(explizit.net) Gegengelesen-Kommentar: Ein Beitrag zur Armutsdebatte
.
Regelmäßig wird über Armut eine Debatte geführt und die Frage gestellt, wer sich als arm bezeichnen kann. Sicherlich dürfte es in Deutschland niemanden geben, der ohne jede materielle Zuwendung ist. Verhungern muss niemand und doch haben viele einen riesigen, unstillbaren Hunger. Ginge man von einer solchen Definition aus, dann müsste die Armutsdebatte ganz anders geführt werden. Da gibt es Leute, die den Hals nicht voll kriegen und immer hungrig bleiben. Das ist die neue Armut.
Die Studien über Armut nehmen eine statistische Größe, ermitteln einen Mittelwert und Abweichungen. Dann wird bestimmt, wo die Grenze liegt und es ist der arm, der unter dieser Einkommensgrenze liegt. Ob sich der, der unter dieser Grenze liegt, tatsächlich arm fühlt und der, der über diesem Wert liegt, reich fühlt, das ist damit nicht erfasst. Manche kommen mit sehr wenig aus, vergleichen sich mit Menschen aus anderen Ländern und behaupten, sehr reich zu sein. Mancher Reiche, der sich keine Sorgen machen muss, ob er sich ein neues Auto oder die fünfte Reise in diesem Jahr leisten kann, fühlt sich hingegen bedürftig.
Raffen statt reich
Die Reichen werden immer reicher, es werden Unmengen an Gelder angehäuft, es wird von denen, die genug haben, immer mehr gerafft. Der Staat macht ganz besonders mit bei diesem Spiel, der Finanzminister stürzt sich mit großer Raffgier auf die Steuerzahler, damit er seine schwarze Null bekommt. Der Steuerzahler sieht nur rote Zahlen auf seinem Konto und wer „schwarz sieht“, der hat sein Geld ohne Steuern auf irgendeiner Insel gebunkert. Es wird gerafft beim Shoppen, die Sonderangebote und Schnäppchen wollen erobert werden. Sparen lohnt sich nicht, denn es gibt für das Geld keine Zinsen, also raus damit. Das Raffen bleibt ohne Befriedigung, deshalb geht es auch sonntags los zum Einkaufsbummel. Welch eine Armut, denken die Männchen vom Mars, steht wohl bevor, dass die Menschen einkaufen, was sie gar nicht brauchen?
Arm heißt Ausgeschlossen-sein
Der Soziologe Heinz Bude spricht nicht mehr von Armut, er nennt die Armen die Ausgeschlossenen, denn wer kein Geld hat, kann nicht ins Theater, ins Kino oder in die Kneipe. Das soziale Miteinander entscheidet sich am Geld. Wer keines hat, der bleibt draußen vor der Tür. Doch es gibt auch noch die anderen, die haben Geld, doch schließen sie sich selber aus. Die wollen mit dem Shoppingglück nichts zu tun haben. Die wollen ihren Tag genießen. Da soll kein Handy klingeln, da hält der neue Wagen, bis er wirklich alt ist. Da wird noch gekocht und nicht der Pizzaservice bestellt. Und wenn es auf der Bank keine Zinsen gibt, dann kommt das Geld halt unters Kopfkissen.
Der Traum vom Reichtum – Freisein
Die Ausgeschlossenen und die, die sich ausschließen, finden zusammen, die einen, weil sie nicht anders können und die anderen, weil sie es so wollen. Die Zeit zum Reden ist reichlich vorhanden, man gönnt sich die Sonne auf den Bauch, keine Hektik, alles ist gut. Vielleicht wird der Traum vom Reichtum ja Wirklichkeit: reich an Zeit, reich an Muße, reich an Lust auf Gemeinsamkeit, reich im Kopf und superreich im materiellen Reichtum, weil Geld eben nicht alles ist.
<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!