Neues Gotteslob: Von Gregorianik bis Taizé
(explizit.net) Wenn nach 38 Jahren ein neues Rollenbuch in die Gemeinden kommt, müsste eigentlich ein Sturm der Begeisterung unter den Gläubigen losbrechen. Stattdessen ist vielerorts eine Scheuklappenmentalität nach dem Motto „Alles soll so bleiben, wie es ist“ festzustellen, bei der nicht nur jungen Leuten die Lust gründlich vergehen kann. Dabei zeigt das Gotteslob, dass es möglich ist, an die moderne Welt und ihre Bedürfnisse anzuschließen.
„Ich hätte das alte Gotteslob gut und gerne noch weitere zwanzig Jahre benutzen können“, war vor einiger Zeit in einem Leserbrief in der Speyerer Bistumszeitung zu lesen. Der Leser fragte, weshalb denn ein neues Gesangbuch notwendig sei, wo das alte doch so gute Dienste geleistet habe. Diese Frage scheint umso berechtigter, wenn man sich vor Augen führt, welchen Aufwand das neue Gotteslob in den mehr als zehn Jahren seiner Entstehung erfordert und welche Unsummen Geld es gekostet hat – nicht zuletzt deshalb, weil rund eine Million Exemplare aufgrund schlechter Papierqualität neu gedruckt werden mussten.
Innovationspotential: Persönliches Gebet und Meditation im Alltag
Weshalb also dieses neue Gesangbuch? Warum nicht einfach das alte und vertraute weiter benutzen, gerade in Zeiten knapper Kirchenkassen? Was ist das Neue am neuen Gotteslob? Immerhin sind rund 80 Prozent der Lieder aus dem alten Gotteslob in den Stammteil des neuen übernommen worden. Worin also liegt das Innovationspotential?
Um diese Fragen zu beantworten, ist es sinnvoll, sich den Aufbau des neuen Buches genauer zu betrachten. Im Unterschied zum Vorgängermodell besteht es aus drei Hauptteilen: 1) Geistliche Impulse für das tägliche Leben; 2) Psalmen, Gesänge und Litaneien; 3) Gottesdienstliche Feiern. Dahinter steht das klassische Schema von Liturgie, wonach immer zuerst auf das Wort Gottes gehört wird, um dann in Gebet und Gesang zu antworten. Damit ist schon angedeutet, wie sich das neue Buch versteht: als persönliches Gebet- und Meditationsbuch, als Gebrauchsbuch für den christlichen Alltag. Dieser Charakter wird durch die neue Struktur und den Inhalt hervorgehoben.
Aktuelle Tendenzen der pastoralen Praxis
So findet sich nun beispielsweise eine Rubrik mit dem Namen „Was bedeutet…?“, in der Grundbegriffe des gottesdienstlichen Geschehens wie „Tabernakel“, „Absolution“ oder „Prozession“ erklärt werden, die das alte Gotteslob noch als selbstverständlich voraussetzte. Jede Feier wird in Form und Inhalt zunächst katechetisch erschlossen. Auf diese Weise versucht das neue Gesangbuch, dem Schwund des Glaubenswissens Rechnung zu tragen. Es ist zu hoffen, dass es durch diese Neuerungen wieder verstärkt als Gebrauchsbuch für den Alltag erfahren wird.
Neu sind auch die vielen zeitgenössischen Gebete von Autoren wie Anselm Grün oder Jörg Zink wie auch zahlreicher Frauen, die im neuen Gotteslob viel stärker vertreten sind als im alten. Dass das Buch auch für häusliche Feiern gedacht ist, verdeutlicht die Rubrik „In der Familie feiern“. Neben einer Adventskranzsegnung oder einem Hausgebet im Advent haben eine Dank- und Segensfeier sowie ein Hausgebet für Verstorbene Einzug gehalten. Diese Feiern sind aufgrund ihres einfachen und einheitlichen Schemas auch für Außenstehende gut nachvollziehbar. Natürlich richtet sich das Gotteslob in erster Linie an die praktizierende Gottesdienstgemeinde. Gerade solche Feiern wie das Hausgebet für den Heiligen Abend können jedoch auch eher fernstehende Gruppen ansprechen. Denn das neue Gesangbuch geht nicht mehr davon aus, dass die Menschen an Weihnachten in Scharen in die Kirchen strömen, sondern berücksichtigt aktuelle Tendenzen der pastoralen Praxis.
Maria als „fragende und glaubende Frau“
Eine eigene Nummer für die Urnenbestattung sowie ein vollständiges Formular für die Wort-Gottes-Feier führen deutlich die liturgischen Veränderungen der letzten 40 Jahre vor Augen. Diese kommen insbesondere im Andachtsteil zum Tragen. Hier zeigen sich im Vergleich zum alten Gotteslob veränderte inhaltliche Aspekte. Während das Gesangbuch von 1975 Marienandachten noch unter die Überschriften „Jungfrau“, „Mutter Gottes“ oder „Ohne Erbsünde empfangen“ stellte, ist Maria nun zur „fragenden und glaubenden Frau“ oder zur „Schwester im Glauben“ geworden. Insgesamt wurden die Andachten gekürzt und sind nun zu echten Wechselgebeten zwischen Vorbeter, Lektor und Gemeinde geworden. Daneben veranschaulicht das Gotteslob in gelungener Weise, wie eine traditionelle Gebetsform wie die Andacht mit aktuellen Anliegen verbunden werden kann, zum Beispiel durch eine zeitgemäße Schöpfungsspiritualität oder eine gut verständliche biblische Sprache.
Vielfalt, die genutzt werden will – von Gregorianik bis Taizé
Eine der größten Stärken des neuen Gotteslobs besteht sicherlich darin, dass es ein sehr farbiges Spektrum an geistlichen Gesängen bietet, von Gregorianik bis Taizé. Es ist für alle Altersgruppen geeignet und gehört deshalb auch in alle Gottesdienste hinein. Ein nicht wünschenswertes Szenario wäre, wenn das Gesangbuch bei Kinder- und Jugendgottesdiensten wieder unangetastet bliebe und diversen wild zusammenkopierten Loseblattsammlungen weichen müsste. Der Erfolg des Gotteslobs hängt ganz wesentlich davon ab, ob man seine vielfältigen Möglichkeiten entdeckt und sich zunutze macht.
Das Gotteslob zeigt, dass es möglich ist, an die moderne Welt und ihre Bedürfnisse anzuschließen. Diese neuen pastoralen Möglichkeiten sollten wir nicht verstreichen lassen.
<emphasize>Mareike Jauß</emphasize>
<emphasize>Die Autorin ist katholische Theologin aus dem Bistum Speyer. Sie ist seit vielen Jahren als Organistin in verschiedenen Kirchen tätig.</emphasize>
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