(explizit.net) Jetzt haben wir endlich den Mindestlohn, alle bekommen vom Kuchen etwas ab und können ihre Dukaten im Keller stapeln. 8,50 Euro die Stunde, das sind bei einer 38,5 Stundenwoche 327,25 Euro in der Woche, d. h. im Monat sagenhafte 1.309 Euro. Also, wer sich jetzt noch beklagt, der ist auch nie zufrieden. Die Reaktionen sind auf diesen Erfolg deutscher Gerechtigkeitsbemühungen unterschiedlich. Die Steuereintreiber rechnen mit Milliarden, weil jetzt der Staat mit Harzt-IV nicht mehr aufstocken muss, das spart richtig Geld. Die Mittelständler sehen schlimme Zeiten auf sich zukommen, weil sie die Preise nicht halten können und die Konkurrenz aus Polen oder Rumänien ist schon auf dem Sprung.

Der Sieg mit dem Mindestlohn hat die Abgeordneten so begeistert, dass sie sich für diese Leistung gleich die Diäten um 830 Euro im Monat erhöhen wollen. Bislang hat nur der Bundespräsident nicht eingesehen, dass die Erhöhung schneller vonstattengehen muss. Da kann man nicht 10 Jahre wie beim Mindestlohn warten. Und dann gab es noch das Urteil des Landesverfassungsgerichts in NRW, dass bei der Erhöhung der Beamtenbesoldung die oberen Besoldungsgruppen nicht ausgespart werden dürfen. Die Antwort des Finanzministers kam postwendend, dann drehen wir halt den Hahn zu für Kultur, Bildung, Straßenbau usw.

Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld? Wer hat ...

Die Frage aller Fragen ist mal wieder nicht geklärt. Der Mindestlohn ist sicherlich eine wichtige Errungenschaft und für viele Menschen endlich eine gewisse Form der Anerkennung ihrer Arbeit. Doch so wie wir das System kennen, wird das Ganze von den Firmen kostenneutral abgewickelt. Die Aktionäre wollen ihre Gewinne weiterhin steigern, die Manager möchten ein angemessenes Salär erhalten, also unter 1.309 Euro am Tag lohnt sich das Aufstehen nicht. Nur der Mittelstand, der steht so ziemlich im Regen. Ein Dachdeckerbetrieb kann die Produktion schlecht nach Rumänien auslagern, der Bäcker lässt den Teig schon aus China kommen, da ist keine Marge mehr drin. Der Frisör wird mehr für einen Schnitt verlangen und lange Haare werden wieder modern werden, die Zeitungsboten bekommen stufenweise ab 2015 den Mindestlohn, das ist sehr klug, denn bis 2017 werden die Abozahlen gegen Null gegangen sein und dann braucht man gar keine Zeitungszusteller mehr. Und in die Kneipe kann man zum Frustsaufen ab 2015 auch nicht mehr gehen, denn die Kellner haben mit dem Mindestlohn das Bier quasi schon weggetrunken.

Umverteilung oder Neuorientierung?

Die Regelung, dass ein Arbeitnehmer einen bestimmten Mindestlohn bekommen muss, ist keine Notwendigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und die Forderung, dass die Reichen etwas abgeben sollen, ist keine Frage der Moral, sondern eine Verschleierung der Tatsache, dass manche auf Kosten anderer reich geworden sind. Dass es ein Gesetz zum Mindestlohn gibt, ist weniger ein Erfolg, den sich die SPD als Orden anhängen kann, als vielmehr die Folge davon, dass gerechte und menschliche Formen des Zusammenlebens nicht selbstverständlich sind, sondern gesetzlich erzwungen werden müssen. Doch was bewirkt eine Umverteilung, wenn in den Köpfen und Herzen keine Neuorientierung stattfindet? Ist den Menschen und Politikern noch klar, wer der Wirt und wer die Gäste sind? Zapfen sich viele nicht selbst das Bier und schreiben es dem Wirt auf den Deckel? Oder reichen manche Steuerzahler nicht den Deckel beim Finanzamt ein und lassen sich die Sause von dem bezahlen, der mit seinem Mindestlohn sowieso nichts von der Steuer absetzen kann?

Und doch!

Vielleicht bewirkt der Mindestlohn ja doch in den Köpfen eine Umorientierung. Vielleicht beginnen die Menschen, über wirtschaftliche Zusammenhänge nachzudenken und sich nicht irritieren zu lassen. Und vielleicht verstehen die Menschen, dass Geld nicht alles ist und gerade deshalb der Mindestlohn ein Weg dahin ist.

<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>