Autor: Thomas Gertler S.J.
Meißner Synode 1969 – 1971
Das Konzil hatte einen Aufbruch der Laien bewirkt und eine Hochstimmung verbreitet. Es herrschte ein großes Vertrauen und eine neue Lockerheit. Wichtigste theologische Kapazität waren Wolfgang Trilling und die Oratorianer. Sie wurden jedoch in ein gewisses Abseits gerückt. Der innerkirchliche Dialog, der angezielt war, fand außer bei der Meißner Synode und anfangs bei der Pastoralsynode viel zu wenig statt. Das liegt meiner Meinung nach hauptsächlich an der Kleinheit der Kirche. Das führte dazu, dass die Bischöfe in Allem zu dicht „dran waren“. Es gab keine innerkirchliche Öffentlichkeit. Auch verfügte die kleine Kirche nicht über genügend qualifizierte Theologen, die den Dialog hätten führen können. Dieser soziologische Grund scheint mir wichtiger als die politische Situation, die eine Freiheit des Gesprächs immer einschränkte.
Das Grunddilemma: Durch den äußeren Druck war die Kirche auf innere Geschlossenheit angewiesen und die Kirchenleitung sah darin auch ihre besondere Aufgabe. Allerdings wurde dieses politische Argument auch immer gegen die kritischen Anfragen benutzt und es gab dann manchmal eine seltsame Koalition von Staat und Kirchenleitung. Ein ähnliches Problem, nur viel schärfer entstand in der Evangelischen Kirche.
Pastoralsynode der Bistümer in der DDR 1973 - 1975
"Die Chance der kleinen Herde": Dieses Bild stammt vom Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck nach Lukas 12,32. Es hat auf den ersten Blick etwas Idyllisches. Gemeint ist jedoch das Diasporaproblem, und zwar das doppelte, eine Minderheit unter anderen, nämlich evangelischen Christen, aber auch nochmal Minderheit als Christen in einem atheistischen Staat und einer atheistischen Bevölkerung.
Wahrgenommen wurde, dass diese kleine Herde sich abschließt: "Die Diasporasituation fördert Einheit und Zusammenhalt der Christen; doch werden die Gemeinden ihrer Situation erst dann gerecht, wenn sie sich nicht abschließen, sondern im Austausch mit den anderen stehen, mit ihnen Mensch und für sie Christ sind."
In dieser Situation entfaltet sich trotzdem eine starke Aktivität der Laien, konkret in Pfarrgemeinderäten; in der Bildungs- und Akademikerarbeit; in lebendigen Studentengemeinden.
All das hat dann das Potenzial für das starke Engagement der Katholiken in und während der Wende gebildet. Hinzu kam, dass die katholischen Priester nicht für kommunale u.a. Parlamente kandidierten, so dass die katholischen Laien schneller Verantwortung übernahmen.
Kirche im Sozialismus
Ein gewisser Neuanfang kam am 6. März 1978 mit dem Treffen des evangelischen Bischofs Schönherr und dem Kirchenjuristen Manfred Stolpe mit Erich Honecker zustande. Schönherr und Stolpe hatten mit der Formel: "Kirche im Sozialismus" ein neues Verhältnis zum Staat definiert. Das stieß auf das große Missfallen des Berliner Bischofs, Kardinal Bengsch. Er war wütend. Die Folge war eine abgekühlte Ökumene auf Kirchenleitungsebene.
Für die Evangelische Kirche hieß diese Formel allerdings nicht Unterordnung unter die SED noch Einordnung in den Sozialismus, keine Identifizierung mit dem Staat oder dem Sozialismus, sondern Identifizierung mit dem Land und seinen Problemen, eine kritische Solidarität.
Auf katholischer Seite ist ein weiterer Rückzug auf sich selbst und die normale Seelsorge zu verzeichnen.
Das Ausreiseproblem beginnt sich zu intensivieren. Friedensgebete und das Engagement für die Ökologie und für den Ausgleich zwischen Ost und West rückten in den Vordergrund.
