(explizit.net) Angela Merkel nahm am Dienstag den Général-André-Delpech-Preis entgegen. Benannt nach dem Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau und langjährigen Präsidenten des Internationalen Dachau-Komitees, erinnerte die Kanzlerin in Berlin daran, dass 2014 ein besonderes Gedenkjahr ist: Zwei Weltkriegsbeginne vor 100 und vor 75 Jahren. Zur Jahresmitte beging man in Dachau den 69. Jahrestag der Befreiung des Lagers am 4. Mai. Merkel betonte, der Zivilisationsbruch der Shoah erfülle uns mit tiefer Trauer und Scham: „Wir sind uns der immerwährenden Verantwortung Deutschlands bewusst, die hieraus erwächst. Nur so – davon bin ich überzeugt – kann eine gute Zukunft gestaltet werden.“ Sie zeigte ihr Entsetzen über den Diebstahl des Eingangstores dieser KZ-Gedenkstätte in der Nacht zum vorigen Sonntag, den 2. November. Erinnern bedeute ein Ringen um das Gestern, Heute und Morgen. Opfer zu ehren diene ebenso dazu, die Zukunft zu gestalten.
Die Kanzlerin setzte ein besonderes Zeichen, indem sie Sonntag, am 14. September, vor dem Brandenburger Tor unter dem Thema "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" sprach und dort hervorhob, entschieden gegen Antisemitismus vorzugehen – und besser noch – ihm vorzubeugen. Dessen perfide Absicht sei, Juden zu Außenseitern zu machen. Aber sie seien hier zuhause. Sie verurteilte Judenhass auf propalästinensischen Demonstrationen, der als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel daherkam. Geboten sei der Respekt vor dem Glauben und der Kultur des je anderen, sei er Jude, Muslim oder Christ.
Globalkrieg
Der heutige Globalkrieg gegen die Ideologie des Islamismus samt Salafismus bedeutet für die Regierungschefin auch, Anschläge auf die freiheitliche Grundordnung zu stoppen. Nur sieben Tage, nachdem Wuppertal am 5. September eine Scharia-Polizei in orangenen Westen mit dem Aufdruck "Shariah Police" durchzog und die Polizei klagte, zu ermitteln, aber doch keine „richtige Handhabe“ gegen die Vertreter des „Islamstaats“ zu besitzen, erließ Berlin ein Verbot. Dieser Verein verstoße gegen deutsche Gesetze und richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung wie auch den Gedanken der Völkerverständigung.
Zug um Zug baut Merkel eine originäre Berliner Mittelostpolitik auf. Um dies ermessen zu können, sei an ein weiteres Datum erinnert, den Mauerfall vor 25 Jahren. Wunderbar friedlich führten Ostdeutsche diese Revolution an, die ein Reformer im Kreml allmählich angebahnt hatte: Michael S. Gorbatschow. Er erweichte Waffenträger und Betonköpfe im Osten nicht nur durch drei Jahre Kritik am eigenen Regime, sondern er befahl, dass keine Sowjetpanzer gegen die Menge rollten. Der Weg war frei für die Einheit unter Helmut Kohl.
Davor gab es nicht nur keinen eigenen deutschen Kurs gegenüber der Nachbarregion Mittelost seit der Bildung beider deutscher Staaten. Sondern diese bekämpften einander auch in jenem Raum. Unversöhnlich trugen sie dort Rivalitäten aus. Während Ostberlin im Schlepptau des Kremls agierte, folgte Bonn den Interessen der Amerikaner, Briten und Franzosen. Dabei geriet massiv Sand in das westdeutsche Getriebe, was den Ostberliner Belangen viel Vorschub leistete. Kein Wunder, dass die Anerkennungswelle der DDR 1969 über die Palästinafrage im Islamraum aufkam und zu einer zeitweiligen Regelung der deutschen Frage mit Grundlagenvertrag und Beitritt in die Vereinten Nationen 1973 beitrug. Innere Einheit und europäische Integration folgten mit Chancen und Problemen.
