Weihnachten ist nicht irgendein ferner Punkt der vergangenen Geschichte und auch nicht irgendein einziges bestimmtes Ereignis im Leben Jesu oder im eigenen Leben. Weihnachten geht weiter. Es ist eine Grundrichtung, die das gesamte Leben in ein bestimmtes Licht färbt. Über dieses Licht lernen wir etwas durch Simeon und Hanna.
Das Junge kommt zum Alter
Im Zentrum der Schriftlesung steht Begegnung. Die junge Familie aus Nazareth zieht nach Jerusalem hinauf, betritt den Tempel und trifft dort auf einen alten Mann: Simeon. Und es ist sehr merkwürdig. Auf den ersten Blick sieht es wie eine beiläufige, zufällige Begegnung aus. Auf den zweiten Blick offenbart sich, dass dieser Mann sein ganzes Leben auf diese Begegnung gewartet hat. Warum hat Simeon auf diese Begegnung gewartet? Hatte er nicht alles? War im Tempel nicht Gott bereits gegenwärtig, war er nicht das «Zelt Gottes unter den Menschen»? David singt im Psalm 27: «Nur eines erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich: Im Hause des Herrn zu wohnen alle Tage meines Lebens, seine Freundlichkeit zu schauen und nachzusinnen in seinem Tempel.» Das alles hatte Simeon. Und dennoch: Er wartete auf diese Begegnung. Es war nicht genug.
Die Sehnsucht in den Armen halten
Worin besteht nun dieses Mehr? Es genügt nicht, dass wir zum Tempel kommen und dort Gott begegnen. Gott ist größer, denn er will zu uns kommen, so dass wir ihn aufnehmen und zu seinem Tempel werden. Und das geschieht bei Simeon: Er nimmt das Kind auf seine Arme. Er nimmt es auf in seine Geborgenheit. Seine Arme sind zur Herberge, zum Holz der Krippe geworden. Das ist in der Tat ein Mehr. Die Sterndeuter, die Weisen aus dem Morgenland, von denen Matthäus berichtet, kommen zur Krippe, um Gott anzubeten. Von der Sehnsucht Davids begeistert, machen sie sich auf den Weg, um diese Sehnsucht zu erfüllen. Und sie werden nicht enttäuscht. Doch damit ist es noch nicht getan. Simeon lebt in einer größeren Sehnsucht: Gott im Kinde selbst zu empfangen und aufzunehmen.
Dann stimmt Simeon einen Gesang an, wie David ihn anstimmte, aber er übertrifft David. Das Heil, der Frieden Gottes, bildete für David noch ein Gegenüber. Noch musste er zum Tempel kommen, nach außen gehen. Mit Christus kommt das Heil nach innen. Das Heil selbst hat Simeon in den Armen gehalten.
Mehr als Gesundheit und Glück
Vor Christus konnte man noch sagen: Gesundheit, ein langes Leben, Wohlstand, Ansehen, politischer Frieden – darin besteht das Heil des Menschen. Ohne Frage – alles gute Dinge. Aber es sind doch menschliche Dinge; die Erfüllung menschlicher Sehnsüchte. Gott gibt sich damit nicht zufrieden. Er gibt mehr: sich selbst. Simeon hat erkannt: Man kann Gott nicht in eine bestimmte Menge irdischer Glücksgüter auflösen. Der Frieden und das Heil, was von Gott kommt, sind mehr als das alles, denn es ist Gott selbst. Und das wurde ihm geschenkt: Frieden und Heil Gottes in dem Kinde Jesu. Seine göttliche Sehnsucht wurde gestillt. Daher kann er wirklich im Frieden Gottes aus dieser Welt scheiden.