Das Katholikentreffen 1987:
Den Katholiken gelang es, dem Staat, faktisch der Partei, die Erlaubnis für einen Katholikentag abzuringen, der „Katholikentreffen“ genannt werden musste. "Gottes Macht - unsere Hoffnung": Kardinal Meisner als Vorsitzender der „Berliner Bischofskonferenz formulierte:
"Die Kirche, die Christen in unserem Land möchten ihre Begabungen und Fähigkeiten in unsere Gesellschaft einbringen, ohne dabei einem anderen Stern folgen zu sollen als dem von Betlehem."
Der konziliare Prozess für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ konnte eine 1. Versammlung vom 12.-15. Februar 1988 in Dresden abhalten, eine zweite Versammlung in Magdeburg vom 8.-10. Oktober des gleichen Jahres, eine dritte in Dresden vom 26.-30.April 1989. Das ermöglichte den Einstieg der Katholischen Kirche in das evangelische Engagement.
Zusammenfassung: Die katholische Kirche unter der Herrschaft der SED
- Die Katholische Kirche blieb politisch auf dem Stand der CDU vor den Ostverträgen. Damit kam es zu keiner Identifikation mit der DDR. Dadurch fiel es den Katholiken leichter, als die Wende die Richtung zur deutschen Einheit nahm, diese bewusst mitzugehen. Das erklärt die vielen katholischen Bürgermeister, Abgeordnete und Ministerpräsidenten.
- Es gab ein positives Bild von den Kirchen in der Öffentlichkeit. Die Kirchen waren in vielem moderner und freier als die umgebende Gesellschaft. In der Kirche konnte man offen reden. Man bekam Informationen, Bücher, Wissen, die außerhalb nicht zu haben waren. Man lernte Grundzüge der Demokratie. Man lernte in den Studentengemeinden und Pfarrgemeinderäten öffentlich aufzutreten und zu reden. Wir haben auf diese Weise eine Elite gebildet. Das wird durch die "Überrepräsentierung" von Katholiken in politischen Ämtern deutlich. Der Eindruck war berechtigt: „Es gab und gibt eben wirklich fähige und anständige Leute bei den Katholiken.“ Das bestätigt die Religionssoziologie auch 30 Jahre danach.
- Die wichtigsten Kennzeichen waren: Eine kleine Kirche mit all den Problemen und Vorzügen: Enge, Zusammengehörigkeit, weil alle sich kennen, verbunden mit einer starken Sozialkontrolle, wenig innerkirchliche Diskussion und Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit. Zugleich auch anziehend, daher relativ viel Priester- u Ordensnachwuchs. Für beide Kirchen gilt: Sie waren interessant und anziehend für die, die mehr wollten.
- Eine Kirche unter äußerem Druck verstärkt den Zusammenhalt. Wenn der Druck nicht mehr gespürt wird, bricht auch Vieles weg.
- Schrumpfende Kirchen: in der DDR-Zeit haben beide Kirchen über 50% ihrer Mitglieder verloren:
- Für beide Kirchen galt ein unausgesprochenes Abkommen mit dem Staat: Ihr kümmert euch um eure Leute, wir kümmern uns um unsere Leute. Eine Weitergabe des Glaubens über die Kirchengrenzen hinaus findet nicht stat. Auch die klassische, innerkirchliche Weitergabe des Glaubens gelingt nicht mehr. Es gab nie kleine evangelikale oder charismatische Gruppen, denen das gelang.
- Hier liegt die größte Herausforderung: Wir müssen lernen, aus uns herauszugehen.
Die Evangelische Kirche hat durch ihr gesellschaftliches Engagement keine Mitglieder hinzugewonnen. Das macht mich nachdenklich und vorsichtig gegenüber der Ansicht, dass größeres politisches Engagement wirklich den Glauben fördert.
Die westdeutsche Kirche ist eine große und reiche Kirche:
Die Gefahr ist hier, dass sie eine reine Fassadenkirche wird: damit ist gemeint: Überinstitutionalisierung. Die vielen Institutionen können nicht mehr gefüllt werden, weder mit Geist noch mit Menschen. Das wunderschön renovierte Kirchengebäude, in das niemand mehr hineingeht. Sie ist mächtig, aber es ist immer mehr der Verdacht da: in Wirklichkeit hat sie keine Legionen mehr.
