explizit.net veröffentlicht anlässlich der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland eine Artikelreihe zum Thema "Fußball und Religion":
Samstagnachmittag, 16:45 Uhr. Eine himmlischeStille breitet sich über der Abtei Königsmünster aus. Das ganze Kloster bereitet sich auf den Sonntag vor. Das ganze Kloster? Aus mindestens einem Zimmer sind ungewohnte Töne zu hören. In den paradiesischen Frieden mischt sich Torjubel, und manchmal hört man den überraschten Ausruf: „Elfmeter!“
Sie hat wieder begonnen, die samstägliche Bundesliga-Radiokonferenz. Für mich ist sie seit meiner Jugend ein festes Ritual. Für viele Menschen hat sie Kultstatus. Sie versammeln sich um einen Radioempfänger (oder moderner: einen PC/Handy mit Internetanschluss) und lauschen gebannt dem Spielverlauf ihres jeweiligen Lieblingsvereins. Die Sprache verrät es schon: Wir haben es hier mit Anklängen an eine moderne Liturgie zu tun.
Auch sonst finden sich zwischen Fußball und Religion zumindest Anknüpfungspunkte. Es gibt Menschen, die sich allwöchentlich in besondere Gewänder hüllen und prozessionsartig mit Liedern und Gesängen in das Stadion ihres Lieblingsvereins pilgern (!). Schon rein äußerlich haben die Stadien einen fast sakralen Charakter – von der architektonischen Gestaltung bis zu den hymnenartigen Gesängen, die dort erschallen.
Das Fußballstadion – die Kathedrale der Neuzeit?
Vielleicht erscheint dieser Vergleich manchem etwas überspitzt, doch ich finde die aufgezeigten Parallelen der beiden „Liturgien“ bedenkenswert. Was macht die Faszination aus, die nicht nur in Bundesligazeiten, sondern mehr noch bei Welt- und Europameisterschaften und anderen (sportlichen) Großveranstaltungen Tausende ansonsten ganz normale Menschen ergreift? Zeigt sich da nicht eine zutiefst menschliche Sehnsucht, die früher die Religion erfüllen konnte, die aber mittlerweile aus den Kirchen u.a. in die Fußballstadien abgewandert ist?
Im Phänomen des Fußballfans mit seiner „liturgischen Bekleidung“ aus Trikot, Schal, Schirmmütze und Flagge (alles in den Farben des jeweiligen Vereins) und dem quasi religiösen Liedgut der National- und Vereinshymnen zeigt sich eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft, die in jedem Menschen angelegt ist, ob er nun einer offiziellen Religion angehört oder nicht. Wir alle möchten irgendwo dazugehören, uns mit anderen solidarisieren, unsere Vereinzelung durchbrechen auf andere Menschen und auf ein größeres Ziel hin. Der Mensch ist nun einmal ein Gemeinschaftswesen. Von Geburt an leben wir in Gemeinschaften, zunächst uns vorgegeben, später dann selbst gewählt. Der Schriftsteller Arnold Stadler spricht von einem „Dazugehörigkeitsverlangen“ des Menschen. Es ist uns sozusagen fest eingeschrieben, irgendwo dazugehören zu wollen und das auch durch äußere Zeichen kenntlich zu machen.
Das klassische religiöse Beispiel ist das Ordensgewand, doch auch im wirtschaftlichen und politischen Leben spricht man immer mehr von einer corporate identity, die sich in einer bestimmten Kleidung Ausdruck verschafft (z.B. in einer speziellen Firmenkrawatte). Und beim Fußball ist es eben die Fankleidung – oder das Gefühl, zu einer größeren Gemeinschaft zu gehören, die jeden Samstag die Bundesligakonferenz im Radio hört.
Das Team Jesu
Auch Christen sind vom „Dazugehörigkeitsverlangen“ nicht ausgenommen. Aber – und ist das nicht das eigentliche Wunder? – unser Verlangen wird ernstgenommen. Wir dürfen zu einer großen, weltumspannenden Gemeinschaft, der Kirche, gehören. Und noch mehr: In Jesus Christus findet unsere tiefste Sehnsucht, dazuzugehören, ihre Erfüllung. Ganz so, wie es auf einem Fußballtrikot des ehemaligen brasilianischen Weltfußballers Kaká einmal stand: I belong to Jesus – „Ich gehöre zu Jesus“.
