalen Gesundheitskonferenz im südlichen Afrika akezptierte die Herausforderung von HIV und AIDS im Grundsatz, aber fokussierte auf Prävention und Menschenrechte für HIV positive Menschen.

1992 wurde der Nationale AIDS Koordinierungsrat NACOSA gegründet, dieser entwickelte den ersten südafrikanischen nationalen AIDS Plan, der nach den ersten freien Wahlen 1994 auch sofort vom Parlament beschlossen wurde.

Die Pandemie war immer noch zahlenmäßig gering und Südafrika war optimistisch, diese zu besiegen, bevor sie ausser Rand und Band geriet.

Aber wie so oft, das Leben spielt anders. Die Infektionsrate stieg und stieg, aber lag immer noch unter 5% - die Regierung tat wenig und schuld war wie immer die Zeit der Apartheid mit ihren Folgen – und getan wurde so gut wie gar nichts. Andere Themen waren wichtiger – und Präsident Nelson Mandela konnte sich am Ende seiner Präsidentenzeit nur entschuldigen: für ihn war der nicht vorhandende Kampf gegen die Pandemie einer der schwersten Fehler seiner Amtszeit, gleichzeitig machte er allerdings auch deutlich, dass es seine Kultur und Tradition ihm in seiner hohen Position nicht erlaubt hätte, vor Frauen über sexuelle Fragen zu reden, die unweigerlich zum Thema HIV und AIDS gehörten.

Gleichzeitig bahnte sich in der Zeit von Nelson Mandela bereits ein Konflikt an, der in der Amtszeit von Thabo Mbeki zu internationalen Ächtung der Anti-Aids-Politik Südafrika führen sollte:

Der afrikanische Weg für afrikanische Probleme oder die African Renaissance

Mehr und mehr politische Kräfte sahen HIV und AIDS als eine vom Westen verursachte Krankheit, und nun wollte dieser auch noch an den Lösungen verdienen, sei es bei Präventionsstrategien oder bei den Medikamenten.

Ein erster Paukenschlag war der Versuch der südafrikanischen Regierung noch unter Nelson Mandela, Prävention durch ein Theaterstück zu betreiben: Sarafina II. Dieses kostete Millionen und wurde – ohne Erlaubnis oder Vereinbarung – von Geldern der EU bezahlt, die zum Kampf gegen AIDS bereitgestellt worden waren.

Die Aufführungen waren ein Desaster – das Stück wuerde von Kritikern, aber auch Aktivisten, NGO‘s und einfachem Volk wegen Irrelevanz zerrissen – Thema verfehlt.

Kurz darauf beschloss die südafrikanische Regierung, das Medikament Virodene, ein Produkt basierend auf einem Anti-Gefriermittel als südafrikanischen Beitrag in den Vordergrund zu rücken. Der Medical Research Council von Südafrika allerdings verbot die weiteren Forschungen an der Universität von Pretoria, weil die Regeln wissentschaftlicher Forschung und entsprechende Protokolle nicht eingehalten worden seien. Die damalige Gesundheitsministerin Dlamini-Zuma erklärte öffentlich, dass der Leiter des Medical Research Councils, Peter Folb, sich selbt disqualifiziert habe, weil er durch seine Weigerung, das potentielle Medikament weiter erforschen zu lassen, sich illoyal zum ANC, der Regierungspartei, verhalten habe. Damit wird eines der bis heute wichtigsten Momente südafrikanischer Politik deutlich: „Der ANC ist Südafrika“ – und das Kaderdenken ist mindestens so weit entwickelt wie das unserer chinesischen Freunde.

Das war der Beginn einer Entwicklung, die sich dadurch auszeichnete, Kritiker der Regierung als Feinde des ANC zu betrachten – die Bühne für Thabo Mbeki und Manto Tschabalala Msimang war bereitet.

Antiretrovirale Medikamente galten als politisch nicht „korrekt“

African Renaissance – afrikanische Wege und Lösungen für Probleme auf dem afrikanischen Kontinent – das war das politische Motto von Thabo Mbeki und wer konnte diese Lösungen besser bieten als der ANC mit ihm als Präsidenten an der Spitze.