Mittelostpolitik
Bis zu den Bundestagswahlen am 22. September 2013 waren es Berliner Politiker einfach nicht gewöhnt, ihren eigenen Mittelostkurs zu finden. Wer es genau wissen will, bemerke auch schwarze Löcher im Koalitionsvertrag. Davor folgten Außenminister mal Paris, mal London und - wie das Duo Gerhard Schröder und Joschka Fischer - Moskau. Danach fiel es ihnen schwer, sich produktiv von Washington zu lösen, wo es eine katastrophale Reihe von Fehlern gab, die Präsident Obama 2010 direkt auf die Seite von Islamisten führte. So viel Chaos herrschte wohl unter Demokratien in den 1930er Jahren. Der Westen braucht ein eigenständiges Berlin mit einem klugen Mittelostkurs gegenüber dieser Krisenregion.
Der beginnt im Inland. Als Angela Merkel am 31. Oktober in das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz ging, drehte es sich nicht nur um alte Herausforderungen wie Rechts- und Linksextremismus, sondern um neue wie Salafisten und Jihadisten. Offenbar arbeitet sich die Kanzlerin auch im Selbststudium durch die Geschichte, wie sie kürzlich meinte (siehe Literaturempfehlung).
<p>Das wäre eine ihrer Qualitäten, die viele nicht haben oder im Amt verlieren. Damit werden sie zu stark vom Kordon abhängig, der sie umgibt. Wie fraglich das werden kann, zeigt das Wahldebakel am 4. November, das gleichwohl eine Kritik an Obamas Mittelostkurs birgt. Er verdoppelte eben die Berater auf 3.000 im Irak.</p> <p>Sicher traf Merkel ins Schwarze, wenn sie anmerkte, wie das Tempo stieg: auch wegen der sozialen Medien müssen die Analysen mit rasanter Geschwindigkeit erstellt werden, um die Sicherheit im Lande zu gewährleisten, zudem in Zusammenarbeit mit den anderen Nachrichtendiensten, auch den Auslandsnachrichtendiensten. Vergleicht man mit Amerika, so haben die Kölner und Münchner oft wirksame Analysen dargetan, die historisch sachlich eingebettet waren. Denn das ist ja die Kehrseite dieser enormen Geschwindigkeit, die nur bewältigt werden kann, wenn Bearbeiter die multiregionale Historie der Fragen zwischen Amerika, Mittelost und Europa seit 1800 beachten. Nur in dem Wissen lässt sich erahnen, was neu oder alt ist, worin die klare Diagnose für praktische Politik hier wie dort wurzelt.</p> <h2>Salafisten</h2> <p>Wir stehen noch am Anfang des globalen Zwistes, der Generationen vereinnahmen wird. Bayerns Innenminister Joachim Hermann steuerte seine Broschüre über den Salafismus bei. Darin heißt es, 99 Prozent der Muslime in Deutschland üben ihren Glauben friedlich aus. Diese Mitbürger respektieren die vom Grundgesetz vorgegebene Werteordnung. Der Verfassungsschutz beobachtet daher nicht die Weltreligion des Islam als solche und ihre Ausübung. Beobachtet würden - auch religiös begründete - extremistische Ideologien, die sich gegen die freiheitliche Grundordnung wenden. Die Ideologie des Salafismus lehne diese ab und gewinne unter den jungen Menschen mehr Boden, auch bei den Konvertiten.</p> <p>Könne man Islam vom Islamismus abgrenzen? Ja, dies müsse man tun. Der Islam ist eine Religion, der die im Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit zustehe. Salafismus aber sei eine extremistische Ideologie, eine Unterkategorie des Islamismus. Freilich ist das falsch: „Islamismus“ stamme aus den 1990er Jahren. Dazu sollten Verfassungsschützer einmal Islamräume nach 1700 befragen, das Osmanenreich ab 1856 oder die deutsch-osmanische Jihadisierung seit 1898. Dafür trifft die Definition zu: extreme Weltanschauung, die die religiöse Sprache politisch mit einem absoluten und universalen Machtanspruch benutzt.</p> <p><emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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