Ich finde es wunderbar, dass ich zu einem solchen Team gehören darf. Einem Team ganz unterschiedlicher Menschen, in dem jede und jeder seine und ihre ganz eigene Begabung entfalten darf. Bei den Aposteln hat das ja schon angefangen: das war eine Mannschaft von höchst individuellen, fast schon eigenwilligen Charakteren: Simon Petrus, der Spielführer, der capitano, der erst langsam in seine Rolle hineinwachsen muss; Jakobus und Johannes, die leicht aufbrausenden „Donnersöhne“, immer für einen flotten Spruch gut, ohne an die Folgen zu denken – Oliver Kahn lässt grüßen; Thomas, der erst durch die Nacht des Zweifels hindurch muss, um Jesus berühren zu können; Matthäus, der Zöllner und Lebemann (von Caravaggio auf seinem berühmten Gemälde zumindest so dargestellt); Judas Iskariot, der tragisch Gescheiterte, der so große Ziele hatte und daran zerbrach, dass Jesus ganz anders war, als er es sich vorgestellt hatte.
Bei diesen Aposteln gibt es offensichtlich nichts, was es nicht gibt, und auf den ersten Blick scheinen sie auch nicht viel gemeinsam zu haben. Bis auf das eine: Irgendwann in ihrem Leben hat der Ruf Jesu sie getroffen, sein Blick sie angerührt, und da haben sie alles verlassen und sind ihm nachgefolgt, weil sie spürten: da ist einer, für den zu leben sich lohnt, da ist ein Ziel, auf das hin ich leben kann. Und dieses Ziel schweißt diese so unterschiedlichen Menschen zu einer Mannschaft zusammen, die Jesu Botschaft bis in die hintersten Winkel der Erde trägt. Zusammengehalten werden sie von einem ganz besonderen Teamgeist.
Die Apostel – und das gilt auch für uns, die wir nach ihrem Vorbild leben und wirken sollen – haben sich ihren Dienst nicht ausgesucht, sondern sind dazu berufen worden. Ganz ähnlich, wie ein Fußballspieler in die Nationalmannschaft „berufen“ wird – schon die Wortwahl ist die gleiche. Irgendeiner hat sie entdeckt; sich selbst rufen kann keiner.
Zur WM 1978, hat der damalige Erzbischof von München, Joseph Kardinal Ratzinger, eine bemerkenswerte Rundfunkansprache gehalten. Darin sagt er: „Der Fußball lehrt den Menschen vor allem das disziplinierte Miteinander; als Mannschaftsspiel zwingt er zur Einordnung des Eigenen ins Ganze. Er verbindet durch das gemeinsame Ziel; Erfolg und Misserfolg jedes einzelnen liegen in Erfolg und Misserfolg des Ganzen. Und er lehrt schließlich ein faires Gegeneinander, bei dem die gemeinsame Regel, der man sich unterstellt, in der Gegnerschaft das Verbindende und Einende bleibt. […] Im Zuschauen identifizieren sich die Menschen mit dem Spiel und den Spielern und sind so selber am Miteinander und Gegeneinander, an seinem Ernst und seiner Freiheit beteiligt. Die Spieler werden zum Symbol des eigenen Lebens.“
Und so wird auch weiterhin die samstägliche Stille unseres Klosterberges durch hoffentlich viele Tore meines Lieblingsvereins unterbrochen. Aber bis dahin ist die lange Sommerpause – bundesligafreie Zeit: ein Lehrstück in Sachen Geduld. Auch das ist ja bekanntlich eine christliche Tugend …
Gastbeitrag von Pater Maurus Runge OSB
Hinweis: Dieser Beitrag ist erstmals in der Zeitschrift "Erbe und Auftrag" erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors dürfen wir diesen Artikel hier erneut veröffentlichen.
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