So begann der Kampf um die Frage, ob antiretrovirale Medikamente eingesetzt werden dürfen – 1997 trat AZT auf die Bühne dieser Welt und 1998 zeigte eine Studie in Thailand, das eine Kurztherapie mit AZT die Übertragung von Mutter zu Kind halbieren konnte.

Während Aktivisten in Südafrika die Einführung von AZT in MTCT Programmen forderten, lehnten alle ANC regierten Bundesländer dies ab, und zwar erst einmal aus Kostengründen – und obwohl die Preise für das Medikament fielen und Wirtschaftanalysten den Einsatz dieses Mediamentes auf Zukunft hin als Kostenersparnis bezeichneten, wurde AZT 1999 nur im Westkap eingesetzt, das als einziges Bundesland nicht vom ANC regiert wurde.

Dlamini-Zuma’s Nachfolger Manto Tshabalala Msimang verschärfte nun die Diskussion, die von nun an komplett politisiert war. Der Versuch von Aktivisten, Grundlagenforschern und anderen, den ANC und seine Minister in dieser Frage Inkompetenz nachzuweisen, hatte tragische Konsequenzen. Der ANC „konnte“ nicht irren und seine Minister auch nicht, und schon gar nicht der Präsident.

AZT war von nun an in den Augen des ANC hochgiftig, nicht wirksam, schwächte das Immunsystem und förderte Mutationen in Babys. Dasselbe galt nun auch für Neviraphine und dann grundsätzlich für alle antiretroviralen Medikamente, die ja bekanntlich aus denselben Ländern stammten, die auch HIV hervorgebracht hatten.

Stück für Stück wurde das Beratergremium des Präsidenten in Sachen HIV und AIDS mit Menschen besetzt, die eine alternative Sichtweise zum Thema hatten. Verursacht HIV wirklich AIDS oder waren es nicht vielmehr die vielgepriesenen Medikamente, die den Tod von Patienten verursachten?

HIV wurde zum Ergebnis sozio-ökonomischer Faktoren oder „lifestyle choices“ – alle ernstzunehmenden Wissenschaftler in Südafrika auf diesem Gebiet wurden ignoriert, während Scharlatane wie z.B. Dr. Matthias Rath als Zeugen gegen die westlichen hochgiftigen Medikamente genannt wurden.

Ich selber habe in der Zeit ein ANC Papier für Funktionsträger in die Hand bekommen, das auf zig Seiten wissenschaftlich nachwies, das AZT und andere antiretroviralen Medikamente Patienten vergifteten und für den Tod dieser Menschen verantwortlich seien. Eine afrikanisch-gesunde Lebensweise wurde nun von der Gesundheitsministerin beworben: Rote Beete, Süßkartoffel und 1 Löffel Olivenöl pro Tag.

Auf einer Tagung in Durban hatte ich das Vergnügen, mit Dr. Manto Tschabala Msimang an einem Tisch zu sitzen und ich habe im Wissen um die Brisanz der Diskussion versucht, eine rationale Erklärung von ihr zu bekommen. Mich ausgebend als „unwissendend Weißen -“ der nun endlich von „des horses mouth“ eine Erklärung wissen wollte – versuchte mir die Gesundheitsminsterin ihre Meinung nahezubringen.

Vergeblich – ich habe diesen Abend als ein leuchtendes Beispiel in Erinnerung, dass im Prinzip hochintelligente Menschen in der Lage sind, aufgrund von politischem Kaderdenken den Boden vernünftiger Argumentationen zu verlassen, um letztendlich zu dem Ergebnis zu kommen, welches die Parteilinie vorschreibt – auch wenn das die verbliebende Vernunft veranlasst, laut um Hilfe zu schreien.

Manto und Thabo Mbeki sind Vergangenheit – seit 2004 erlaubt der Staat die Ausgabe von zwei Antiretroviralen Mitteln für Menschen mit HIV.

In einem zweiten Teil beschreibt der Autor die beiden Seiten, die die Fußballweltmeisterschaft für Südafrika hatte.

<emphasize>Stefan Hippler</emphasize>



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