Es ist eine pluralistische Kirche. Die Spannbreite ist viel größer als in den neuen Bundesländern. Es ist eine Kirche, die sehr mit sich selbst befasst ist. Die Wut auf Rom verstellt den Blick auf die eigenen Probleme. Auch wenn es einen neuen Papst gibt, bleiben die Probleme der westdeutschen Kirche.
Die Kirche der alten Bundesrepublik ist auch eine kreative und lebendige Kirche. Wir haben ihr viel zu verdanken. Und auf der ganzen Welt haben ihr Viele Vieles zu danken. Jedoch macht gerade diese Pflicht zur Dankbarkeit auch zornig.
Die offene Flanke der Ekklesiologie ist die Missiologie, die Frage nach Kirchengliedschaft, nach Kirche und Religionen. Wenn alle gerettet werden, warum dann noch Mission? Diese Frage kommt auf. Sie entsteht auch durch eine tiefer liegende Ursache: Das problematische Verhältnis der Kirche zur Neuzeit: Warum Christ sein, wenn es unmodern ist, wenn es lächerlich, wenn unwissenschaftlich erscheint, wenn es mühsamer ist, als kein Christ zu sein. Das mündet in die Frage: Was bringt mir das Christsein, der Glaube, die Kirche?
Das führt zu diesen Themen: Verhältnis Gottesliebe zu Nächstenliebe. Reduktion des Christlichen auf die Nächstenliebe seit der Aufklärung, der Verlust der Gottesdienstkultur, einer Gebetskultur und damit keine öffentliche Gottesverehrung der Gesamtgesellschaft mehr.
Der Autor, Thomas Gertler, ist im katholischen Eichsfeld aufgewachsen, Mitglied des Jesuitenordens geworden. Er hat über „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils promoviert, war bis 1998 in Erfurt und wurde dann mit Leitungsaufgaben im Orden betraut.
Links: Modul: Kirche in der DDR Beiträge auf explizit.net und hinsehen.net über die Kirche in der DDR Hier geht es zu den Links
1. Kirche in der DDR- die Vorgeschichte
Der Prozess der deutschen Einheit hat uns zu Bewusstsein gebracht, dass wir im Osten und Westen in 40 Jahren nicht nur unterschiedliche Erfahrungen mit der Gesellschaft und dem Staat, sondern auch mit Kirche gemacht haben. Wir haben beide Kirchen unterschiedlich gestaltet. Dafür zuerst ein Rückblick auf die Jahrzehnte, ehe die Katholiken in zwei sehr verschiedenen deutschen Staaten lebten. Hier zum Weiterlesen
2. Kirche in der NS-Diktatur und unter Ulbricht
Die deutsche Teilung und damit die Trennung der Katholischen Kirche führt zu einem unterschiedlichen Kirchenverständnis. Jedoch haben beide Kirchen die gleiche Vorgeschichte. Hier geht es in einem zweiten Schritt um die Zeit der ersten Diktatur, auf die für die Katholiken in der Ostzone und dann der DDR die Zweite folgt. Hier zum Weiterlesen
3. Mauerbau, Konzil, Studentenrevolte und Synoden
Kirche in der ehemaligen DDR - heute knüpft man dort an, wo man aufgehört hat. Das führt zu großen Problemen der Kirchen im Osten. Die psychischen Folgen der Diktatur sind Angst und Misstrauen gegen Fremdes. Aber auch großes Vertrauen und enger Zusammenhalt untereinander. Hier die Zeit bis 1968. Hier zum Weiterlesen
5 Die Wende und die Nachwendezeit
Die Wende ging von den christlichen Gemeinden aus. Sie hat die staatlichen Strukturen verändert und die Herrschaft des Kommunismus beendet. Sie hat auch die Kirchen in den Neuen Bundesländern verändert. Sie war vor allem eine Erfahrung der Menschen im Osten. Hier zum Weiterlesen
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