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Ende Oktober- Nichts endet im Nichts

Die Tage werden kürzer, die Zeitumstellung bringt Ende Oktober noch früher das Dunkel. Die Temperaturen sinken. Herbststürme jagen über das Land. Ich muss mich auf den kommenden Winter einstellen. Da tauchen auch schon mal dunklere Gedanken auf, denn wie in der Natur das Leben jetzt erst einmal zu Ende geht, geht ja auch mein Leben mit jedem weiteren Jahr dem eigenen Ende entgegen. Der Herbst in der Natur lässt mich auch den Herbst meines Lebens spüren.

Das Jahr neigt sich langsam. Gerade hat die Sonne nochmal einen kleinen blauen Flecken am Himmel aufgerissen, ein paar dünne Strahlen trauen sich, das bunte Laub zu beleuchten. Aber das ist nur ein kurzes Aufscheinen, schon kommen aus dem Westen dicke, schwarze Wolken daher. Der Wind fegt über meinen Balkon. Der Wind zerreißt die fliehenden Fetzen am Himmel. Es wird düster, fast beängstigend. Wie angewiesen ist meine Seele auf das Licht, auf sonnige Plätze, helle Farben, auf Wärme. Auch wenn die bunten Herbstfarben mich noch ein wenig aufmuntern, ist es dieses Jahr kein Altweibersommer. Die Bäume und Pflanzen in meinem Garten lassen ihr Blattwerk bereits fallen. Die Büsche verlieren ihr Grün, übersäen den Rasen mit ihren bunt gefärbten Blättern. Die Blumenstauden beginnen sich unter die Erde zu verkriechen. Nur die Dahlien und ein paar Rosen halten noch durch. Vieles begibt sich langsam zur herbstlichen Ruhe. Es ist wie ein bisschen sterben.

Ein anderes Lebensgefühl

Auch ich komme in ein anderes Lebensgefühl als im Sommer. Es wird früh dunkel, die Abende werden länger. In der Wohnung kann ich es mir gemütlich machen. Ich liebe Kerzenlicht, das sich im Sommer nur selten lohnt zu entzünden. Mit dem Kerzenschein zieht auch ein besonderer Duft durch meine Wohnung. Ich kann diese gemütliche Zeit genießen, aber sie bringt mich mit ihrer frühen Dunkelheit auch auf tieferliegende Gedanken. Da kann es sein, dass ich anfange zu philosophieren. Hell kann es doch nur werden, wenn es auch die Dunkelheit gibt. Leben kann es nur geben, wenn es auch Tod gibt. Aus dem Tod kommt das Leben zurück. Solche und andere Gedanken gehen mir durch den Kopf.

Nichts endet im Nichts

Ich weiß, dass die Pfingstrosen und all die anderen Sträucher im Frühjahr wieder ausschlagen. Ich kenne auch die vielen Samen, die sich im Herbst in meinen Garten in die Erde gesät haben, um im März und April mit großer Kraft und frischem Grün ans Licht zu drängen. Ich habe die Gewissheit, dass das Sterben der Pflanzen im Herbst nicht für immer ist. Ich kann sicher sein, dass Vieles wieder grün wird.
Kann auch ich in meinem Lebensherbst die Gewissheit haben, dass mein Sterben irgendwie wieder zum Leben führt? Gibt es auch für mich einen neuen Frühling oder gehe ich ins Nichts?
Habe ich Samen gesät, die nach meinem Dasein aufkeimen? Es wäre doch ein sinnloses Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, den Mühen und Anstrengungen, wenn ich im Nichts verschwinden würde, wenn es nicht etwas gäbe, was von mir nach dem Tod weiterlebt? Alles, was einmal war, kann doch nicht im Nichts verschwinden. Dass ich als Person in dieser Welt agiert, gearbeitet, gelebt, gesungen und geliebt habe, wird nicht ganz verschwinden können. Auch die Gedanken, die ich gedacht habe, vergehen nicht einfach. Bleibt nicht die Liebe, die ich verschenkt habe, auch als Kraft in dieser Welt zurück? Sie bleibt zumindest in der Erinnerung, in der Tradition, in der Weitergabe, in der Energie. Systemisch könnte man sagen, dass ich auch in vielen nächsten Generationen mich noch ein wenig verewige. Mein Geist und meine Gene werden sich nicht einfach auflösen.

Nahtoderfahrungen

Wenn ich von den Nahtoderfahrungen vieler Menschen lese, dann muss es sogar noch mehr geben als nur das, was ich hier hinterlasse. Es scheint doch noch eine andere Welt zu geben, in die wir nach dem Tod aufgenommen werden. Das Buch des Neurochirurgen Alexander Eben „Blick in die Ewigkeit“, der diese Erfahrung an sich selbst erlebte, hat mich auch darin bestätigt, dass mein Leben nicht einfach mit dem Sterben zu Ende geht.
Als Christin lebe ich ja mit dem Bewusstsein, dass mir Auferstehung zugesagt wird, dass ich in das Reich Gottes aufgenommen werde. Unabhängig davon, wie ich mir das vorstellen soll. Das ist erst einmal beruhigend, jedoch auch gleichzeitig beunruhigend, weil ich natürlich frage: Wie soll das gehen? Da gibt es für mich keine sichere Antwort, aber ich mache manchmal die Erfahrung, dass es noch etwas geben muss, was in meiner unmittelbaren Nähe unsichtbar hautnah neben mir ist. Eine Welt, die ich nicht sehen, aber manchmal spüren kann.

Wenn Auferstehung, dann in einer anderen Aggregatsform

Solche Gedanken wirft diese Jahreszeit in mir auf, wenn sie sich grau, stürmisch und neblig über dem Rheintal ausbreitet. Eigentlich auch gut, denn im sonnigen Sommer kann ich über das Leben dahintänzeln, die Leichtigkeit der Tage mit dem vielen Licht lässt mich dann viel oberflächlicher sein. Mit der dunkler werdenden Jahreszeit eröffnet sich mir ein tieferer Blick, auch in meine Seele, weil mir die Natur einen Blick in ihr Vergehen gewährt. Der kommende Winter gibt mir die Gelegenheit, mich zu sammeln, meiner Seele zuzuhören und nachzuspüren, mich weniger nach außen zu zerstreuen.
Ich ahne schon, wenn im Frühjahr die lebendigen Säfte wieder in den Pflanzen aufsteigen, ich das Licht, die frische Luft und die wärmende Sonne spüren kann, dass ich wieder ganz anders „drauf“ bin.

Link: Den Herbst einüben


Kategorie: Entdecken

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