Foto: Theo Hipp

Der Christ und der Taubstumme

Der Nachfolger Christi steht oft vor einem Problem. In unseren Tagen gibt man diesem Problem den Namen Mission oder Neuevangelisierung. Es gibt viele Menschen, die die Frohe Botschaft Jesu nicht kennen. Sie mit Jesus vertraut zu machen, ist oft schwierig, und viele zerbrechen sich ihren Kopf daran.

Jesus durchstreift nicht nur die heimischen Galiläer Gefilde, sondern auch die gottesfeindliche Welt von Tyrus und Sidon und das hellenisierte Gebiet der Dekapolis. Wie der Herr, Jesus, so sollen auch seine Knechte, die Jünger, es ihm gleich tun. Sie sollen in die Gebiete der Heiden und der Gottesfeinde, hinaus wo Gefahr droht. Oftmals sind die Jünger überfordert und wissen nicht, was sie tun sollen. Jesus zeigt, was sie tun sollen. Und noch mehr: Sein Tun verändert sogar das Sein.

Die Missionsgebiete unserer Tage gleichen den biblischen Gebieten, die Jesus aufsucht: Die Dekapolis, ein hellenisierter zuvor hebräischer Bereich, läßt sich mit der ehemaligen DDR vergleichen. Statt den griechischen Eroberern ist es hier kommunistische Herrschaft. Tyrus und Sidon, Städte, die Kinderleben für ihr eigenes Wohlbefinden opferten, haben auch heute ihre Entsprechungen. Jesus meidet sie nicht.

Das Evangelium kann leider nicht alle Probleme der Mission lösen. Was Jesus in Tyrus und Sidon macht? Das bleibt uns verborgen. Wir wissen es nicht. Sein Handeln dort ist unbekannt. Wer sich heute in diese Gebiete vorwagt, der muss damit rechnen, unerkannt zu bleiben. Vielleicht ist das die einzige Lehre, die uns Jesus hier über diese beiden Städte mitgibt: Der Kampf gegen die Kultur des Todes, gegen Abtreibung und dergleichen, wird unter der Oberfläche geführt. Wir sollen nicht die Bekanntheit und die Aufmerksamkeit, die Großformate des Medienrummels aufsuchen. Das Unerkannte, Direkte, Kleine führt zum Sieg.

Dann sehen wir die Dekapolis. Jesus stellt sich dort nicht als Marktschreier dahin und verteilt lustige Zettel an Passanten. Er mietet kein Freilufttheater, um einen Megagottesdienst zu halten. Seine Mission sieht gänzlich anders aus. Es beginnt gar nicht mit ihm. Es ist die anonyme Masse, die Menge, die einen Taubstummen zu Jesus bringt.
Der Taubstumme ist eine Symbolfigur für das Leben der Leute der Dekapolis: Sie sind taub für das Evangelium. Sie können es nicht ertragen, was Jesus ihnen sagen will. Ganz egal wie gut die Rede ist und wie groß die Wahrheit hervorleuchtet – wenn die Leute taub sind, können sie es nicht aufnehmen. Ebenso sind die Leute stumm für das Evangelium. Sie können nicht über das Evangelium reden. Welche Erfahrung könnte heute noch eindringlicher sein? Es schaffen selbst Ehepaare nicht, ihre Ängste, Nöte und Sorgen untereinander zu offenbaren und zu teilen! Die jungen Leute und inzwischen deren Eltern scheuen die direkte Situation und schreiben kalte, nüchterne Nachrichten, statt warme Worte mit dem Mund zu spenden. Junge wie Ältere sind sprachlos. Sie können zwar ihren Mund bewegen, aber ihre Herzen sind stumm.

Lustige Zettel und Megachurching machen den Taubstummen nicht hörend und redend. Aber was macht den Taubstummen redend? Die Erzählung gibt uns drei Schritte vor. Der erste Schritt heißt: gebracht werden. Der Taubstumme wird zu Jesus gebracht und man bittet Jesus, ihn zu berühren. Dieser Schritt entscheidet bereits das ganze Geschehen. Der Taubstumme kann sich nicht selbst bewegen. Aus sich heraus bleibt sein Herz taub und stumm. Er kann nichts daran ändern. Er ist nicht in der Lage, von alleine seinen Weg zu Jesus zu finden. (Oh wie fatal der Anspruch Kants, man könne von alleine den Weg aus der Unmündigkeit finden!) Wenn die Jünger heute vor dem Problem der Mission stehen, müssen sie sich fragen: Kenne ich einen Taubstummen? Will ich, dass Jesus ihn berührt?

An dieser Frage scheitert die Mission. Man will dem Taubstummen von Jesus erzählen, man will mit ihm über seine Sorgen und Nöte reden. Ja, alles gut. Aber es ist sinnlos, solange Jesus ihn nicht berührt. Denn der Taubstumme ist ja noch taub und stumm für das Evangelium. Zu allererst muss man ihn zu Jesus bringen, damit er ihn berührt. Am Anfang steht die Berührung des Herzens, eine echte Begegnung mit dem Auferstandenen.

Bei dem zweiten Schritt übernimmt Jesus. Er sondert den Taubstummen von der Menge aus. Der Kontakt mit Jesus verändert das Leben radikal. Wir würden heute sagen: Wer von Jesus berührt wird, der verliert seine Peergroup. Jesus löst die Bande auf, die in der Taubstummheit halten. Das soziale Umfeld enthält Kräfte, die verhindern können, dass Jesus heilt. Heilung ist daher immer auch eine Form der Überwindung, gar des Ausbruchs, aus dem vertrauten Umfeld. Beides geht nicht: geheilt werden und keine Veränderung im sozialen Geflecht erfahren. «Wasch mich, aber mach mich nicht nass.» Das Handeln Jesu führt zu einer Veränderung im Sein des Menschen.

Schließlich der dritte Schritt: Jesus heilt den Taubstummen. Er legt die Finger in die Ohren und macht sie hörend. Er berührt die Zunge und macht sie redend. Er seufzt zum Himmel und durch sein Wort geschieht die Öffnung für die Frohe Botschaft. Jesus befiehlt: «Öffne dich!» Und es wurde. Und er machte alles gut. – Die Worte des Schöpfungsberichtes hallen hier nach: «Und Gott sprach und es wurde. Und alles war sehr gut.» Sie klingen nach, weil das Handeln Jesu das Handeln Gottes ist. Weil Gott so spricht, wird es. Auch das bereitet der Mission heute Probleme: Wir denken, es käme auf die eigenen Worte an. Als wären meine Worte so, als könnten sie das Leben eines Menschen verändern. Doch der Mensch hat keine Worte Ewigen Lebens. Was der Mensch sagt, das wird noch lange nicht. Nur was Gott sagt, das wird und verändert und ist sehr gut. Mission heißt: Gott zu Wort kommen lassen.

Eine der letzten Lehren, die wir für die Neuevangelisierung lernen können, liegt in der Quote. Die göttliche Statistik ist oft sehr komisch: Da wird aus einem kleinen Senfkorn ein riesiger Baum, ein einzelnes Weizenkorn bringt 30-, 60-, 100fach Frucht, aus zwölf Jüngern wird die Kirche. Jesus heilt hier keine 5000 wie er bei der Brotvermehrung sättigt. Jesus heilt nur einen einzigen Taubstummen. Einer genügt. Dieser eine ist der Zunder des Hl. Geistes. Was an ihm geschehen ist, verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Das Zeugnis eines einzigen Geheilten wiegt schwerer als die Predigt Tausender. Ob uns das klar ist?

Das Evangelium von der Heilung des Taubstummen


Kategorie: Kirche

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