Dann sehen wir auf Hanna: Sie entfaltet die Haltung des Simeon. Sie gleicht ihm ja. Und dort heißt es: Sie diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. Christsein in einem kurzen, knappen Satz. Und doch so schwer! Dieser Satz ist eine der großen Überschriften über die Nachfolge Jesu. Daher wird man nie ein Ende finden, darüber nachzudenken. Es gibt so viele Bücher darüber. Doch selbst im Kleinen gibt dieses Wort einen Maßstab an, an dem man sich täglich zu messen hat. Vier Fragen, die sich täglich an uns richten: Diene ich Gott? Faste ich? Bete ich? Hat meine Zeit ihre Form von Gott her erhalten? Einige Bemerkungen zu diesen vier Fragen von hinten angefangen:
Geformte Zeit
Oft schwindet das Christsein auf wenige Stunden zusammen. Meist der Sonntag mit seinem Messbesuch. Manchmal leuchtet das Christsein auf in spontaner Güte auch unter der Woche. Oder in den wichtigen Entscheidungen des Lebens, etwa in der Liebe, gibt es Orientierung. Doch selbst dort oft nur ausschnitthaft oder unvollständig. Oder in sozialen Projekten, wo man bewusst sich auf die christliche Nächstenliebe beruft und aus einem christlichen Drang handelt. Diese Stunden sind bei vielen Christen nur lose Fragmente und nicht ineinander gefügt. Bei Hanna sind diese Stücke ineinander gefügt. So sehr, dass man gar nicht mehr von Fragmenten reden kann. Sie sind zu einer Einheit verschmolzen. Irgendwo zwischen den Fragmenten und der Einheit Hannas befindet sich jeder Christ. Vollendet ist niemand. Für einige, denen die Sehnsucht nach geheiligter Zeit aufgegangen ist, wird zumindest der Tag ineinander gefügt. Doch es fehlt noch das tiefe Bewusstsein um die Nacht. Christus redet sehr oft von der Nacht. Aber wie oft wird sie ausgeblendet. Es ist eine der vorzüglichen Aufgaben des Christen, die Nacht zu erleuchten.
Der Mensch wird zum Tempel
Das Gebet des Christen erschöpft sich gerne in einem aktiven Tun. Das Herz geht aus und ruft mit seiner Last und Schwere, seiner Bedürftigkeit und Sehnsucht nach Gott. Und das ist auch wunderbar. Doch das verbleibt noch bei der Sehnsucht Davids. Gott ist noch das Gegenüber, nach dem ich mit meinen Worten rufen darf. Weihnachten geht weiter: Mein Herz ist im Tempel. Besser: Gott ist in meinem Tempel des Herzens. Wir müssen nicht «nach oben» rufen zu Gott, denn mit Weihnachten ist Gott «nach unten» gekommen. Noch mehr: Wir dürfen «nach innen», in uns hinein zu ihm rufen. Beten heißt wesentlich am Herzen des Vaters ruhen. Mit Christus ist der Ort, wo unser Herz am Herzen des Vaters ruht, ist unser eigenes Herz geworden. Wenn wir Christus aufnehmen, nehmen wir den Vater auf. Der Beter lebt in der Aufnahme Christi.
Wie Fasten
Zwar ist der Advent vorbei – er hat ja seinen Fastencharakter gänzlich verloren und ist in einen Rummel geworden – und doch geht das Fasten weiter. Fasten ist für den heutigen Menschen zum Problem geworden. So wie er das Heil gerne in verschiedene menschliche Güter auflöst, so betrachtet er auch das Fasten: Es «tut ihm gut», es dient zum Abnehmen, es «entschlackt», es macht frei von Süchten. Alles Fasten wird an das ganzheitliche, menschliche Wohlbefinden rückgebunden. Dabei ist Fasten nichts Menschliches. Fasten kommt von Gott. Es hat seinen Ursprung in ihm und auch sein Ziel in ihm. Meist hat unser Fasten nicht seinen Grund in Gott, sondern in uns selbst. Wir fasten um unseretwillen, nicht um seinetwillen. Daher bringt uns Fasten nichts.
Was aber bedeutet Fasten? Es ist eine Stärkung unseres Willens. Nämlich den Willen Gottes zu tun. Unser irriger menschliche Wille soll kleiner werden, damit der göttliche Wille in uns groß werden kann. Das ist das Geheimnis des Fastens. Dann wird es fruchtbar.
Und darauf folgt das Dienen.
Dienen bedeutet: Gottes Willen tun. Das ist das Wagnis von Weihnachten. Wer Christus in sich aufnimmt, ihn beherbergt, der steht vor einem Problem: Entweder habe ich einen Fremdkörper in mir oder aber ich habe mein Eigenstes in mir. Dienen heißt, dass Christus kein Fremdkörper ist, sondern mein Heil. Dienen heißt, diesem Christus Raum zu geben, damit er durch mich handeln kann. So wie das ungeborene Kind im Leib der Mutter den Lebensrhythmus der Mutter bestimmt und vorgibt, so gibt Christus allen, die ihn aufnehmen, den Lebensrhythmus vor.
Simeon und Hanna sind weihnachtliche Menschen. Ihr Leben hat mit der Geburt Jesu die entscheidende Richtung bekommen. Das Licht Gottes ist ihnen erschienen. Sie leben unter diesem Licht. Die Kirche hat es geschickt verstanden, diesen Schein in ihr Leben tragen: Das Nachtgebet der Kirche, die Komplet, stimmt in das Lied des Simeon, das „Nun entlässt Du Herr deinen Knecht …“, ein. So senkt sich nach und nach die Sehnsucht und Haltung von Simeon und Hanna in das Leben des Christen ein und wird dort wachgehalten.
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