Marienkirche Gengenbach Foto: Laura C. Müller

Gengenbach: Eintauchen in ein Farbenmeer

In der Gengenbacher St. Marien Kirche verbirgt sich ein neuromanisches Farbenmeer. Die Bilder aus dem 19. Jahrhundert wurden oft infrage gestellt, aber letztlich bewahrt. Eine Stilgeschichte, die zum Nachdenken anregt.

Wer sich hinter die schlichte Fassade der Gengenbacher Marienkirche in den Kirchenraum eintritt, vergisst, dass er sich im baden-württembergischen Ortenaukreis befindet. Säulen, Bögen und bunte Farben erinnern vielmehr an einen byzantinischen Prachtbau. Das war nicht immer so. Die fast 900 Jahre alte Gengenbacher Kirche ist Zeugin einer wechselhaften Baugeschichte und hat schon so manchen Trend mitgemacht. Eine wandelbare Stilgeschichte, die Fragen zum Umgang mit ästhetisch Ungewohntem aufwirft.

Einladung, in das Geheimnis des Glaubens einzutauchen

Die reich ausgestaltete Kirche zeigt Szenen der Heilsgeschichte: Darstellungen von der Schöpfung der Welt, den Propheten Israels sowie Szenen aus dem Leben Jesu und der frühen Kirchengeschichte zieren Decken und Wände. Unzählige Bilder laden den Kirchenbesucher ein, in die verschiedenen Geschichten einzutauchen und die dargestellten Glaubensinhalte zu meditieren. Den Altarbereich umranden Engel mit liturgischen Gefäßen. Sie erinnern daran, dass die gefeierte Liturgie ein überzeitliches Geschehen ist, in dem sich Himmel und Erde verbinden. Nicht nur die irdisch versammelte Gemeinde, sondern alle Engel und Heiligen nehmen daran teil.

Kunst als Ort der Theologie

In Gengenbach ist die ganze Kirchengeschichte versammelt. Neben kaum zählbaren Darstellungen von heiligen Frauen und Männern kommen auch spirituelle Traditionen nicht zu kurz. Eines der Fenster zeigt beispielsweise verschiedene Symbole der Laurentanischen Litanei, mit denen die Gottesmutter Maria gepriesen wird. In der künstlerischen Ausgestaltung zeigt sich, was Generationen zuvor glaubten. Der Überfluss an Bildern lädt zum Entdecken, Betrachten und Meditieren ein.

Bewegte Stilgeschichte

Ursprünglich in der Romanik gebaut, wurde die dreischiffige Basilika im 17. Jahrhundert barockisiert. Der Innenraum wurde weiß getüncht, erhielt eine Orgel und allerlei barockes Interieur. Auf die romanische Fassade wurde ein Zwiebelturm aufgepfropft. Ende des 19. Jahrhundert, zur Zeit des Historismus, als es als hehres Ideal galt, möglichst reine Stile hervorzubringen und Gebäude in ihren Originalzustand zurückzuversetzen, wurde die barocke Einrichtung rabiat aus der Kirche geräumt. Der Innenraum wurde neuromanisch gestaltet. Beim Versuch, den alten Stil zu rekonstruieren, ist dem Architekten Max Meckel unter Mitarbeit des Malers Carl Schilling etwas völlig Neues gelungen. Die farbige Bilderflut führte bei den Gengenbachern zu einer Kontroverse. Mit der Stilreinheit des Historismus war es nach kurzer Zeit vorbei, als eine neugotische Kanzel ihren Platz in der Kirche fand.

Wandelbar in Stil und Funktion

Nicht nur stilistisch, sondern auch in ihrer Funktion hat die Kirche St. Marien Veränderungen erlebt. Einst beteten in ihr Benediktinermönche, die in den angrenzenden Klostergebäuden lebten. Während der Säkularisation wurde das Kloster aufgelöst, die Kirche aber blieb bestehen. Da die anderen Kirchen in Gegenbach restaurierungsbedürftig waren, wurde die einstige Abteikirche nach der neuromanischen Umgestaltung zur Pfarrkirche der Stadt Gengenbach umgewidmet.

Veränderung nach dem Konzil

Da es immer wieder zu Streitigkeiten um die neuromanische Innenausstattung kam und die Qualität der verarbeiteten Kunst infrage gestellt wurde, wirkt es doch wie ein kleines Wunder, dass die Kirche im Zuge der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil lediglich restauriert wurde. Nur ein Volksaltar mit passendem Ambo kam hinzu, die neuromanische Gestaltung blieb erhalten.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Auch wenn die Gengenbacher Kirche nicht unbedingt den ästhetischen Ansprüchen dieser Tage entspricht, so bleibt sie Ort der Theologie. Die vielen Bilder geben Zeugnis davon, was Generationen zuvor glaubten. Auch die rabiat entfernten Barockaltäre hätten vom Glauben ihrer kunstschaffenden Generation berichten können. Dies führt unmittelbar vor die Frage nach dem Umgang mit Kirchenräumen und sakraler Kunst. Altes frei nach dem Motto: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ entsorgen oder im Alten einen Wert entdecken? Keine leicht zu beantwortende Frage, schließlich bewegt sich die Kirche in einem Spannungsfeld: Als Hüterin eines Glaubens, der von Generation zu Generation weitergegeben wird, sollte bewusst bleiben, was Generationen zuvor glaubten. Andererseits steht die Kirche vor dem Anspruch, diesen Glauben ins Heute zu übersetzen und ihn in der Gegenwart weiterzugeben. Einen Trost bietet die Gengenbacher Kirche in diesen Fragen: Ästhetische Streitigkeiten gab es immer und wird es wohl immer geben, sie sind nicht erst das Problem unserer Tage, die Frage bleibt nur, wie verantwortungsbewusst wir damit umgehen.


Kategorie: Kirche

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